Tichys Einblick
Schlau gucken, nix sagen

Hans-Georg Maaßen: Wie stabil ist die Demokratie noch?

Hans-Georg Maaßen, der wegen seiner Relativierung der angeblichen „Hetzjagden“ von Chemnitz gefeuerte frühere Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, ist erstmals wieder öffentlich aufgetreten. Wir dokumentieren seine Ausführungen auf einer Veranstaltung der „WerteUnion“; 1. Teil.

imago/IPON

Maaßen sieht die Stabilität der Demokratie in Gefahr. Doch die Mutter alle Probleme sei nicht die Migration, wie sein früherer Dienstherr Horst Seehofer behauptet hat. „Die Mutter aller Probleme ist der fehlende Wille und mangelnde Bereitschaft zur Lösung“.

Diese „mangelnde Bereitschaft“ führe zu einer Erosion der Demokratie in vielen Ländern. Maaßen nannte 6 Punkte, die wir in Thesenform wiedergeben:

1. Radikalisierung und Polarisierung

Viele Politiker hätten die Politikverdrossenheit, die sich seit den 90ern zeigt, nicht ernst genommen. Die Enttäuschung über die konkrete Politik und die mangelnde Wahrnehmung der Interessen der Bevölkerung führen dazu, dass sich „immer mehr Menschen der politischen Mitte radikalisieren“. Doch statt darauf zu agieren, habe die Politik mit zunehmender Polarisierung reagiert, und jene, die widersprechen, würden vom Mainstream als Feinde abgestempelt und in die rechte Ecke gedrängt – wo sie nicht hingehören. Die geschulte Linke habe das Meinungsspektrum verengt: Ging es und geht es darum, rechte Extremisten zu bekämpften und sich mit Rechtsradikalen, auch wenn man sie nicht mag, politisch auseinander zu setzen, so wurde generell die Ausgrenzung auf „Rechte“ ausgedehnt und damit auf weite Teile des politischen Spektrums. Die Linke sei ideologisch bestens geschult und verdränge große Teile der Bevölkerung aus der Debatte.

2. Der Osten zählt nicht

Die Sorgen insbesondere der Menschen in den Neuen Bundesländern werden nicht ernstgenommen, sondern vielmehr denunziert und diffamiert. Mittlerweile „sagen viele Menschen, sie hätten Angst, ihre Meinung zu sagen. Damit haben wir jetzt aber ein grundlegendes Demokratieproblem“. Die Politik gehe nicht mehr auf die Wünsche der Wähler ein, und schon gar nicht würden diese Vorstellungen der Wähler in konkrete Politik umgesetzt. „Dabei gelte doch in der Demokratie: Dein Wille geschehe. Damit ist der Wille der Wähler gemeint, nicht der Funktionäre“.

3. Deutschland in der  Medienkrise

Medien sind wichtig, weil der Souverän, das Volk, eine belastbare Tatsachengrundlage und kompetente Einordnung brauche. „Das ist keine Liebeserklärung an die Medien – sondern beschreibt eine Notwendigkeit.” Aber nicht erst seit dem Fall Relotius sehen sich die Medien einer tiefsitzenden Vertrauenskrise ausgesetzt, weil der Eindruck entstanden sei, dass über immer mehr Felder nicht mehr fair berichtet werde. „Bestimmte Tatsachen werden nicht mehr verbreitet”. Die „Neue Zürcher Zeitung“ ist das neue Westfernsehen.

4. Neue Parallelgesellschaften von Politik und Medien

Der Grad der Entfremdung von Medien und Politik einerseits und den Ansichten breiter Bevölkerungskreise nehme immer weiter zu. „Man hat den Eindruck, es ist eine ganz eigene Parallelgesellschaften von Politik und Medien entstanden“. So gebe es mindestens zwei Wirklichkeiten – die der Politik und Medien, und die Welt der normalen Bevölkerung. Viele Politiker haben die Bodenhaftung verloren, orientieren sich an ihrer Partei statt am Wählerwillen. Die Ursache liegt auch in den vielen „Berufslosen“ im Deutschen Bundestag, die kaum mehr Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen mitbringen.

