Tichys Einblick
Asylanzahl überfordert deutsche Landkreise

Kommunalpolitiker fordern Grenzkontrollen, Abschiebungen und Sachleistungen

Von Erstaufnahmen führt der Weg über Turnhallen zum seriellen Bauen auf der grünen Wiese. Anders sind die neuen Asylbewerber nicht mehr unterzubringen. Friedrich Merz will den Kommunen neue Hoffnung geben und flirtet heftig mit Grenzkontrollen à la USA. Traut er sich, Olaf Scholz einen bösen Brief zu schreiben?

Symbolbild Flüchtlingsunterbringung - hier in Dresden, Wohncontainer auf ehemaligem Schulgelände am 1.4.2023

IMAGO / S.Dittrich

An einer Stelle scheinen alle Blauen Briefe und Brandschreiben nichts zu nutzen: da, wo es um die Zuweisung von Asylbewerbern und „Flüchtlingen“ an Landkreise und Gemeinden in Deutschland geht. Im oberbayrischen Kreis Dachau soll es deshalb nun eine Dreifachlösung geben, die doch keine sein kann.

Die Erstaufnahme in Hebertshausen, im Landkreis Dachau gelegen, ist seit Wochen überbelegt. Und so entschloss man sich in Dachau zum Turnhallenumbau. 85 Freiwillige standen dafür zur Verfügung. Die Wahl fiel auf eine kleine Turnhalle in der Nachbarschaft des Josef-Effner-Gymnasiums, die angeblich nur Ukraine-Flüchtlinge aufnehmen soll, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in Privathaushalten Platz finden, wie etwa „größere Familien, ältere Personen, ggf. sogar mit Behinderung oder Kriegsflüchtlinge mit Haustieren“. Über 90 Prozent der gut 1.000 Ukraine-Flüchtlinge im Kreis Dachau sind laut Landrat privat untergebracht. Viele seien auch nur auf der Durchreise.

Dass die umgebaute Turnhalle „für den Sportunterricht und Vereinssport aktuell nicht nutzbar“ ist, versteht sich. Das war eigentlich der Punkt, an den die meisten Landräte in Deutschland nicht noch einmal kommen wollten: Einschränkungen für die einheimische Bevölkerung – auf unabsehbare Zeit. Mit dem Josef-Effner-Gymnasium will man eine alternative Lösung für den Schulsport bei nur „geringem Ausfall des Sportunterrichts“ finden. Weitere Sporthallen in Stadt und Land Dachau, wie noch im Januar angekündigt, stehen angeblich nicht auf der Belegungsliste des Landratsamts.

So viel zu den „Ukrainer:innen“ (CSU-Neusprech im Landratsamt). Doch die anschwellende Gruppe der Asylbewerber aus ganz anderen Ländern und Kulturkreisen, meist weit entfernt von Dachau und seinen Problemen, ist damit noch nicht bewältigt. Von dieser Sorte sind die gut 200 Neuankömmlinge pro Monat, die dem Landkreis derzeit Kopfzerbrechen bereiten. Die Lösung: Ein ehemaliges Seniorenheim in Esterhofen soll bald Platz für 80 Personen bieten, teilte Landratsamtssprecherin Sina Török mit.

Doch das beste kommt zum Schluss, denn auch für den Sommer plant man unter diesen Bedingungen natürlich schon vor: Da sollen zahlreiche Containeranlagen für jeweils 200 Menschen errichtet werden – nicht für 300, wie zunächst gesagt. Dafür aber eben mehr als eine solche künstliche Nachbarschaft. Der Münchner Merkur weiß von insgesamt vier solchen Anlagen in Dachau, Altomünster, Hilgertshausen-Tandern und in Sulzemoos. Das sind die Halb-, Schein- und Schlechter-„Lösungen“ kommunaler Art, die Deutschland derzeit bieten kann, die es sich bieten lässt. Im übrigen sind die vier Containersiedlungen dann ja auch nach vier Monaten voll. Und dann?

Finale Überlastung der Ressourcen und Kapazitäten

Letzte Woche pilgerten nun Politiker verschiedener Parteien zu einem „Kommunalgipfel zur Asyl- und Flüchtlingspolitik“, den allerdings nicht die Bundesregierung, sondern der CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz veranstaltete. Zum zweiten Mal versucht Merz so dem Kanzler die Butter vom Brot zu nehmen: Erst war er zuerst in Kiew, nun trifft er noch vor dem Kanzler deutsche Landräte und Kommunalpolitiker zu einem Asylgipfel.

Willkommen waren angeblich Kommunalpolitiker „jeder Couleur“. Auch der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU) reiste an, in der Hoffnung, die Bundespolitik endlich von der „akuten Not“ der Landkreise überzeugen zu können. Er wünscht sich, dass Bundespolitiker „endlich mit dem notwendigen Ernst und auch dem Willen zu inhaltlichen und lokal spürbaren Korrekturen“ an das Thema Flucht und Migration herangehen.

