Tichys Einblick
Analyse Meinungstrend

INSA-Chef Binkert sieht Ampel bei Neuwahlen als chancenlos

Bei Neuwahlen hätte die Ampelkoalition keine Mehrheit mehr im Bundestag. Aber: Nach der Wahlrechtsreform könnte die Ampel in der Regierung bleiben, ohne eine einzige Stimme dazuzugewinnen.

IMAGO / photothek

Die Ampel ist bei Neuwahlen chancenlos, findet Meinungsforscher Hermann Binkert in seiner Analyse des INSA-Meinungstrends: Nur noch 41 Prozent würden eine der drei Ampelparteien wählen. „Das heißt, die Ampel-Koalition ist weit von einer eigenen Mehrheit im Deutschen Bundestag entfernt, wenn aktuell Neuwahlen wären,“ so der Chef des Meinungsforschungsinstituts in der Analyse vom 12.06.2023.

Regierungsoptionen gebe es für eine Jamaika-Koalition (48 Prozent) und eine Große Koalition (47 Prozent). „Rein rechnerisch wäre auch möglich eine Koalition aus CDU/CSU und AfD“, so Binkert weiter. Dieses Bündnis käme auf 46,5 Prozent, „und auch das wäre noch eine parlamentarische Mehrheit“. Weil die Linke aus dem Bundestag herausfliege, und in Kombination mit den sonstigen Parteien dadurch eine parlamentarische Mehrheit schon ab 44 Prozent der abgegebenen Stimmen möglich sei.

Die INSA-Sonntagsfrage vom 19.06. birgt allerdings Sprengstoff für die Union:

Hier hat INSA die CDU und die CSU getrennt gelistet. Das ist ungewöhnlich, macht aber mit Blick auf die Wahlrechtsreform der Ampel Sinn. Die im März beschlossene Reform umfasst eine drastische Verschärfung der 5-Prozent-Hürde.

Bisher wird die 5-Prozent-Hürde ausgehebelt, wenn eine Partei mindestens drei Direktmandate erzielt. In diesem Fall werden die Zweitstimmenergebnisse einer Partei im Bundestag mit beachtet, was wiederum Ausgleichs- und Überhangmandate auslösen kann. So geschah das 2021 mit der Linken, die wegen drei erreichter Direktmandate mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten ist.

Nach der Reform ist das in Zukunft nicht mehr möglich: Wenn eine Partei keine 5 Prozent der Zweitstimmen einsammeln kann, verfallen ihre Direktmandate gewissermaßen. Obwohl die CSU in den Landtagsumfragen gut 40 Prozent der Wähler für sich gewinnen kann, reicht das bundesweit für gerade mal 6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sollte die CSU im Bundestagswahlkampf an Wählergunst verlieren, kann sie also leicht aus dem Bundestag fliegen – und entscheidende Abgeordnete für die gemeinsame Unionsfraktion mitnehmen. Doch ohne die CSU ist die CDU längst nicht mehr stärkste Partei, sondern bricht auf 20,5 Prozent ein: auf das Niveau von SPD und AfD.

Die CSU hat die 5-Prozent-Marke bisher immer erreicht, aber 2021 war es reichlich knapp. Bei der Bundestagswahl konnte die CSU nur 5,2 Prozent aller Zweitstimmen erlangen.

INSA-Umfrage
Parteiendämmerung: Die AfD ist demoskopisch zweitstärkste Partei
Die Ampelreform des Wahlrechts, die vorgeblich den Bundestag verkleinern soll, hat also das Potenzial, die Stimmverhältnisse im Bundestag nachhaltig zu beeinflussen. Diese Verschiebung kann sogar drastisch genug sein, dass die Ampel wieder die Mehrheit im Bundestag hat. Sollte die CSU 1,1 Prozentpunkte verlieren, zugunsten der sonstigen Parteien oder gar der Ampelparteien, dann hätten die Ampelparteien, auch ohne eine einzige Stimme zu gewinnen, mit 41 Prozent der abgegebenen Stimmen die Mehrheit der im Bundestag vertretenen Abgeordneten, denn CDU und AfD erlangen nur 40,5 Prozent der Stimmen. Die Ampel könnte also weiterregieren.

Die negative Sonntagsfrage, von wem sich die Wähler wünschen, dass er nicht im Bundestag vertreten wäre, hat zwei klare Favoriten. „Sieger“ ist die AfD, bei der sich das jeder zweite Wähler nicht wünscht. Dahinter kommen Bündnis 90/Die Grünen, die jeder dritte Wähler nicht im Bundestag sehen will.

Und wen wünschen sich die Wähler als Bündnispartner? Binkert hierzu: „Zwei Drittel der SPD-Wähler wünschen sich die Grünen in der Regierungsmitverantwortung. Jeder zweite Grüne wünscht sich die SPD als Regierungsbeteiligungspartner. Zum Vergleich: Nur jeder vierte Wähler der Grünen wünscht sich die CDU/CSU als Partner in der Regierung.“

Interessant: 42 Prozent der FDP-Wähler wünschen sich eine Regierungsbeteiligung der AfD, 52 Prozent der FDP-Wähler wünschen sich eine Regierungsbeteiligung der CDU/CSU.

Laut Analyse von Binkert wünschten sich 58 Prozent der AfD-Wähler, dass ihre Partei führend an der Regierung beteiligt ist, weitere 34 Prozent wünschten sich eine Mitbeteiligung ihrer Partei. „Das heißt, insgesamt 92 Prozent der AfD-Wähler wünschen sich ihre Partei entweder führend oder beteiligt an einer Bundesregierung.“ Zum Vergleich: Bei der FDP sind es nur 78 Prozent, die sich ihre Partei führend oder beteiligt an der Regierung wünschen.

Das gibt einen Hinweis, dass es sich bei vielen Wählern der AfD eben nicht um reine Protestwähler handelt, die die Wahlpartei eigentlich nicht an der Regierung sehen wollen.

Anzeige