Tichys Einblick
Schwarze Kassen, Roter Filz

Korrumpierte Arbeiterwohlfahrt: Die Politik ist immer dabei

Der Arbeiterwohlfahrt wurde nach ihren vielen Skandalen eine Gnadenfrist zuteil - dank Corona. Doch sie hat die Zeit nicht genutzt, um aufzuklären.

imago Images

Es ist still geworden um die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Im Windschatten von Corona versuchte man in den Kreisverbänden Frankfurt und Wiesbaden, die Selbstbereicherung, Korruption und Gier des AWO-Führungspersonals in Vergessenheit versinken zu lassen. Es ging um viel Geld, schnelle Autos und ungerechtfertigte Beförderungen für die Frau des Frankfurter Bürgermeisters Peter Feldmann (SPD). So wurden dem stellvertretenden Geschäftsführer, Panagiotis Triantafillidis über drei Jahre hinweg Honorare von fast 1,2 Millionen Euro ausgezahlt – das entspricht dem Gehalt von dreizehn Kindergärtnerinnen mit einem Monatsgehalt von 2.481,17 Euro Brutto (Tarifvertrag, Entgeltgruppe S4, Einstiegsgehalt). Es ging um andere Vorstände und Geschäftsführer, zum Beispiel das Ehepaar Richter, welche sich in Frankfurt und Wiesbaden gegenseitig kontrollieren, schnelle Autos fahren und über persönliche Assistenten verfügen konnten. Bezahlt wurde all dies von den Kassen der Städte Frankfurt, Wiesbaden und vom Land Hessen, ebenso den Spendern und Kunden der AWO. Mit dabei beim Raubzug: Familie, Freunde und Parteigenossen, zumeist der SPD, die oft von der „Arbeiterbewegung“ sprechen, aber doch die Arbeit anderer meinen.

Nachdem die Skandale in Frankfurt ans Licht kamen und die Vorwürfe nicht mehr, wie Anfangs versucht, als Rechtspopulismus abgewatscht werden konnten, wurden Bauernopfer gebracht: Oberbürgermeister Feldmann kündigte an, das zu viel gezahlte Gehalt seiner Frau „zurückzuzahlen“; auch ein Disziplinarverfahren beantragte er im Landtag gegen sich selbst, quasi als politische Generalabsolution, im festen Parteivertrauen, dass die CDU und die Grünen, die in Hessen die Regierung stellen, nicht zu genau hinschauen werden bei der SPD – denn wer verdient eigentlich was bei der Caritas der katholischen Kirche?

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 Das Vorstands- und Geschäftsführer-Ehepaar Richter ist von seinen Posten bei der AWO schon lange zurückgetreten. Die FAZ berichtet aber im Regionalteil, dass mindestens Herr Richter sich in Wirklichkeit in der Freistellungsphase seiner Altersteilzeit befindet und in diesem und im nächsten Jahr zusammen gut 600.000 Euro Jahresgehalt ausgezahlt kriegt (das macht zehn Kindergärtnergehälter). Ab Richters finalem Eintritt in die Rente – wohl nach Ende seiner Altersteilzeit im Jahr 2020 – wird die AWO außerdem die Kosten seiner privaten Krankenkasse voll übernehmen – ganz gleich wie hoch sie sein mögen.

Richter wurde also nicht, wie gerne von der AWO suggeriert, mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt, sondern auf einem Federbett in den Ruhestand getragen. Dem widersprach ein Sprecher der AWO indirekt im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau und behauptet, die AWO würde Richter seit seiner fristlosen Kündigung kein Gehalt mehr zahlen. Als Frau Richter ihren Posten als Geschäftsführerin der AWO Wiesbaden aufgeben musste, wurde ihr Nachfolger ihr Stellvertreter Murat Burcu. Der hatte sich allerdings auch an den Kassen der AWO bedient und kassierte über zwei Jahre hinweg neben seinem monatlichen Gehalt von 12.500 Euro auch noch 6.000 Euro Beraterhonorar (zusammen siebeneinhalb Kindergärtnergehälter). Burcu blieb bis Anfang Mai noch Geschäftsführer, als ihm schließlich gekündigt wurde.

Die SPD und die AWO

Die neue Interimsgeschäftsführerin, Andrea Piro soll auch die Vorgänge bei der AWO aufklären, doch das wird ihr in den engen Verflechtungen von Parteien und Wohlfahrt schwerfallen. Denn es ist die Nähe zur Politik, die in der AWO immer wieder die Selbstbereicherung deckt und ermöglicht. Frankfurts Oberbürgermeister Feldmann war es, der noch als Abgeordneter im Stadtrat ein Gesetz durchsetzte, das es der AWO ermöglichte, Personalkosten pauschal abzurechnen – was der Selbstbedienung Tür und Tor öffnete. Später betrieb die AWO dann aktiv Wahlkampfhilfe für ihn.