Was sich Löwl konkret vorstellt, weiß man dadurch noch nicht. Es ist auch nicht seine Aufgabe, die nationale Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands zu entwerfen. Aber aus Dachau und vielen, zahllosen anderen Kreisen kommt so das deutliche Signal, dass es so wie jetzt nicht weitergehen kann – gerichtet natürlich an die Bundesregierung. Fast 60.000 Asylanträge bundesweit gab es allein im Januar und Februar. Das bedeutet für Dachau, dass jede Woche 50 neue Wohnberechtigte in einem Bus in den Landkreis gefahren werden. Und diese 200 bis 250 pro Monat sind zum größten Teil keine Ukrainer.

Die Zuweisungen stammen, so Löwl, meist „aus dem Ankunftszentrum in München“, kommen „leider aber auch immer wieder unkoordiniert von anderen Stellen aus ganz Deutschland“ nach Dachau bzw. den Ankunftsort Schönbrunn. Das sind die kleinen Merkmale des Asyl-Chaos, die sich seit vergangenem Jahr besonders bemerkbar gemacht haben, etwa wenn man an die unterlassene Registrierung der Ukraine-Flüchtlinge denkt. Nun ist Planungsunsicherheit das eine, finale Überlastung der Ressourcen und Kapazitäten aber etwas ganz anderes.

Merz: Wenn die Not am größten ist, Binnengrenzen kontrollieren

Im Anschluss an die Beratungen mit den Kommunalvertretern „jeder Couleur“ will Friedrich Merz nun einen Brief an Olaf Scholz schreiben – in der Hoffnung, dass der Bundeskanzler „endlich aufwacht“, wie es etwas vorwurfsvoll in einer Vorankündigung der Unionsfraktion zu Gipfel und Brief heißt. Die Union informiert so auch die politischen Konkurrenten über ihre kommenden strategischen Schritte.

Als Merz einige Tage eher vor Publikum vom RND befragt wurde, sprach sich der CDU-Chef erstmals offen für gesteigerte Kontrollen an den deutschen Grenzen aus. Gemäß EU-Binnenmarkt handelt es sich um Binnengrenzen: „Wenn wir nicht in der Lage sind, die Außengrenzen der Europäischen Union ausreichend zu schützen, müssen wir dazu übergehen, wenn die Not am größten ist, auch die Binnengrenzen wieder zu kontrollieren.“ Der Hauptstadtkorrespondentin Kristina Dunz war nicht klar, wie Merz die Kontrollen überhaupt durchführen will, dabei sind sie an der bayrisch-österreichischen Grenze seit langem Realität. Merz verwies hier etwas umständlich auf die US-Grenze zu Mexiko und kann nichts „Abartiges“ an der ganzen Sache finden. Oder wollte er seinen potentiellen Wählern damit etwas anderes sagen?

Auf dem Kommunalgipfel wiederholte Merz seine Forderung nach Kontrollen, machte aber auch klar, dass er 200.000 Asylbewerber pro Jahr als „verträglich“ und integrierbar ansieht. Daran erheben sich nach sieben Jahren Migrationskrise einige Zweifel. Daneben forderte Merz den „besseren Schutz“ der EU-Außengrenzen und Aufnahmezentren, die dort stehen (inner- oder außerhalb der EU?).

Auf dem Gipfel wurde vor allem klar, dass Geld die aktuellen Probleme nicht mehr lösen kann, wie der Landrat Achim Brötel (CDU) aus dem Neckar-Odenwald-Kreis laut T-Online sagte: „Selbst wenn es morgen Goldstücke regnen würde, hätten wir nicht einen einzigen Menschen mehr zur Seite, um alle Herausforderungen bewältigen zu können.“ Die Kitas in seinem Kreis seien „übervoll“. Brötel stellt sich „klare Signale“ an Herkunfts- und Transitländer vor, dass „die Grenzen der Aufnahmefähigkeit bei uns überschritten sind“. Am Rande des Gipfels hörte man, dass auch von den Ukraine-Flüchtlingen nur zehn Prozent arbeiten. Außerdem kommen immer mehr von ihnen aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden in deutsche Landkreise herübergeschneit, weil die Sozialleistungen hier einfach höher ausfallen.


Nur einmal Dampf ablassen bei der Union?

