Tichys Einblick
Ehrenfelder Moschee

In Köln ruft der Muezzin zum ersten Mal über Lautsprecher

Die einen begrüßen es als Zeichen der Toleranz und Vielfalt, die anderen als Schritt in die Islamisierung. Dass der Muezzin ab heute auch über Lautsprecher zum Gebet ruft, hat eher spaltenden, denn versöhnenden Charakter.

IMAGO / Manngold

Zum ersten Mal hat heute in Köln um 13:24 der Muezzin per Lautsprecher zum Gebet gerufen. Obwohl eigentlich bei der Planung zugesichert worden war, dass von der Ehrenfelder Moschee ein solcher Gebetsruf nicht außerhalb des Moscheegrundstücks zu hören sein würde, haben sich damit insbesondere die Vertreter der Türkisch-Islamischen Union DITIB durchgesetzt. Der Verein, der als dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahestehend gilt, bezeichnete das Ereignis über seinen Vertreter Abdurrahman Atasoy als einen „wichtigen Schritt“ in der Wahrnehmung der muslimischen Glaubensgemeinschaft als „Teil der Gesellschaft“.

„Machtdemonstration des politischen Islam“
Ahmad Mansour kritisiert die Zulassung des Muezzinrufs in Köln als „sträflich naiv“
Der Muezzin hatte bis dahin in Köln ohne Lautsprecher zum Gebet gerufen. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Recker ordnete das Projekt als Erfolg ein. „Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird.“ Köln ist damit eine von rund 30 Gemeinden in Deutschland, in denen der Muezzin-Ruf über Lautsprecher nun üblich geworden ist.

Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack machte dabei deutlich, dass es keinen Unterschied zwischen Kirchengeläut und Muezzin-Ruf gebe. Es handele sich lediglich um eine Interpretation, dass der Muezzin-Ruf etwas „Fremdes“ sei, indes Kirchenglocken als „Teil dieser Kultur“ empfunden würden. Obwohl Läuten und Rufen eine „ähnliche Funktion“ erfüllten, sei die Ablehnung des Muezzins daher größer. Das Katholische Büro hatte indes gerade aufgrund eines solchen Ausdrucks „jahrhundertealter Kultur“ davor gewarnt, Kirchengeläut und Muezzin-Ruf auf dieselbe Stufe zu stellen; es handele sich sonst um eine „platte Gleichsetzung“.

Seyran Ates von der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin hatte im April 2020 den Ruf als „Sieg über die Ungläubigen“ und als „Vorboten eines Kulturkampfes“ in einem Artikel des Magazins „Cicero“ bewertet. In eine ähnliche Richtung stieß kürzlich der Psychologe Ahmad Mansour. Es handele sich um eine „Machtdemonstration des politischen Islam“. „Es ist verheerend, wenn ausgerechnet dieser Organisation jetzt eine derartige öffentliche Anerkennung zuteil wird“, sagte er der dpa. Die Kölner Entscheidung werde in der ganzen Welt wahrgenommen. Mansour stellte zudem infrage, ob der Islam in der deutschen Gesellschaft wirklich eine „gleichberechtigte“ Stellung einnähme. Konservative Muslime würden sich bestätigt und ermuntert fühlen, weitergehende Forderungen zu stellen.

Muezzin-Ruf
Lindner: „Wir haben die Freiheit der Religionsausübung, und dazu gehört auch das“
Die BILD-Zeitung monierte, dass der Muezzin-Ruf in eine Zeit falle, in der man sich mit Frauenrechtlerinnen im Iran solidarisiere. „Sie kämpfen dort gegen genau den politischen Islam, den die Fundamentalisten der Erdoganschen Religionsbehörde predigen“, hieß es dazu in einem Kommentar. In der Tageszeitung Welt, die wie BILD dem Springer-Verlag angehört, äußerte der Kolumnist Henryk Broder: „Wir lassen den Muezzin singen, wenn in Saudi-Arabien die Kirchenglocken läuten.“

Das Vorgehen war von politischer Seite mehrheitlich begrüßt worden. Dazu gehörte auch die historisch laizistisch geprägte FDP. Deren Parteichef Christian Lindner hatte sich nur wenige Wochen nach der Bundestagswahl zu dem Fall geäußert. „Dazu haben wir eine Rechtslage. Und wir haben die Freiheit der Religionsausübung, und dazu gehört auch das“, sagte Lindner. Bereits vor den Koalitionsverhandlungen hatte Lindner damit den bis heute anhaltenden Linkskurs seiner Partei angedeutet – nicht nur in gesellschaftlichen Fragen.

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