Tichys Einblick
Langeweile kennt Rom keine

In Italien ist alles möglich

In Rom ändert sich die Lage so schnell wie zwischen Trump und Nordkorea. Was gestern ausgeschlossen wurde, wir heute für möglich erklärt, übermorgen für wahrscheinlich - und da capo.

© ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images)

Der Brenner ist keine Sprachgrenze und keine ethnische, wie die Faschistische Bewegung Italiens einst behauptete. Geht es um das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, verläuft die Grenze zwischen den Einstellungen der Bürger und ihrer Zusammenschlüsse in der Gesellschaft einerseits und den Institutionen des Staates andererseits noch unübersichtlicher.

Immer wenn von Regierungskrise in Rom außerhalb Italiens die Rede war und jetzt erst recht die Rede ist nach dem Wahlsieg von Lega und Fünf Sterne sowie dem illegitimen Akt des Staatspräsidenten, fehlt Politikern, Journalisten, aber auch ganz normale Bürgern im Norden Europas ein grundlegendes Wissen um Italien. Sizilianer und Toskaner, Lombarden und Apulier, Friulaner und Neapolitaner und so weiter finden Regierungskrise in Rom wunderbar: Sie sagen, dann können sie in Rom nichts anstellen, was wir ausbaden müssen. Ein Hauch davon wehte aus Berlin durch Deutschland in den Monaten der geschäftsführenden Regierung.

Helds Ausblick 8-2018
Diese EU hat die motivierende Kraft Europa verspielt
Dass es dieses Mal nicht ganz so ist in Bella Italia, liegt an der Empörung der meisten Italiener weit über die Wählerschaft von Lega und Fünf Sterne hinaus. Gerd Held hat es gestern hier eindrücklich beschrieben. Vielleicht haben die EU und die sie bestimmenden Kräfte in Paris – in ihrem Gefolge jene in Berlin – geweckt, was nach der kurzen Begeisterung für den italienischen Nationalstaat im vorletzten Jahrhundert wieder hinter die regionalen Identitäten zurücktrat bis hin zu ganz realen Sezessionsbestrebungen. Vielleicht haben die EU-Zentralisten so etwas wie den italienischen Nationalstolz geweckt.

Was nördlich des Brenners als Polit-Chaos eingeordnet wird, ist ein Zustand, der sich täglich ändern kann. Ob die Übergangsregierung Cottarelli überhaupt ins Amt kommt, ist durchaus fraglich. Dass Lega und Fünf Sterne ohne Neuwahlen an die Regierung kommen, ist genauso möglich wie nach Neuwahlen unausweichlich.

Ein Amtsenthebungsverfahren gegen Mattarella ist „vom Tisch“, weil die Lega das nicht will, sagte Sterne-Chef Luigi Di Maio gestern abends (womit er ein Wahlkampf-Argument gegen die Lega kultiviert). Aber entscheidend für die Stimmung in Italien ist sein Satz zu Deutschland: „Wir müssen entscheiden, ob über die italienischen Regierungen die Wähler entscheiden oder die Ratingagenturen und Deutschland.“ Die halb zurückgenommene Aufforderung des deutschen EU-Kommissars Oettinger, die Italiener sollten Lega und Fünf Sterne nicht wählen, war der deutsche Elefant im italienischen Porzellanladen – wie im Bilderbuch.

Es gilt als nahezu sicher, dass Cottarelli von keiner Partei Unterstützung im Parlament bekommt: eine solche Niederlage für Präsident Mattarella kann seinen eigenen Stuhl zum Wackeln bringen. Jedenfalls ist alles wieder offen. Aber das finale Ergebnis steht so oder so fest. Die Zeichen gegen die zentralistische EU mehren sich.