Tichys Einblick
Pro und Contra

Lindner mit Populismus – in die Falle

„Für mich ist klar, ein Land, das sich mehr mit Karl Marx beschäftigt als mit Blockchain, dabei ist, den Anschluss in der Welt zu verlieren", so Christian Lindner auf seinem Parteitag in Berlin-Kreuzberg. Das ist ein guter Satz, findet Roland Tichy in unserer heutigen Debatte mit Klaus-Rüdiger Mai.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Was darf man von Parteitagsreden erwarten? Schon mal eine gehört? Was Christian Lindner abgeliefert hat, war Schwung im bleiernen Berlin – und Überschwang für Brüssel. Das muss die FDP jetzt ausbalancieren und aushalten.

Was sind Parteitagsreden schon wert?

Es kommt ja nicht viel rüber von Parteitagsreden, und das ist gut so. Denn wenn man wirklich zuhört, wie Angela Merkel jeden Sachverhalt zermümmelt und kleinredet; wenn man das überdrehte Gejuchze von Andrea Nahles hört und ihr wimmerndes Mimimimimi über den spendabelsten Sozialstaat aller Zeiten: Dann hört man sofort auf zu wählen.

Anders als unser Autor Klaus-Rüdiger Mai, habe ich mich über das Bild gefreut, das es wenigstens auf die TV-Bildschirme unserer „Anstalten“ geschafft hat, nämlich:

„Wenn wir nicht über die Chancen der Blockchain-Technologie diskutieren, sondern ausgelassen den 200. Geburtstag von Karl Marx feiern. Für mich ist klar, ein Land, das sich mehr mit Karl Marx beschäftigt als mit Blockchain, ist dabei, den Anschluss in der Welt zu verlieren.“

Das ist auf den Punkt gebracht. Kürzlich haben wir erfahren, dass Banken besonders hohe Gebühren kassieren für Geld, das in der Spielbank abgehoben wird. Klar, es ist die Gebührenschneiderei der Banken, die dahinter steckt. Aber es zeigt mehr: Die katastrophale Lage, in die Draghis Politik die Wirtschaft gebracht hat – und den Beginn des Überwachungsstaates, der jede Geldverwendung kontrolliert und sanktioniert. Blockchain-Technologien geben den Menschen die Souveränität gegenüber einem Staat zurück, der beginnt, an der Supermarktkasse seinen quasireligiösen Belehrungs-Singsang in Strafen für denjenigen einzusetzen, der eine Tafel Schokolade zuviel kauft und gegen das „Weniger-Zucker-Gebot“ verstößt.

Pro und Contra
FDP: Lindners laues Lüftchen weht durch den Parteitag
Darum sollten wir uns um neue Technologien kümmern, statt ständig darunter verbal zu leiden und an Universitäten durch Denkverbote die Zukunft abzuschneiden. Und ja, Karl Marx kann man nicht für einen der 100 Millionen Toten verantwortlich machen, die im Namen des Marxismus-Leninismus ermordet wurden. Aber so zu tun, als habe er gar nichts damit zu tun, erinnert mich an meine uralte Nachbarin, die immer sagte: „Ja, wenn der Führer das gewußt hätte…“. Daher geht mir die neue Marx-Verehrung auf die Nerven, denn „wissenschaftlich“ kann man sein Werk nur dann nennen, wenn man das Niveau deutscher Genderei als Wissenschaft annimmt. Übrigens gibt es mittlerweile mehr Lehrstühle für Genderei und Unten-Drumherum, als Pharmazie. Das sagt etwas über die herrschende Wertschätzung von Zukunft. Dieses Land nutzt und lebt von Technologien – und ist technophob. Das ist die eigentliche Phobie, an der dieses Land leidet, nicht Islamo-/Homo-/Frauen- oder sonstige Phobien.
Es geht auch konkret – aber niemals in der Migrationsfrage

Es wäre mir lieber, Lindner würde an manchen Stellen konkret. Sein Mimimimi über Bürokratie hat ein Wort, und das heißt „Datenschutzgrundverordnung“. Die wird Zukunftstechnologien in Deutschland ebenso abschneiden, wie junge Unternehmen behindern, und Start-Ups schon in der Nachdenkphase umbringen. Das hätte ein klares Wort erfordert – aber der Weg von der Parteitagsrede in die Wirklichkeit ist ein weiter. Und er ist steinig. Seine berechtigte Bemerkung, dass die Bürger in der Schlange vor dem Bäckerladen gerne wüßten, ob sie sich darauf verlassen können, dass die anderen Anstehenden halbwegs kontrolliert werden und legal da sind, ist berechtigt. Es kann ja nicht sein, dass jeder Bürger datenmäßig durchleuchtet wird vom Staat, aber Hunderttausende komplett illegal einreisen und dafür Leistungen in Anspruch nehmen, für die sie keinen Cent eigene Leistung beigetragen haben. Das Recht sollte doch für Alle gelten. Jedenfalls war das mal so.

