Tichys Einblick
Kommunen am Limit

Lindner gegen weitere Bundesmittel: Rückführungen verbessern, ungeregelte Migration bremsen

Der Poker um die Steuermilliarden ist eröffnet. Dass acht davon für Unterbringung und Integration (!) der Neumigranten reichen sollen, ist kaum zu glauben. Lindner blufft derweil und zieht einen Trumpf hervor: mehr Rückführungen und die illegale Migration bremsen. Fraglich bleibt, ob die FDP ihn spielen wird.

IMAGO / photothek

Kann man bald wieder auf ein Kanzlermachtwort hoffen? Wird Olaf Scholz seine Richtlinienkompetenz auch im Kampf um sichere Grenzen einsetzen? Man wagt es kaum zu hoffen. Eines dürfte aber sicher sein: Die Grundlage dafür kann nur die FDP schaffen. Nur in der Lindner-Partei könnte es noch Reste einer Kritik an der gegenwärtigen Überlastung durch eine nicht enden wollende Migrationswelle geben, die im Frühjahr mit einer galoppierenden Ouvertüre begann, die Ukraine-Flucht als dauerhaftes Intermezzo dazwischenschaltete und sich derzeit – dank neu belebter Balkanroute – zum brausenden Presto-Finale steigert.

Es ist daher kein Wunder, dass auch der innenpolitische Streit um die neue Welle, um Unterbringung und Versorgung der Migranten an Fahrt gewinnt. Auch nach Faesers großem „Flüchtlingsgipfel“ von Anfang Oktober bleibt die Stimmung in Landkreisen und Gemeinden explosiv. 560 Immobilien hatte Faeser den Kommunen da zugesagt, mit 4.000 zusätzlichen Plätzen für Migranten. Aber um welche Liegenschaften es geht, weiß man vielerorts noch immer nicht.

So nimmt die kreisfreie Stadt Cottbus keine Flüchtlinge mehr auf – nicht aus „Nichtwollen“, wie der OB Holger Kelch in der Welt sagt, sondern aus Nicht-mehr-Können. Denn die Stadt in der Niederlausitz erfülle ihre Verpflichtungen schon seit 2015 weitaus „über“, weil andere Landkreise sich aus der Verantwortung zögen, so Kelch. Und nun reichen offenbar die Ressourcen nicht mehr. Das kennt man aus anderen Großstädten. Aber auch Landgemeinden werden heute von neuem gefordert, zumal die Infrastruktur dort generell etwas „seltener“ ist.

Denn so verhält es sich wohl, wenn eine „Migrationslage“ nur lange genug anhält. Irgendwann geht es nicht mehr nur um die Unterbringung (ad hoc oder auch dauerhaft), sondern um eine ganze Infrastruktur, die auch in diesen Monaten wieder in vielen deutschen Kommunen gefordert wird und weiter gefordert sein wird: Kindergärten, Schulen und die Gesundheitsversorgung seien „am Limit“, sagt Kelch. Ein Beispiel sind „flächendeckende Willkommensklassen“, die man anbieten müsse, damit „zugewanderte Kinder in Ruhe Deutsch lernen können“ – und deutsche Kinder in Ruhe andere Dinge lernen können.

Nun drohen Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen, die den eigenen Zugang zu einst sicher geglaubten Ressourcen zu verlieren drohen. Auch das ist verständlich, obwohl es sich gar nicht angenehm anhört. Kelch ist der Meinung, dass der Bund und die Länder die Kosten für die Zuwanderung „zu 100 Prozent“ tragen müssen, damit zumindest finanzpolitisch das Ventil am siedenden Hochdrucktopf gelockert wird.

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Berliner Bezirk Neukölln. Sozialstadtrat Falko Liecke berichtet von „ziemlich großer Not“. Steil ansteigend sei die Zahl der ukrainischen Leistungsansprüche, hinzu kommen die Asylbewerber aus anderen Staaten. Und dann sind da noch jene Bürger, die ihre Gasrate bisher selbst bezahlen konnten, das aber jetzt nicht mehr schaffen. Dass deren Anträge zügig bearbeitet werden, ist aber nun keineswegs klar. Denn da ist ja noch der „Rückstau durch die
Ukraine-Flüchtlinge“ plus „nicht bearbeitete Post und Unterlagen“, was auch am Personalmangel liege, so Liecke. Das Neuköllner Sozialamt (eines der größten seiner Art) bleibt erst einmal für zwei Wochen geschlossen oder, besser gesagt, man arbeitet in Klausur den Rückstau ab.

Beuth: Kommunen mit leeren Taschen vom Gipfel zurückgekehrt

Inzwischen staut sich auch die Kritik der oppositionellen CDU/CSU. Jene 4.000 zusätzlichen Plätze, so sagte es Andrea Lindholz, stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende, seien „bei der aktuellen illegalen Zuwanderung innerhalb von einer Woche belegt“. Auch der hessische CDU-Innenminister Peter Beuth kritisierte, die Vertreter der Kreise, Städte und Gemeinden seien „mit leeren Taschen“ von Faesers großem „Flüchtlingsgipfel“ zurückgekehrt. Und Beuth sieht damit den „sozialen Frieden“ in Gefahr. Diese Vorhersage ist dabei immer leichter mit Händen zu greifen, wenn man konkret in deutsche Kreise und Gemeinden schaut.