In Mecklenburg-Vorpommern sind Ministerpräsidentin Schwesig (SPD) und die Landtagsabgeordnete Dagmar Kaselitz (SPD) im Skandal der dortigen AWO Kreisverbände verwickelt: Wieder ging es um überhöhte Gehälter und Postenschacherei. In Bochum begünstigte ein SPD-Stadtrat den AWO-Ortsverband, in dem er selber Geschäftsführer war. Auch aus Thüringen ist bekannt, das dem Führungspersonal überzogene Gehälter gezahlt wurden. Wie lange es wohl dauert, bis sich auch hier eine Verquickung mit der SPD herausstellt?

In Hessen gehen AWO-Führungsposten und SPD-Mitgliedschaften jedenfalls meist Hand in Hand. Im siebenköpfigen Präsidium der AWO Wiesbaden sitzen mindestens sechs SPD-Mitglieder. Praktischerweise konnten sie zuvor kommunale Karrieren machen: als Stadtverordnete, Ortsvorsteher oder städtische Amtsleiter. Der Vorsitzende der AWO Wiesbaden, Wolfgang Hessenauer ist der ehemalige Sozialdezernent der Stadt Wiesbaden, leitete also jene Institution, die der AWO Aufträge erteilte und Gelder zahlte. Schön, wenn man die eigene Arbeit aufklären darf. Auf eine Anfrage antwortete Hessenauer abwehrend: „Die AWO ist ebenso wie der Arbeiter-Samariter-Bund, die Gewerkschaften und die SPD seit der Gründung Teil der Arbeiterbewegung. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich SPD Mitglieder haupt- und ehrenamtlich bei der AWO engagieren. Daraus eine Besonderheit zu machen erscheint nicht nachvollziehbar.“

Nein, Teil einer Partei zu sein ist weder verwerflich noch verdächtig, sondern Zeichen einer soliden Demokratie. Aber wenn bei der AWO immer wieder SPD-Funktionäre auffallen, die in Skandale verwickelt sind und dann ein SPD-dominierter Vorstand sich an der Aufklärung versucht, das ist schon fragwürdig. Wer aufklärt, der bringt Missstände ans Licht; aber vor der eigenen Haustür kehrt bekanntlich niemand so gerne, wie er den Dreck auf den Schwellen anderer ausmacht.

Auch in Frankfurt ist der Vorstand von der SPD dominiert: Mindestens zehn der 13 Präsidiumsmitglieder sind SPD-Genossen, ein weiterer verheiratet mit einer zumindest früher aktiven Genossin, deren Wirken er jetzt auch noch untersuchen soll. Die neue Vorsitzende des Präsidiums, Petra Rossbrey, war vorher nicht in der AWO aktiv; wohl aber 42 Jahre lang in der SPD, unter anderem im Kreisvorstand der SPD-Bornheim. Ein Neuanfang mit nicht vorbelasteten Personal ist ein erster guter Ansatz: Aber es stellt sich die Frage, ob ihr diese Position – für die es bei ihrer Wahl keine weiteren Mitbewerber gab – wegen ihrer SPD-Geschichte zuteil wurde. Wie geht sie mit früheren und immer noch aktiven Genossen um: mit der Strenge der Opposition oder mit der Nachsicht einer Regierenden?

Die ehemalige Revisorin der AWO Frankfurt, die Frankfurter Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen, SPD, der das Treiben der Geschäftsführung hätte auffallen sollen, verwies im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau auf ihren Revisionsbericht der Jahre 2016/2017: es sei illusorisch, „anzunehmen, wir könnten als Ehrenamtler aus eigener Fachkompetenz die Bücher der AWO-Frankfurt angemessen prüfen“ und spricht von ihrer eigenen, möglichen Befangenheit als Mitglied der AWO. Aber, dass sie dann trotzdem die Aufgabe als Revisorin wahrnahm statt zurückzutreten, ist symptomatisch für die Bundespolitik im allgemeinen und die SPD im speziellen.

Auch einer der zwei Interimsvorstände der AWO Frankfurt – immerhin vollamtliche Positionen – ist Sozialdemokrat, wird in seinem Wohnort Salzgitter schon als Oberbürgermeister Kandidat der SPD für 2021 gehandelt. Kontakt hergestellt zur AWO Frankfurt wurde durch den Vorsitzenden des Präsidiums des Bundesverbandes der AWO: Wilhelm Schmidt, ebenfalls aus Salzgitter und ehemaliger SPD-MdB. Bei der AWO kennt man sich eben.

Nicht nur die SPD ist dabei

Aber es ist in Frankfurt eben nicht nur die SPD, die das System AWO stützt. Im Rathaus regiert eine SPD-geführte Koalition mit CDU und Grünen; von wem ist da schon ernst zu nehmende Opposition zu erwarten? Es war schließlich die Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU), die mit bewussten Falschaussagen gegenüber dem Stadtparlament und der Presse die AWO schützte – obwohl ihr Unstimmigkeiten bei AWO-Abrechnungen schon seit 2018 bekannt waren, so die Hessenschau. Begründet wurde dies damit, dass das Ansehen der AWO in der Öffentlichkeit geschützt werden solle. Offensichtlich eine fadenscheinige Ausrede.