Der Wirbel in den Medien für dieses harmlose Beispiel zeigt, wie schräg die Debatte ist: Wer das zentrale Thema dieses Landes auch nur anspricht, erntet Sturm auf allen Kanälen.  Da wird das laue Lüftchen, über das Klaus-Rüdiger Mai spottet, schnell zum Orkänchen in den sozialen und sonstigen Medien.Die Zustimmung der betroffenen Bürger wird ja nicht so gerne gesehen und schon gar nicht gesendet, das ist die seltsame Asymmetrie in Deutschland: Die Wahrheit der immer Wenigeren dominiert lautstark die wachsende Wut der vielen Schweigenmüsser. Das Thema über die Schlange und den Illegalen überlagert die Berichterstattung über den Parteitag, der Austritt eines Einzelnen wird von praktisch allen Medien intoniert als wäre es eine Spaltung der Partei, er muss sich rechtfertigen, wie man das aus den Zeiten von Chinas Kulturrevolution kennt. Es zeigt, wie Themen künstlich weggedrückt werden. Migration und ihre negativen Folgen dürfen nicht kritisch behandelt werden; irgendein Anlass, und es geht los mit maßlos überzogener Kritik. Zählt Lindner jetzt auch zu den Rechtsradikalen, kommt er jetzt auch auf schwarze Listen des ZDF? Wir werden sehen. Und man sieht, wie eng die Grenzen der öffentlich gerade noch erlaubten Äußerung schon gezogen sind. Man spürt das Lauern der Kommentatoren, Lindner hinabzustoßen zu den Schmuddelkindern der AfD, und man sieht deren ausgebreitete Arme: Noch einer, der formuliert, was anstößig ist. Man lernt: Politik ist nicht autonom – sie ist längst eingezwängt in die Denk- und Sprechverbote. Wer Lindner da gerne härter hätte, muss voran gehen. Er versucht langsam die Grenzen des Sagbaren auszudehnen. Ist das jetzt feig oder klug?

Seehofer heimatlos

Und richtig ist es auch, die CSU dafür vorzuführen, dass sie hier wieder versagt: Familiennachzug für Gefährder ist so absurd, dass man gar nicht gewagt hätte, sich das auszudenken. Da muss schon die GroKo mit den kleinen Geistern den Wahn in Gesetzesform packen.

„In Deutschland hat Horst Seehofer ein Heimatministerium bekommen, vielleicht weil er in Bayern keine mehr hat.“ Das stimmt. Seehofer spielt mit Begriffen, weil er darüber hinwegtäuschen will, dass er in der Sache keine Heimat mehr hat, nämlich keinerlei Durchsetzungskraft und Bodenhaftung.

Dass die sozialen Unterschiede bei uns größer werden, passt in die Klischees von Parteitagsreden. Dass das auch eine Frage und auch eine Folge von Migration ist, ist mutig. Ich höre schon, wie da angeblich Migranten und Einheimische gegeneinander ausgespielt werden. Vermutlich nur deshalb nicht, weil eine andere Formulierung noch geeigneter erschien, die mediale Erregungsmaschine anzuheizen. Darüber darf nicht gesprochen werden, Punktum! Aber genau dies wird das zentrale Thema der kommenden Jahrzehnte sein: Die Formierung einer neuen Unterschicht mit allen sozialen und politischen Konsequenzen.

Richtig ist auch, dass die Steuern, die Macron senkt, bei uns erhöht werden.

Und wenn Olaf Scholz 1.400 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren ausgeben kann, die geplante Entlastung aber nur 9,08 Milliarden Euro beträgt, dann darf man das gerne als Kleptomanie bezeichnen. Solange die nicht benannt wird, wie in der Migrationspolitik, ist kein Blumentopf zu gewinnen.

Aber Linder ist überschäumend, und sein EU-Urteil gefährlich. In dem Tempo und in dem Umfang, in dem er Rechte, Souveränität, Geld und Wohlstand nach Brüssel schicken will, neuerdings – da ist der Deutsche Bundestag bald nur noch zuständig für die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“. Was reitet den Mann? Dafür lese ich gerne Klaus-Rüdiger Mai noch einmal. Ist das der aktuellen Macronphorie geschuldet, einer EU-Begeisterung, die ein undemokratisches Brüssel mit Geist und Klugheit verwechselt? Und Lindner muss schauen, wie er aus dieser gefälligen wie gefährlichen Populismusfalle wieder rauskommt.