Auch der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte nach Faesers Immobilien-Spende eine handfeste finanzielle Unterstützung für die Länder und Kommunen. Dem SPD-nahen Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte Herrmann: Wenn man die Hilfe für die Kommunen auf dem Niveau des letzten Jahres halten wolle, bräuchte man „acht Milliarden Euro für alle Länder und Kommunen“. Nur acht Milliarden für alle Länder und Kommunen? Das klingt direkt günstig, denn es ist eine wahre Herakles-Aufgabe, die Herrmann so finanzieren will. Nach ihm soll der Bund nämlich sowohl für die Unterbringung als auch für die „Integration“ der Migranten aufkommen. Und das mag grundsätzlich richtig gedacht sein. Aber die entstehenden Kosten finden nicht so leicht ein Ende. Vielleicht sind die acht Milliarden also eher die Jahresrate.

Und so forderte Herrmann zusammen mit Kommunalvertretern einen weiteren „Flüchtlingsgipfel“ im November, auf dem die gewünschte Finanzspritze des Bundes ausgehandelt werden könnte. Eine Erwiderung aus dem politischen Berlin gab es zunächst nicht. Das gehört wohl mit zur neuen Kultur des Schweigens in diesem Land, wo es keine verbindlichen Antworten mehr auf konkrete Fragen gibt, manchmal sogar gar keine Antworten.

Thorsten Frei mit richtiger Analyse und einem folgenschweren Irrtum

Am Freitag setzte Herrmann nach und sagte gegenüber der Funke-Gruppe: „Es kann nicht sein, dass der Bund immer mehr Flüchtlinge aufnehmen möchte, die Länder und Kommunen aber dann im Regen stehen lässt – egal, ob die Steuereinnahmen sprudeln oder nicht.“ Die Kosten müssten „fair verteilt“ werden. 

Auch der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, weiß gegenüber der Tagespost: „Sehr viele Kommunen stoßen aktuell wieder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Deshalb erwarten sie zu Recht, dass Berlin sie in dieser Lage nicht allein lässt und dass die Bundesregierung die Migration ordnet und steuert.“ Ein kleines verstecktes „wieder“ kündet davon, dass auch Frei bewusst ist, dass wir nicht zum ersten Mal an diesem Punkt stehen. Die Kommunen, spricht Frei weiter, hätten schließlich noch mit den Folgen früherer Flüchtlingsbewegungen zu kämpfen – die bekanntlich von seiner Parteifreundin und Ex-Kanzlerin Angela Merkel wesentlich befeuert wurden.

Aber das liegt in der Vergangenheit. Was die Gegenwart angeht, beobachtet Frei ganz richtig, dass das einst geltende Dublin-Reglement in der EU immer weiter zugunsten einer „permanent zunehmenden Sekundärmigration“ zurückgedrängt wird. Allerdings sucht er die Lösung irrtümlich in einer „Abstimmung auf europäischer Ebene“ – wo im Grunde gar nichts mehr abzustimmen ist, es sei denn, man möchte Migrantengefängnisse und Stacheldraht entlang der Route nach Deutschland einrichten. Die einzige Abstimmung in dieser Sache müsste im Deutschen Bundestag stattfinden, wo man das Asylbewerberleistungsgesetz und die verschiedenen Sozialgesetzbücher jederzeit in für das Gemeinwesen nutzbringender Form abändern kann. Die Anträge kann man auch schon in der Opposition schreiben, um sie dann bei Regierungsübernahme umzusetzen. Eins muss aber klar sein: In Fragen der illegalen Migration ist der Ruf nach „europäischen Lösungen“ ein folgenschwerer Irrtum, den kein verantwortungsvoller Politiker befördern sollte.

Der erste Akt hat begonnen: Lindners kabinettsinterne Vorschläge

Nun gibt es eine erste Reaktion der Bundesregierung auf alle diese Klagen, wenn auch keine beruhigende. Der Finanzminister selbst ließ in den Medien der Funke-Gruppe verlauten, dass es mehr Geld vom Bund – also von den Steuerzahlern – in diesen Fragen nicht geben werde. Also keine acht Milliarden für Länder und Kommunen, kein gar nichts. Stattdessen, so Lindner weiter, solle sich die Bundesregierung stärker um die Erleichterung von Rückführungen bemühen. Außerdem müsse die „ungeregelte Migration“ gebremst werden.

Wie das geschehen soll, das wollte TE gerne vom Finanzministerium wissen. Das aber äußerte sich nur ausweichend: „Der Minister bringt seine Vorschläge kabinettsintern ein“, ließ ein Sprecher verlauten. Nun mag die Existenz von Vorschlägen erfreulich sind, aber insgesamt enttäuscht das Vorgehen etwas. Die Öffentlichkeit würde sicher zu gerne wissen, wie das FDP-Rezept gegen die Überlastung des deutschen Asyl- und solidarischen Sozialsystems aussieht.

Bleibt die Frage, wie ernst man Lindners Absage eigentlich nehmen darf. Wird er sich standhaft weigern, deutsche Steuergelder für notleidende Kommunen auszugeben? Wir könnten hier durchaus nur den ersten Akt im Schauspiel „Orientalischer Bazar um die Kosten von Flucht und illegaler Migration“ sehen. Fortsetzung folgt spätestens im November.

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