Tichys Einblick
Demokratie : was ist das?

Jean-Claude Juncker: Angela Merkel ist „hoch qualifiziert“ und „ein liebenswertes Gesamtkunstwerk“

Juncker plaudert davon, die Kanzlerin wäre hoch qualifiziert. Das mag eine Spiegelung des eigenen Tuns sein. Wer, wenn nicht er musste sich immer wieder gefallen lassen, es wäre um seine Kompetenz ähnlich bestellt wie um seine Gesundheit: wackelig.

© Tobias Schwarz/AFP/getty Images

Wie weit muss man eigentlich mit der Realität auf Kriegsfuß stehen, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel „ein liebenswertes Gesamtkunstwerk“ zu nennen, wie es jetzt Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission im Interview mit der Funke Mediengruppe getan hat?

Nun werden die viel belächelten und spleenigen Auftritte des Luxemburger Christdemokraten bald Geschichte sein. Die Morgenpost spricht nostalgisch von „Tagen des Abschieds“, wenn das EU-Parlament im Mai neu gewählt wird und vieles nicht mehr so sein wird wie zuvor. Wie auch immer: Auf jeden Fall endet die Amtszeit der Kommission und ihres Präsidenten.

Jetzt müsste man Psychologen bemühen, einmal zu deuten, wie sich das anfühlt, wenn der Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit so kurz bevor steht, wenn nicht mehr jedes Pieps ein mediales Erdbeben auslöst. Sicherlich ist die Beschäftigung mit Angela Merkel für Jean-Claude Juncker auch eine Beschäftigung mit sich selbst. So wird der Schmerz über das eigene Vergehen kompensiert, indem Juncker das ebenfalls nahende Karriereende der geschätzten deutschen Kanzlerin zum Sprungbrett macht, mitten hinein in diese merkwürdig absolutistische antidemokratische EU-Kommission:

„Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Angela Merkel in der Versenkung verschwindet. Das wäre auch schade. Ihr Wort wird in der Politik weiterhin Gewicht haben. Ich kann mir deutsche und europäische Dinge nicht gut vorstellen ohne Angela Merkel. Sie ist nicht nur eine Respektsperson, sondern ein liebenswertes Gesamtkunstwerk.“

Weiter plaudert Juncker davon, die Kanzlerin wäre hoch qualifiziert. Nun mag auch das eine gewünschte Spiegelung des eigenen Tuns sein. Denn wer, wenn nicht der EU-Kommissionspräsident musste sich in den letzten Jahren immer wieder Gerüchte gefallen lassen, es wäre um seine Kompetenz ähnlich bestellt, wie um seine Gesundheit: wackelig. Für den Luxemburger ist allerdings klar: Merkels Wahlperiode endet erst 2021. „Bis dahin wird Angela Merkel noch einiges in Bewegung bringen.“ Weiß Juncker mehr? Droht er hier gar oder will er bizarrerweise mit solchen Sätzen gar Hoffnung verbreiten?

Aktuell jedenfalls sind im Kanzleramt keine Restaurationsbewegungen erkennbar, auch wenn es die Union vor den EU-Wahlen gerne so aussehen lassen will, als würde man insbesondere in der Zuwanderungsgpolitik eine härte Gangart einlegen.

Dagegen spricht aber schon die Zustimmung zu den Flüchtlings- und Miogrationspakten und aktuell die schleichende Installation einer Seebrücke von Nordafrika über das Mittelmeer nach Europa, wenn beispielsweise in einem Osterappell weite Teile der Opposition im Deutschen Bundestag den Argumentationsraum für die nächste große Zuwanderungswelle nach Merkels Gnaden vorbereiten.

Auch auf dem Landwege braut sich etwas zusammen, wenn es auf der Balkanroute wieder zu größeren und mutmaßlich durch Falschinformationen beförderten Zuwanderungsansammlungen kommt, die an die Zustände im Herbst 2015 erinnern, wenn sich beispielsweise die illegalen Grenzübertritte fast verdoppelt haben.

Aber wie würde sich das auf die EU-Wahlen auswirken, wenn der in Brüssel so unbeliebte Viktor Orbán seine wirksamsten Grenzsicherungsmaßnahmen einfach teilweise wieder aufheben würde, um neue Bilder zu produzieren von Menschenmassen, die nach Deutschland wollen? Nein, das wird wohl nicht passieren, wenn man davon ausgehen darf, das Orbáns Beschwörungen einer christlich geprägten Kultur in Europa ernst gemeint sind. Das sich nun allerdings gerade christdemokratische Politiker wie Juncker und Merkel still und heimlich auf diesen Europapatriotismus eines Viktor Orbáns verlassen, ist die eigentliche Ironie der Geschichte.

Angela Merkel und Jean-Claude Juncker werden ihre politische Macht bald verloren haben. Von ihrer Verantwortung befreit es sie allerdings nicht.