Tichys Einblick
Misstrauen steckt an

In Frankfurt – Hessenwahl auf hessisch: „SchätzeSiemal“

Der Hashtag #Wahlbetrug geht viral. Hessens für die Wahl Verantwortliche bekommen ihren Shitstorm. Neben Beiträgen, die sich lustig machen, beispielsweise über merkwürdig komfortable grüne Mehrheiten in Altenheimen, werden auch die Stimmen zorniger und wütender Bürger lauter.

© bizoo_n/Getty Images

Wer die angespannte Stimmung vieler Bürger über den hohen Grat der Emotionen hinweg purzeln lassen will, wer will, dass der Rest von etwas, wie einem sich hartnäckig haltendem Gottvertrauen in die Institutionen des Staates vakant gestellt werden soll, der muss nur einen groß angelegten Wahlbetrug feststellen. Die Lunte am Pulverfass.

Aber wer sollte das warum wollen? Wer hätte ein Interesse daran, den inneren Frieden auf diese Weise zu gefährden? In Hessen, namentlich in Frankfurt, scheint nun im Rahmen der letzten Landtagswahl so ein Verdachtsfall von Wahlbetrug vorzuliegen oder mindestens eine entsetzliche Großschlamperei, die Verschwörungstheorien und Unterstellungen Tür und Tor öffnet.

In Frankfurt hat sich die Lage zugespitzt, der Fehlerteufel ist in die Urne gesprungen. Die Frankfurter FDP fordert aktuell, die Wahlleiterin und den Chef des Wahlamts ihrer Aufgaben zu entheben: „Die Häufung von Pannen im Frankfurter Wahlamt in jüngster Zeit sei unglaublich.“ Via Twitter wird gespottet, man solle doch den „Hessenwahl“ einmal hessisch nuscheln, heraus käme dabei „SchätzeSiemal.“

Bevor wir schauen, was die konkreten Anwürfe sind, die Feststellung: große Wahlverfälschungen, Neuauszählungen, diese generelle Infragestellung von Wahlergebnissen in ausgewiesenen Demokratien wie den USA – schwappt das alles nun mit Verspätung auch nach Deutschland herüber?

Nicht unbedingt. Denn auch hierzulande gab es schon nachweisliche Ungereimtheiten: Zuletzt 2015 bei den Landtagswahlen in Bremen. Da stellte das Verwaltungsgericht Bremen nicht weniger fest als „Manipulationen der Landtagswahl vom 10. Mai durch ehrenamtliche Helfer.“

Ein kritischer Befund
Gibt es Anzeichen von Wahlfälschung bei der Bundestagswahl?
In Frankfurt soll nun nach Angaben der Frankfurter Rundschau bei den Landtagswahlen am 28. Oktober das „Chaos“ ausgebrochen sein. In mehr als 80 Wahlkreisen hätte das Ergebnis korrigiert werden müssen. Neu ausgezählt wurden nach Angaben der Zeitung in 28 Bezirken, und in sechs davon wären die Resultate zunächst einfach geschätzt worden, weil es keine weiteren Daten gab. Die Frankfurter Freien Demokraten fordern jetzt die Bildung einer unabhängigen Kommission, die alle Vorgänge aufklären müsse. Unglaublich sei diese „Häufung von Pannen“, wenn „Stimmergebnisse von Parteien vertauscht, Zahlen verdreht und ganze Stapel mit Stimmzetteln bei der Auszählung vergessen worden.“

Und ist das Misstrauen erst einmal geweckt, dann sucht es sich überall Raum, so auch in Hanau/Großkrotzenburg, wo es in der „AfD-Hochburg“ mit dem lustigen Namen Lamboy-Tümpelgarten auf einmal acht Prozent ungültige Stimmen gegeben hat, wo der Stadtdurchschnitt etwas unter drei Prozent gelegen hätte. Der Kreiswahlleiter sieht allerdings keinerlei Grund für Zweifel an den aus Hanau und Großkrotzenburg übermittelten Zahlen. Aber wenn das Misstrauen gesät ist, setzt es sich fest und ist nur noch schwer in Vertrauen rückzuverwandeln.

Nein, wir sind nicht im sonnigen Florida, sondern weiter im eher dröge-beschaulichen Hessen. Und wir befragen einen Wahlhelfer, der in den letzten zwei Jahrzehnten schon Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen ausgezählt hat. Vom 56-Jährigen erfahren wir: „Solche Ergebnisse lassen nur zwei Möglichkeiten zu: die Wahlhelfer vor Ort sind komplett überfordert gewesen. Allerdings ist der Auszählungsvorgang an sich nicht sonderlich komplex. Oder man spricht sich ab, Stimmen für bestimmte Parteien unter den Tisch fallen zu lassen. Das ist nur mit enormer krimineller Energie möglich. Ein unglaublicher Vorgang, den Willen des obersten Souveräns zu ignorieren und eine Wahlentscheidung in Richtung der eigenen politischen Vorstellungen zu manipulieren.“

Der Hashtag #Wahlbetrug geht viral. Hessens für die Wahl Verantwortliche bekommen ihren Shitstorm. Neben Beiträgen, die sich lustig machen, beispielsweise über merkwürdig komfortable grüne Mehrheiten in Altenheimen, werden auch die Stimmen zorniger und wütender Bürger lauter.

Die Welt erkennt sogar schon neue Koalitionsoptionen: „Bei der Landtagswahl in Hessen ist es in einigen Wahlbezirken zu erheblichen Pannen gekommen. Dadurch könnten sich die Kräfteverhältnisse entscheidend verändern – und eine neue Koalition ermöglichen.“

Der hessische CDU-Generalsekretär Manfred Pentz verspricht zur allgemeinen Beruhigung, man würde aus Respekt vor dem Wähler das amtliche Endergebnis abwarten, um dann erst zu entscheiden, in welche Richtung Koalitionsverhandlungen zu führen wären.

Und der noch amtierende Landeswahlleiter hat jetzt angekündigt, die endgültigen Resultate würden am 16. November vorliegen. Wirklich die endgültigen? Wie oft eigentlich kann man „endgültige“ Zahlen vorlegen? Und der Wahlleiter hält die Spannung weiter hoch: Je nachdem, wie groß die Unterschiede zum vorläufigen Ergebnis vom 28. Oktober seien, könnte sich die Ausgangslage für mögliche Koalitionen noch mal verschieben. Und am Boden hört man das leise Zischen der Zündschnur am Pulverfass.