Mittlerweile soll das Sozialdezernat einen sechsstelligen Betrag von der AWO zurück gefordert haben: Löhne, die für Personal gezahlt wurden, das nie existierte. In Wiesbaden trat der CDU-Stadtverordnete Wolfgang Gores zurück, nachdem bekannt wurde, dass seine Tochter während ihres Studiums, für das sie im Raum Berlin und in Freiburg wohnte, monatlich 3.400 Euro verdiente – ohne, dass eine konkrete Arbeitsleistung bekannt ist. Damit ist er immerhin der bisher einzige Kommunalpolitiker, der eine Konsequenz aus seinen Verwicklungen zieht: Ansgar Dittmar, der gleichzeitig Vorsitzender der AWO Frankfurt und Geschäftsführer des übergeordneten Verbandes, der AWO Hessen-Süd, war, ist nach wie vor Beisitzer im Bezirksvorstand der SPD Hessen-Süd. Peter Feldmann ist ebenfalls noch Oberbürgermeister von Frankfurt.

Da überrascht es nicht, dass auch auf Bezirksebene die AWO fest in Hand der SPD ist: Von 17 aktiven Bezirksvorständen sind mindestens 13 in der SPD aktiv. Drei Vorstandsmitglieder sind seit der Wahl 2016 ausgeschieden und waren auch in der SPD. Auch in der AWO Hessen-Süd kam es zu Skandalen, als zum Beispiel der dortige AWO-Generalbevollmächtigte Thorsten Hammann zwei Altenheime der AWO Hessen-Süd an sich selbst verkaufte und diese dann an die AWO zurück vermietete – und Geschäftspartnern sechs Prozent Wohlfahrts-Rendite versprach. Laut einer von der AWO Hessen-Süd selbst in Auftrag gegebenen Prüfung handelte es sich dabei nicht um ein sogenanntes „In-sich-geschäft“. Weiter, so die Prüfung, wären alle Compliance-Regeln der AWO eingehalten worden.

Es verwundert kaum, dass die von der AWO Hessen-Süd eingesetzte Task-Force zur Aufarbeitung der Skandale auch ein Art SPD-Parteitag ist: Geführt wird die Task-Force von Herta Däubler-Gmelin, ehemalige Bundesministerin für Justiz – für die SPD, richtig geraten.

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 Unterstützt wird Däubler-Gmelin von Stephanie Becker-Bösch, nachgewählte stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der AWO Hessen-Süd, und: SPD Kreisbeigeordnete im Hessischen Wetteraukreis. Sie prüft also auch das Verhalten eines größtenteils unveränderten Vorstandes, dem sie selber nun angehört. Drittes Mitglied der Task-Force ist ein nicht weiter genannter Vertreter eines nicht spezifizierten Kreisverbandes. Die Taskforce hätte schon längst einen Bericht vorlegen sollen, doch der Termin dafür wurde wg. Corona bis auf weiteres vertagt.

Auf eine Anfrage bezüglich der Parteizugehörigkeiten des Vorstandes und der Identität des nicht namentlich bekannten Task-Force Mitglieds antwortete die AWO Hessen-Süd nicht.

Das System AWO ist also ganz einfach: Genossen kontrollieren untereinander und sind immer in der Mehrheit in den Kontrollorganen der AWO – halten also andere Parteien draußen und haben immer die Mehrheit der Stimmen hinter sich.

Die Aufklärungsarbeit bleibt dürftig. In Wiesbaden hat man zugegeben, überhöhte Gehälter gezahlt zu haben und gelobte Besserung. Frankfurt hält sich bedeckt, auch der Bezirksverband Hessen-Süd hat noch nicht angekündigt, wann ein Bericht vorgelegt werden soll. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob die AWO Wiesbaden ihre Gemeinnützigkeit verlieren könnte: Aber dies ist wohl nicht geschehen, auf eine diesbezügliche antwortete der Vorstand kurz und knapp: „derzeitig besteht die Gemeinnützigkeit“.

Ein Zwischenbericht einer Sonderprüfung der Vorgänge in Frankfurt und Wiesbaden wurde mittlerweile vom Bundesverband der AWO erarbeitet, dieser ist jedoch nicht öffentlich zugänglich. Die FAZ zitiert allerdings daraus: „Es bleibt unklar, welche Zahlungsflüsse zwischen KV Frankfurt, KV Wiesbaden und der Johanna-Kirchner-Stiftung stattgefunden haben und ob dieses Dreieck genutzt wurde, um möglicherweise Zahlungsflüsse zu verschleiern.“

Die Johanna-Kaufmann-Stiftung ist der AWO Frankfurt untergeordnet. Woher das Geld für die unermesslichen Gehälter und sonstigen Ausgaben der AWO Frankfurt und Wiesbaden kam, kann der Bericht laut FAZ auch nicht vollständig erklären. Vermutlich wurden den Städten Frankfurt und Wiesbaden in massiven Umfang Leistungen und Personal in Rechnung gestellt, die nie existierten: Was wiederum, sollte es so gewesen sein, nur durch aktives Wegschauen der Stadtverwaltungen, wie im Fall der Sozialdezernentin Birkenfeld, möglich wäre.

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