Tichys Einblick
Analyse des Rechnungshof-Chefs

Kritik an Christian Lindner: „Die Notlage darf nicht zur Normallage werden“

Der Chef des Bundesrechnungshofs hat kein gutes Haar an der Energiepolitik der Ampel gelassen. Nun hat sich Kay Scheller deren Haushaltspolitik vorgenommen. Das Ergebnis ist kaum besser.

picture alliance / | Daniel Kalker
Kay Scheller beginnt seine Kritik mit einem Lob an Finanzminister Christian Lindner (FDP): Dass der im Sommer 2023 eine „qualitative Konsolidierung“ des Haushalts angekündigt habe, unterstütze Scheller „vorbehaltlos“. Nun ist es so eine Sache mit Lindners Ankündigungen. Seit über zwei Jahren predigt der FDP-Chef auf Twitter und über andere Medien, dass Deutschland sich keine rot-grüne Politik leisten könne. Seit über zwei Jahren setzt Lindner eine solche rot-grüne Politik aber halt auch vorbehaltlos um. Doch es ist nicht die Aufgabe Kay Schellers festzustellen, ob und dass Lindner ein politischer Luftikus ist.

Kay Scheller ist der Präsident des Bundesrechnungshofs. Als solcher ist er auch der „Bundesbeauftragte für Wirschaftlichkeit in der Verwaltung“. In dieser Funktion hat er sich die deutsche Haushaltspolitik angeschaut. Und in Schellers Bilanz bleibt als Lob für Lindner eben nur, dass er etwas anderes angekündigt hat – für den real existierenden Zustand des bundesdeutschen Haushalts hat Scheller indes kein schonenendes Wort übrig.

Laut Scheller ist Deutschland für die kommenden Aufgaben schlecht aufgestellt: „Die künftige Finanzierung der militärischen Verteidigungsfähigkeit Deutschlands über das Sondervermögen Bundeswehr hinaus ist unsicher.“ Das Gleiche gelte für den „klimaneutralen Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft“. Auch für die Sozialversicherungen – also Krankenkasse oder Renten- und Pflegeversicherung – fehlten „langfristige Tragfähigkeitskonzepte“.

Die Verschuldung des Haushalts wirkt sich laut Scheller bereits jetzt aus. Offiziell mache der Bund rund 39 Milliarden Euro neuer Schulden. Doch das werde schon jetzt fast komplett dafür gebraucht, die Zinsen auf die alten Schulden zu bezahlen. Einfach immer weiter neue Schulden zu machen – wie das die Grünen, große Teile der SPD und der Merkel-Block in der CDU fordern – erhöhe nur das Risiko, dass Deutschland mit steigenden Zinsen noch mehr für die eigene Verschuldung zahlen müsse.

Handlungsfähig sei der Bund schon jetzt nicht mehr, warnt Scheller: „Der Bundeshaushalt bleibt versteinert.“ 90 Prozent des im Etat stehenden Geldes sei durch feststehende Ausgaben gebunden. Nur über zehn Prozent könnten Lindner und Co wirklich verfügen. Steigen die Zinsen weiter, sinkt dieser freie Anteil entsprechend. Auf eine große Krise reagieren, wie etwa auf die Pandemie, kann Deutschland nach Schellers Einschätzung schon jetzt nicht mehr.

Und das ist nur der Ist-Zustand. Schon die nähere Perspektive beschreibt Scheller als noch viel verheerender: Sollte Lindner 2025 aus dem Amt gewählt werden, hinterlässt er seinem Nachfolger ungelöste Aufgaben. Ab 2028 muss Deutschland jedes Jahr 9,2 Milliarden Euro aufbringen, um die Schulden aus der Corona-Zeit abzutragen. Das entspricht etwa zwei Prozent des Bundeshaushalts. Für Olaf Scholz’ (SPD) „Wumms“ und „Bazooka“ in der Pandemie müssen heute noch nicht geborene Kinder bis 2058 bezahlen.

Doch 9,2 Milliarden Euro sind im Vergleich noch die kleinere Baustelle Lindners. Bisher beträgt der Verteidigungsetat rund 52 Milliarden Euro im Jahr. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllt Deutschland nur durch „Sondervermögen“ genannte Schulden. Sind diese 2028 aufgebraucht, müssen jährlich 85 statt 52 Milliarden Euro in die Verteidigung fließen. Deutschland muss ab 2028 nicht nur mehr für die Verteidigung ausgeben – es muss dann auch anfangen, das „Sondervermögen“ zurückzuzahlen. Denn egal, wie Lindner und Co es nennen – es bleiben Schulden.

Bisher haben SPD, Grüne, CDU und Lindner nur „Fluchtwege“ zu bieten. Vor diesen warnt Scheller: etwa Ausnahmen von der Schuldenbremse oder neue Methoden zur Berechnung der Kriterien für neue Kredite. Auch könne die Poltik nicht eine Notlage nach der anderen erklären: „Die Notlage darf nicht zur Normallage werden.“ Stattdessen fordert Scheller einen „durchgreifenden Konsolidierungsplan“. Der müsse es „allen gesellschaftlichen Gruppen“ ermöglichen, „sich rechtzeitig auf Belastungen einzustellen“. Der Bund dürfe seine Probleme nicht weiter verschleppen und er müsse sie gegenüber der Öffentlichkeit ehrlicher benennen.

Immerhin hat Lindner ja eine „qualitative Konsolidierung“ angekündigt. Doch wie sieht die in der Realität aus? Auch vor der Aufstellung des kommenden Haushalts will der Finanzminister auf ein „Eckwerteverfahren“ verzichten. Scheller versteht nicht recht, wie Lindner auf dessen „wichtige Lenkungswirkung“ verzichten kann. Doch Kay Scheller ist der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Es ist nicht seine Aufgabe, Christian Lindner als Luftikus zu outen. Allerdings hat Schellers Analyse eine durchaus ähnliche Wirkung.

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