5. Politischer Idealismus und Weltfremdheit

Generell greife ein politischer Idealismus um sich, der zur Weltfremdheit führe. Kohleausstieg, Atomausstieg, Klimapolitik und Migrationspolitik seien Felder, in denen Idealismus und Weltfremdheit den Blick auf die Realität trüben und die notwendige Rationalität und nüchterne Vernunft ausgeschaltet werden. Es sei eine neue Romantik; und diese 200 Jahre alte deutsche Gegenbewegung zur Aufklärung blockiere sachgerechte Entscheidungen. Aber die Welt folge dem deutschen Vorbild nicht. Und diejenigen, die Sachentscheidungen einfordern fühlen sich von diesem Staat abgestoßen. Und irgendwann wird die Realität die Träume platzen lassen.

6. Falsche Loyalitäten

Als Beispiel für sich auflösende Loyalität nennt Maaßen beispielhaft seinen früheren Dienstherrn, den früheren Innenminister Thomas de Maizière. Rückblickend auf die Migration des Jahres 2015 habe de Maizière erklärt, eine Zurückweisung an den Grenzen sei rechtlich möglich, aber die Bundesregierung sei darauf nicht eingestellt gewesen. Denn es hätten „hässliche Bilder“ entstehen können, schreibt der Ex-Minister in seinem neuesten Buch. „Diese Bilder hätten wir nicht ausgehalten“. Für Maaßen ist das das Musterbeispiel eines falsch verstandenen Loyalitätsbewusstseins. Denn Politiker seien „in erster Linie dem Gesetz und dem Volk verpflichtet, nicht ihrer Partei“. Gerade solche Partei-bezogene Loyalität drängt sich aber immer mehr in den Vordergrund. Politiker müssten wieder lernen, hässliche Bilder und schlechte Presse auszuhalten. Politik sei mehr, „als nur Geld auszugeben“ und sich damit beliebt zu machen.

Gerade diese falschen Loyalitäten gefährden die Demokratie. Maaßen zieht Bilanz nach rund 240 Gesprächen mit Politikern seit der Flüchtlingskrise 2015: Fast alle seien der Überzeugung, dass der Zuzug nicht zu bewältigen sei – aber diese Aussagen im Vier-Augengespräch haben sich „komplett umgedreht, sobald sie in Interviews oder Talkshows auftreten“. Gerade in der SPD sei diese mangelnde öffentliche Einsichtsfähigkeit besonders auffällig gewesen: Schließlich habe die SPD mit den Hartz-Gesetzen der Union sozial- und wirtschaftspolitische Probleme gelöst. In der Migrationspolitik werde die SPD nicht noch einmal der CDU die Arbeit abnehmen.

Maaßen gibt sich illusionsfrei. Sein Onkel habe als Grundhaltung der Deutschen in den 40erJahren festgestellt: „Schlau gucken, nix sagen“. Diese Haltung wiederholt sich jetzt. Dabei machte Maaßen auch der Wirtschaft massive Vorwürfe. Die planten wegen der vermurksten Energiepolitik längst den Umzug ins preiswertere Ausland – aber bringen nicht den Mut auf, dies der Kanzlerin ins Gesicht zu sagen. Längst sei die Gesellschaft bei Linksradikalen weitaus toleranter als bei Rechtsradikalismus. Als Beispiel nannte er den Juso-Chef Kevin Kühnert. Der habe eine Solidaritätserklärung zur „Roten Hilfe“ in Gang gesetzt, wobei dieser Verband seit vielen Jahren unter Beobachtung der Verfassungsschutzämter stehe. „Stellen Sie sich mal vor, die Junge Union hätte ihre Solidarität mit der Heimattreuen Deutschen Jugend ausgedrückt“.