Tichys Einblick
Beim Kanzlergespräch

Über Bürgernähe beim Kanzlergespräch – mit rot-grünen Politikern

Es ist nicht leicht für Olaf „Doppelwumms“ Scholz. Endlich will er beim Kanzlergespräch wieder Bürgernähe demonstrieren, schummeln sich unerwartet rot-grüne Politiker ins Publikum und stellen ihm Fragen, die direkt aus dem Koalitionsplan der Ampel stammen könnten. Zufälle gibts…

Screenprint: Bundeskanzler.de

Eins muss man Olaf Scholz lassen. Er hat von Angela Merkel gut gelernt, sich so weit wie möglich aus dem Schussfeld des politischen Tagesgeschäfts rauszuhalten. Während kaum ein Tag vergeht, an dem Robert Habeck oder Annalena Baerbock Zündstoff für Empörung liefern, oder Christian Lindner und Marco Buschmann wieder einmal eindrucksvoll demonstrieren, dass auch die 7. Neuinterpretation der FDP höchstens zum temporären Steigbügelhalter für Andere genügt, hält sich der Kanzler so gut es geht zurück und lässt sein Kabinett die Wellen der Empörung, die unter seiner selbstzerstörerischen Ägide durchgesetzt werden, ausbaden.

Doch ab und an verlangt das Volk dann doch danach, mal wieder ein Lebenszeichen aus dem Kanzleramt zu vernehmen. Man möchte ja nicht, dass irgendwann unliebsame Gerüchte, ähnlich wie bei Putin, von dem bereits seit knapp 20 Jahren behauptet wird er läge mit diversen unheilbaren Krankheiten im Sterben und sei ohnehin bereits dreimal beseitigt und durch Doppelgänger ersetzt worden, Fuß fassen. Nein, es war mal wieder Zeit für einen echten Olli Doppelwumms und nachdem Bürgerpartizipation – idealerweise in Form von Gesellschaftsräten – gerade der letzte Schrei ist, entschied man sich zu einem Kanzlergespräch in der Nähe von Koblenz.

Kanzlergespräche gab es bereits zuvor, es war die insgesamt siebte Auflage. Aber man lernt dazu. Im November des Vorjahres erlitt der Kanzler beim vierten Kanzlergespräch im niedersächsischen Gifhorn seine bislang vielleicht größte PR-Schlappe (wen kümmert schon Cum-Ex?), als er einen verzweifelten Bäcker auslachte, der auf Doppelwummsens Empfehlung hin auf einen Gasofen umgestellt hatte. Das sollte sich nicht wiederholen, da unser Kanzler aber sein Herz auf der Zunge trägt, mussten wohl andere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.

Ob die SWR-Moderatorin Patricia Küll, die sich ähnlich einiger Kollegen aus dem ÖRR auf Ihrer Webseite auch als Event-Moderatorin anpreist, Teil dieser wohlwollenden Vorsichtsmaßnahmen war, kann ohne Offenlegung der Namen, der von Ministerien über Jahre geförderten Journalisten, nicht gesagt werden. Dennoch entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, als sie zu Beginn des Gesprächs verkündete, man habe „keine Ahnung welche Fragen jetzt gleich kommen“, nur um danach sofort unter allen erhobenen Händen ausgerechnet einem SPD-Ortsvorsitzenden in Zivil die erste Frage zu gestatten. Was der Frage an Form fehlte – er sprach den Kanzler weder als „Genosse“, noch als „Chef“ an – machte sie durch Wohlwollen wett. Die Sorge um die drohende Schließung eines lokalen Krankenhauses nutzte der Kanzler, um sein Programm zur veränderten Finanzierung von Krankenhäusern, das letztlich auf eine stärkere Verstaatlichung hinausläuft, zu bewerben. Frage und Antwort wurden vom Bundeskanzleramt für so gut befunden, dass sie es in die schriftliche Kurzzusammenfassung auf der Webseite des Kanzlers schafften.

