Tichys Einblick
Grüner Strom ist zu „flatterhaft“

Top-Ökonom Hans-Werner Sinn fordert andere Energiepolitik

Mit grüner Energiepolitik und ohne Gas kann Deutschlands Industrie keine zehn Jahre überleben, sagt Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn. Jetzt, wo dem Land Gas aus Russland fehle, sei die Energiewende ein „Scherbenhaufen“. Deutschland brauche neue Gas-Pipelines, mehr Gasspeicher - und Atomkraft.

IMAGO / Sven Simon

Mit dem Ausfall von russischem Gas ist Deutschlands grüne Energiewende „ein Scherbenhaufen“, sagt der ehemalige Präsident des Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung Prof. Hans-Werner Sinn (74). Putin habe Deutschland gelehrt: „Grüne Energiepolitik braucht Gaskraftwerke“, urteilte der Wirtschaftswissenschaftler in seiner mittlerweile schon traditionellen Weihnachtsvorlesung.

Grüner Strom ist zu „flatterhaft“

Wegen der Dunkelflauten sind Wind- und Solarenergie ganz einfach zu „flatterhaft“. Mit diesen beiden Energiequellen allein kommt Deutschland nicht aus. „Der grüne Strom braucht zwingend regelbare Kraftwerke“, unterstreicht Sinn – also Kohle-, Atom- oder Gaskraftwerke. Wegen Deutschlands Doppelausstieg aus Kohle- und Atomstrom bleibe Gas die einzige Option Deutschlands – doch davon gibt es nun zu wenig. Fazit: „Deutschlands Energiewende funktioniert überhaupt nicht.“

Der Bedarf an herkömmlicher Energiegewinnung wird aufgrund der grünen Politik sogar noch steigen – was besonders peinlich ist. Der Stromverbrauch dürfte sich nämlich vervier- oder sogar verfünffachen, wenn die chemische Industrie auf Gas verzichten soll, Autofahrer nur mehr mit E-Autos unterwegs sind und Häuser ausschließlich elektrisch geheizt werden sollen. Ergebnis: „Dann brauchen wir auch vier- bis fünfmal so viel konventionelle Kraftwerkskapazität.“ Die „grüne Bewegung“ werde zu Wunschdenken, weil sie dieses für sie „sehr, sehr peinliche Thema“ gerne ausblendet.

Alle kehren zur Atomkraft zurück – außer Deutschland

Damit Deutschland kurzfristig überlebt, braucht das Land laut Sinn eine andere Energiepolitik: „Kurzfristig heißt dabei in den nächsten zehn Jahren“. Sinn nennt neue Gas-Pipelines nach Norwegen, Großbritannien, Algerien und Israel, wesentlich mehr Gasspeicher und eine nationale Sicherheitsreserve, Flüssiggas aus Übersee, Fracking in Deutschland, und darüber hinaus die sofortige Aufhebung der Kohle- und Atomverbote. Hans-Werner Sinn ist kein großer Fan von Kohlestrom, der besonders viel CO2 verbraucht. Somit führt an Atomenergie kein Weg vorbei.

Alle Länder, die schon Atomstrom produziert haben und sich dann von ihm verabschieden wollten, sind wieder zu ihm zurückgekehrt – außer Deutschland. Der Top-Ökonom verweist etwa auf Schweden. Zurzeit erlebe man außerhalb Deutschlands überall ein riesiges Revival der Atomkraft. „Kein Problem, wir wissen halt wie es geht, die anderen liegen alle falsch“, meint Sinn ironisch.
Das Ende für Verbrenner-Motoren für Deutschland verheerend

Künftig könne Deutschland die Energiekrise auch mit mehr Speicherkapazitäten und neuen Technologien wie Kernfusion lösen – nur zurzeit sei man halt noch nicht soweit. Das klappe frühestens in einem Jahrzehnt, und bis dahin muss Deutschland überleben . Dafür brauche es pragmatische Entscheidungen, abseits von grüner Ideologie.

Besonders verheerend sei für Deutschland das Aus für Verbrenner-Motoren, denn genau hier lägen die Vorteile der deutschen Autoindustrie. Wegen ihrer umfangreichen Metallindustrie könnte sie bessere Verbrenner anfertigen als alle anderen Hersteller. Bei E-Autos sei das anders, hier habe Deutschland gegenüber China und den USA das Nachsehen. Somit brachte die grüne Politik auch Deutschlands wichtigste Industrie in Bedrängnis, was sich bereits beim verarbeitenden Gewerbe zeige. Sinn fragt sich: „Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?“


Dieser Beitrag ist zuerst bei exxpress.at erschienen

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