Tichys Einblick
"Du sollst nicht töten"

Köthen und die politische Einordnung von Tätern und Opfern

Man erschrickt nicht nur über den Erschlagenen auf dem Spielplatz der Stadt - schlimmer noch sind die Reaktionen. Die Verharmloser spalten die Gesellschaft.

„Du sollst nicht töten“. Dieses archaische, einfache, klar formulierte unumstößliche Gebot ist die Basis jedes menschlichen Zusammenlebens. Es ist die Geburtsstunde jeder Gesellschaft, macht den Menschen zum Mensch.

Was geschah

Der Sachverhalt in Köthen ist schnell erzählt: Ein junger Mann versucht einen Streit von Afghanen über eine Schwangerschaft zu schlichten. „Es kommt zum Streit mit den Afghanen. Augenzeugen sagen, Markus B. sei gegen den Kopf getreten worden. Immer wieder. Er soll gerufen haben: „Hört auf, ich kriege keine Luft mehr.“ Als ihm Hofgäste zu Hilfe kommen wollen, ergreifen die Afghanen die Flucht. Später werden zwei von Ihnen gefasst, sie sollen 18 und 20 Jahre alt sein.“, schreibt die Zeitung Volksstimme. Markus B. war kein Spitzensportler, kein ganz gesunder Mann. Er trug einen Herzschrittmacher. So weit der Fall.

Polizei: „Herzversagen“

Es ist nicht notwendig, auf die grauenhaften Details einzugehen. Aber auf die Behandlung des Falls. Die Landespolizeidirektion Sachsen-Anhalt-Ost berichtet: „Nach dem vorläufigen, mündlich übermittelten Obduktionsergebnis ist der 22-jährige Köthener einem akuten Herzversagen erlegen, das nicht im direkten kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen steht.“

Diese Meldung ist überraschend. Mündlich also berichtet der untersuchende Gerichtsmediziner; angeblich hat er bereits sehr weitreichende Kenntnis: „kein kausaler Zusammenhang“. Später werden empörte Mediziner berichten, dass Herzversagen häufig angegeben wird, wenn die eigentliche Ursache unklar ist. Sollte hier bereits eine falsche Spur gelegt werden? Gehen Obduktionen so schnell?

#Herzversagen

Weit verbreitet wird der Polizeibericht durch die Hamburger Wochenillustrierte „Die ZEIT“, die den Polizeibericht mit einem „Hashtag“ versieht, einer Raute: „Der in #Köthen verstorbene 22-Jährige ist nicht durch Gewalt ums Leben gekommen, sondern durch #Herzversagen.“

Die Verwendung einer Raute Twitter wird kombiniert mit einer Art Schlagwort, unter dem man dann entsprechende Themen finden kann. Es ist auch immer ein begriffliches Mittel, um Meinung zu erzeugen. Und in diesem Fall ist es mehr als zynisch. An der Meldung der ZEIT fällt mehrerlei auf:

Es soll also nicht Gewalt gewesen sein, weswegen der junge Mann zu Tode kam? Nun hat Gewalteinwirkung unterschiedliche Folgen. Bei einem Top-Gesunden sicherlich andere als bei einem gesundheitlich weniger Widerstandsfähigen. Die Rechtssprechung kennt das. Paragraph 227 des Strafgesetzbuches sagt in Absatz 1: Verursacht der Täter durch die Körperverletzung den Tod der verletzten Person, so ist die Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.“

Dieser Sachverhalt wird entlang dieser Linie vom Gericht aufzuklären sein. Die Richter müssen sich mit medizinischen Gutachten Klarheit verschaffen und klären, ob der Tod beabsichtigt war; dann ist es Mord, oder in Kauf genommen wurde. Bei der Strafzumessung wird dies berücksichtigt. Aber ob schwere Tritte gegen den Leib und den Kopf wirklich rechtfertigen, davon auszugehen, der Betroffene wäre ohnehin an diesem Abend gestorben? So ganz ohne Fremdeinwirkung? Wohl kaum. Es ist erschreckend. Konsequenterweise hat das Amtsgericht Dessau-Roßlau den Untersuchungshaftbefehl wegen des „Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge erlassen.“ Davon ist aber nirgends zu lesen, nur vom plötzlichen sterben eines Mannes, ganz ohne Vorgeschichte.

Erschreckend ist, wie mit dem Polizeibericht und der ZEIT eine Art Sprachregelung in die Welt gesetzt wurde. Eine Sprachregelung, an die sich viele halten.