Unangenehmes wird bis zur nächsten Auflage abgewimmelt

Nun gut, kann schon mal passieren. Von über 500 Bewerbern bei der Rhein-Zeitung wurden 165 zum Gespräch eingeladen. Da kann sich schon mal ein Parteigenosse hinein verirren. Und tatsächlich folgte auf diese Aufwärmrunde unter Parteibrudis die Frage einer Dame, die sich über die gesundheitlichen Folgen des Ausbaus der Hochspannungsnetzes Ultranet sorgte. Diese Frage erlaubte es dem obersten Charmeur der Republik mit einem verkniffenen Lächeln darauf hinzuweisen, dass Strom gut erforscht sei und sie sich keine Sorgen machen müsse. Insgesamt darf festgestellt werden, dass das Format des Kanzlergesprächs darunter leidet, dass es sich zumeist nicht um ein „Gespräch“ handelt, sondern um Fragen, die entweder Auflagen für den Kanzler sind, oder die in bester Politiker-Façon abgewimmelt oder abgelenkt werden, ohne dass eine Möglichkeit des Nachhakens besteht.

Da dann aber durchaus auch unangenehme Fragen, so z.B. zu Nordstream oder zum Lastenausgleich bei Impfschäden, gestellt wurden, die dann doch rigide mit „so ein Quatsch“, bzw. einem lokalpatriotischen Hohelied auf BioNTech abgetan wurden, war es gut, dass Olaf Scholz ab und an dann doch auch wieder Kollegen zur Seite sprangen mit Fragen, die es ihm erlaubten auf altbekannte Formeln zurückzugreifen.

Es wäre nur schön gewesen, wenn den Anwesenden und Zusehern deutlich gewesen wäre, wenn die rigoros vorgetragene Frage zum Klimaschutz nicht einfach von einer besorgten Bürgerin kam, sondern von der Kreissprecherin der Grünen in Koblenz. Ihre Kollegin bei den Grünen, die Koblenzer Beisitzende, kam ebenfalls zu Wort, ebenso wie ein weiterer Kandidat der Grünen aus der Region. Um das Gleichgewicht zu wahren, kam allerdings auch ein Beisitzender der JuSos zum Zuge. Insgesamt wurden also 5 von 30 Fragen – lediglich 17%, so rechnete die Rhein-Zeitung in eifriger Selbstverteidigung vor – von direkten oder erweiterten Parteifreunden des Kanzlers gestellt. Mitglieder der CDU, FDP oder gar der AfD waren übrigens, soweit es sich eruieren lässt, nicht unter den Fragestellern. Zufälle gibt es.

Wenn 1% rot-grüne Politiker 17% der Fragen stellt

Auch wenn also 83% der Fragen von Nicht-SPD und Nicht-Grünen Politikern gestellt wurden, so bleibt deren proportionaler Bevölkerungsanteil mit 17% deutlich überrepräsentiert – zumindest so lange Parteibuchbesitz nicht wieder verpflichtend wird! Noch drastischer wird die Rechnung aber, wenn man die Gesamtzahl der Bewerber in Betracht zieht. Denn von den über 500 Interessenten an der Teilnahme am Kanzlergespräch stellte 1% – 5 Politiker – 17% der Fragen. Solche Überrepräsentanz kennt man nicht einmal von den allgegenwärtigen Quotenregelungen!

Es ist natürlich nicht das erste Mal, dass solche Zufälle passieren. Man erinnert sich mit einem Schmunzeln an das zufällige Interview des ZDF im Februar mit der Passantin Marie Heidenreich, einer Grünen Landtagskandidatin, die zufälligerweise ganz begeistert war von der Verkehrsbefriedung in der Berliner Friedrichstraße. Ebenso zufällig kommen immer wieder Parteifreunde in Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu Wort, ohne dass Zuseher von deren Parteizugehörigkeit erfahren. Kann man ja nicht wissen, die sind halt einfach nur demokratisch bemühter.

Angesichts solcher Zufälle darf man schon gespannt sein auf die zufällige Zusammensetzung der demnächst wahrscheinlich unvermeidlichen Bürger- und Gesellschaftsräte. Einen Vorgeschmack in Sachen Transparenz erhielt man bereits bei der Tagung des Bürgerrats 2021, bei dem zwar die Städte angeblich zufällig ausgewählt wurden, über die Auswahl der teilnehmenden Personen methodisch aber nichts verlautbart wurde, außer dass man „hoffe so jeweils zu einer guten Mischung“ zu kommen. Klingt nach einem Garant für Zufälle. Also Sie verstehen: „Zufälle“.