Tichys Einblick
Arbeitskräftemangel

Leiharbeit verteuert die Pflege

Der Pflege fehlen die Arbeitskräfte. In ihrer Not greifen die Heime zur Leiharbeit. Doch die erhöht die Kosten für die Pflege spürbar. Die Folge ist eine laufende Insolvenzwelle der Heime.

IMAGO
Der Deutsche Pflegetag findet an diesem Donnerstag in Berlin statt. An einem Stand machen die Pflegekammern aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auf ein heikles Thema aufmerksam: Leiharbeit in der Pflege. Die wird zum Problem. Für die Heime ebenso wie für Bewohner und Angehörige. Denn sie lässt die Kosten durch die Decke gehen.

Die Leiharbeit hat einen schlechten Ruf, seit SPD und Grüne sie unter Kanzler Gerd Schröder unbefristet zugelassen haben. Seinerzeit wurde die Leiharbeit zu einem Instrument, Arbeitnehmer auszubeuten. Die Jobcenter setzten sie unter Druck, schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen und deren Ertrag noch mit den Firmen der Leiharbeit teilen zu müssen.

Doch der Arbeitsmarkt hat sich gedreht. Vor allem in der Pflege. Dort gilt eine Zweiklassen-Gesellschaft – und die Mitarbeiter der Leiharbeit sind die Privilegierten. Sie werden gut bezahlt. Da das Geschäft mit ihnen boomt, locken die Firmen der Leiharbeit potentielle Mitarbeiter mit Prämien wie: Diensthandy, Dienstlaptop oder sogar Dienstwagen. Alles auch zum privaten Gebrauch freigegeben. In den Heimen können sie die Bedingungen diktieren. Unangenehmen Schichten nachts oder am Wochenende können sie zum Beispiel meist aus dem Weg gehen.

Die Arbeit in der Pflege ist schwierig, anstrengend und wichtig. Ihren Mitarbeitern ist eine gute Bezahlung zu wünschen. Doch durch die Leiharbeit entstehen Probleme. Zum einen degradiert sie die Stammbelegschaft der Heime. Die Mitarbeiter sind oft stark durch soziale Motive angetrieben und müssen entsprechend die Nachtschichten und Wochenenddienste schlucken, die in einem Heim oder einem Krankenhaus halt zu leisten sind. Obendrein müssen Diensthandys, Laptops und Wagen mitfinanziert werden – ebenso wie die Gewinnanteile der Leiharbeitsfirmen.

Das überfordert viele Heime. Sie nehmen mittlerweile Eigenanteile zwischen 2.000 und 3.000 Euro pro Bewohner. Trotzdem erlebt die Branche derzeit eine Insolvenzwelle. Sie hat bereits eingesetzt, droht aber zuzunehmen. TE war eines der ersten Medien, die darüber berichtet haben. Nimmt die Leiharbeit weiter zu, verschärft sich dieses Problem.

Der Informationsdienst des Instituts der Wirtschaft berichtet, dass im April auf 10.000 offene Stellen in Pflegeheimen nicht einmal 4.000 Bewerbungen kamen. Entsprechend griffen die Krankenhäuser und Pflegeheime auf Zeitarbeitskräfte zurück. Im Juni 2022 seien es in der Branche bereits 31.000 Arbeitskräfte gewesen. Der Informationsdienst zitiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die warnt, eine Zunahme werde auch die Probleme in der Pflege verschärfen.

Ähnlich argumentiert die Pflegekammer Nordrhein-Westfalen: „Die Konditionen sind in der Pflege sehr attraktiv“, argumentiert die Kammer, die von den Beiträgen der Pflegekräfte finanziert wird. Angesichts des hohen Personalbedarfs lasse sich das Problem der Zeitarbeit aber nur mit „Fingerspitzengefühl“ angehen. Strikte Regulierungen oder ein Verbot könnten die Situation noch verschlimmern. „Leiharbeit ist keine Krankheit, sondern Ausdruck eines krankhaften Systems”, sagt Carsten Hermes, Pflegewissenschaftler und Vorstandsmitglied der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen.

Zu sagen, die Qualität sei in der Leiharbeit schlechter, hält Hermes für eine „pauschale Unterstellung“. Angesichts der Probleme mit dem Instrument fordert die Kammer von der Politik eine Analyse der Situation. Daraus müsse sich ein Wert ableiten, wie stark die Leiharbeit sich in der Pflege ausbreiten dürfe. Wobei die Kammer weniger auf Vorgaben aus der Politik, sondern stärker auf die Verantwortung der Unternehmen setzt.

Die Position der Pflegekammer Nordrhein-Westfalen zeigt indes, wie hilflos die Branche ist. Sie setzt auf Appelle wie diesen: „Darüber hinaus fordert die Kammer die Leiharbeitsunternehmen auf, kein aggressives Abwerben mittels hoher Prämien zu betreiben.“ Geschäftsleute zu bitten, auf ein Geschäft zu verzichten, hat sich indes selten als vielversprechender Weg ergeben. Die Politik hart zu kritisieren, trauen sich die Verbände oft nicht – viele ihrer Mitarbeiter stammen selbst aus dem politischen Umfeld.

Der Bitte der Kammer, die Heime sollten aus eigener Verantwortung weniger Leiharbeiter einsetzen, stößt auf dem Pflegetag bestenfalls auf Skepsis, mitunter auch auf Zynismus. Kein Betreiber zahlt freiwillig mehr für Mitarbeiter, die nachts oder am Wochenende nicht arbeiten wollen – es ist der kaputte Arbeitsmarkt, der ihnen das diktiert.

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