So meldete das ZDF und später fast wortgleich die Tagesschau: Über die genauen Tatumstände ist noch nichts bekannt. Allerdings starb Markus B. „mit Sicherheit“ an Herzversagen.

Das ZDF setzt bei den heute-Nachrichten noch einen drauf: „Vom Umfeld des Toten weiß man, sein Bruder ist ein vorbestrafter rechtsextremer Intensivtäter.“ Dass der Bruder ein Rechtsexremist ist, was sagt das über den Toten? Was wollen die Medien damit über den Toten sagen?

Das ist eine bemerkenswerte Rechercheleistung. Man kennt die Identität des Opfers nicht. Aber die des Bruders ist bekannt. Ist es relevant zu wissen, was den Bruder eines Opfers auszeichnet? Wo doch sonst in deutschen Medien neuerdings Täter nicht mehr genannt werden – aber jetzt die Familienangehörigen des (unbekannten) Opfers? Das ungute Gefühl entsteht: Die Drehung der Nachricht vom „Herzversagen“ reicht noch nicht. Jetzt soll das Opfer auch noch poltisch diskreditiert werden. Ehrlich gesagt: Ich habe die Nachricht gesehen und dachte: „Aha, eine Auseinandersetzung unter Rechtsradikalen“. Der Bayerische Rundfunk wird sich noch in der Nacht für die Übernahme dieser Formulierung entschuldigen und löscht die gedankenlose Meldung vom zufälligen Herztod. Von ZEIT, ZDF und ARD fehlt solches bisher.

„Chemnitz“

Ein Redakteur des Tagesspiegels, Matthias Meissner, schreibt dazu: „Beim Bruder des Opfers handelt es sich nach @welt-Informationen um einen vorbestraften rechtsextremen Intensivtäter. Wird #Köthen das nächste #Chemnitz?“

Das Opfer trägt jetzt einen Stempel. Es hat medial seine Würde verwirkt. Er war bei der Lebenshilfe beschäftigt, einer gemeinnützigen Organisation. Aber mit diesem Bruder hat er seine Rechte verwirkt. Und mit Chemnitz wird eine neue Assoziationskette eröffnet: War auch der Erstochene von Chemnitz im Einzugsbereich „Rechtsextremer Intensivtäter“? Ist jemand, der sich über Mord und Totschlag oder Todesfolge nach Gewalt aufregt, ein Rechtsradikaler? Den Chemnitz steht dafür, dass nicht mehr ein Mord, sondern ein Video diskutiert wird, das angebliche Hetzjagden, Pogrome, Lynchjustiz zeigt. Für das Opfer von Köthen wird es kein Konzert geben.

Das ZDF übernimmt. Tatsächlich haben „rechte“ Organisationen zu einem Trauermarsch aufgerufen. Der Protest gegen den Protest ist schneller. Vor dem Bahnhof versammeln sich vermummte Linke, sie verstecken sich hinter einer Plane, auf der „Prügelstrafe“ für Neonazis gefordert wird. Darauf ist ein Bild, wie ein Antifa-Schläger einen Menschen auf den Kopf trifft. Die Botschaft ist klar, der rechtsradikale Intensivtäter hat seine gerechte Strafe verdient. Die ZDF-Reporterin spricht von „Aktivisten“. Der Aufruf, andere auf den Kopf zu treffen wird vom ZDF wohlwollend transportiert.

„Framing“

Es funktioniert; das „Framing“, die manipulative Umformung eines an sich eindeutigen Sachverhalts. Die getroffene Einstellung ist perfekt: Ein fragwürdiges Opfer mit Kontakten in die rechte Szene, das auf einem Spielplatz irgendwie zufällig an Herzversagen stirbt; und Spiegel-Online meldet: „Nach Todesfall in Sachsen-Anhalt: Rechte Gruppen marschieren durch Köthen“. Das Problem ist eingegrenzt, die Verantwortung zugewiesen.

„Ein dunkler Tag: Ein junger Mensch ist in Köthen gestorben. Ich fühle mit der Familie. Zur Stunde versuchen organisierte Neonazis mit Hetzreden die Trauer auf der Straße in Hass zu verwandeln. Ich bin in Gedanken bei den Polizeibeamten und den anständigen Bürgern von Köthen“, formuliert SPD Bundessozialminister Hubertus Heil. Auch hier kein Wort vom Verdacht der Körperverletzung mit Todesfolge. Das hätte auf einen Täter hingewiesen, den es nicht geben soll.

So ist ein Mensch in Köthen nur einfach nur zu Tode gekommen. Einfach nur so.

Und mit ihm das konstituierende Gebot: „Du sollst nicht töten“.