Das beklagte der Oberbürgermeister von Rottenburg am Neckar, Mitglied im Bündnis „Sichere Häfen“. Die Stadt hat in diesem Rahmen bereits zahlreiche Asylbewerber zusätzlich aufgenommen, wie es in dem NGO-Kommunen-Bündnis üblich ist. Man heftet sich gerne den Sticker „wohltätig, weltoffen, menschenfreundlich“ an. Doch zu viel ist offenbar zu viel, und an Integration ist in diesem Zusammenhang schon lange nicht mehr zu denken. Der SPD-Bürgermeister aus dem ebenfalls baden-württembergischen Gernsbach beobachtet „Verdrängungseffekte bei der Wohnungssuche“. „Die Wohnungen sind voll“, sagte auch der OB der Stadt Suhl, die die (für Kriminalität im Umfeld berüchtigte) thüringische Landeserstaufnahme beherbergt. Die Bürger einer niedersächsischen Gemeinde erzürnten sich gegenüber ihrem Bürgermeister: „Hört auf, uns den Wohnraum wegzumieten!“ Auch die Forderung nach Sachleistungen statt Geldleistungen wurde immer wieder von Kommunalpolitiker erhoben, daneben natürlich die Forderung nach schnelleren Abschiebungen, wenn kein Asylgrund vorliegt oder der Antragsteller straffällig wurde, und Grenzkontrollen.

Berlins Noch-Innensenatorin Katja Kipping (Linkspartei) meinte zu dem Unionsgipfel: „Bei diesem Unions-Gipfel ging es vor allem um das Ziehen von Belastungsgrenzen und wenig um Maßnahmen, die geeignet wären, die Potentiale der Kommunen zu erweitern.“ Doch Kipping könnte sich irren – auf und nach dem Gipfel war wieder viel von einer besseren Organisation der Unterbringung hunderttausender Asylbewerber zu hören, auch von CDU-Landräten. Und das Neue Deutschland sprach vielleicht nicht so unzutreffend vom „Dampfablassen bei der Union“. Man könnte auch davon sprechen, dass die Union seit mehr als 40 Jahren ein solches Dampfventil darstellt, wenn man sich ältere Spiegel-Stories anschaut.

Auch vieles an Merz’ Forderungen in diesen Tagen blieb unscharf und ungenau. Der CDU-Chef zeigt so aber immerhin seine Absicht, sich an eine internationale Strömung anzupassen, der immer mehr konservative und liberale Parteien in Europa zuneigen. Im Innern scheint die FDP zum Teil in eine ähnliche Richtung zu wollen (wenn sie denn dürfte) und natürlich die AfD, die seit 2015, ja sogar 2014 das gleiche und noch einiges mehr fordert. Erst im Januar hat die sächsische AfD ihre Forderung nach festen Grenzkontrollen „gegen die Asylkrise 2.0“ erneuert. Zudem müsse Sachsen die Aufnahme von Asylbewerbern aussetzen und 15.000 Ausreisepflichtige abschieben. Kurz darauf schloss sich Innenminister Armin Schuster (CDU) der Forderung nach Grenzkontrollen an.

Die Zäune werden in jedem Fall zu spät kommen

Blicken wir über Deutschland hinaus, dann hatte zuletzt der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) seinen Bundespolizeichef an die US-Grenze zu Mexiko geschickt, um den dortigen Grenzzaun zu inspizieren. Das gewonnene Wissen will Nehammer nutzen, um „wirksame Barrieren“ an den EU-Außengrenzen zu errichten. Der Kanzler aus Wien über diese Barrieren: „Sie müssen sehr hoch sein, sie müssen sehr tief in den Boden reichen und sie müssen konsequent überwacht werden – technisch und personell. Nur mit diesem Dreiklang können wir illegale Migration eindämmen.“

Und Bild will noch mehr erfahren haben. Sogar Nancy Faeser und der Bundeskanzler seien ab sofort für „hohe Zäune und Mauern“ https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/endlich-faeser-plant-fluechtlings-wende-83324046.bild.html rund um die EU. Man mag es noch nicht ganz glauben, aber das wäre dann der endgültige Sieg der Zaun-Fans um Karl Nehammer. Bild weiß es angeblich genau: Faeser und Scholz „wollen das EU-Asylsystem grundlegend ändern – zusammen mit Staaten wie Frankreich, Österreich, Dänemark, Spanien und auch Griechenland! Da dies in der EU derzeit unter der Ratspräsidentschaft Schwedens nicht möglich sei, bereitet man die Neuregelungen für den Juli vor, wenn Spanien die Führung übernommen hat.“

Also Geduld, liebes Dachau und alle anderen deutschen Landkreise, die Lösung eurer dringenden Probleme kommt gewiss – in vielleicht nur einem halben Jahr, soweit ein EU-Gipfel dann zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden kann. Eines muss aber gesagt werden: Dass man Spanien mehr als Schweden die Lösung der Problematik zutraut, macht misstrauisch. Denn die sozialistische Regierung in Madrid ist nicht für scharfe Töne bei diesem Thema bekannt.

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