Tichys Einblick
Umstrittene Entscheidung

Hamburg: Schülerin darf voll verschleiert in die Schule kommen

Besonders in Norddeutschland ist erneut eine politische Diskussion darüber entbrannt, ob es in Schulen oder Hochschulen erlaubt sein soll, mit einem Niqab bekleidet zu erscheinen. Wie positionieren sich Parteien und Gewerkschaftsvertreter?

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Zunächst ist es aktuell in Schleswig-Holstein zu erregten Diskussionen darüber gekommen, ob Vollverschleierungen an Hochschulen verboten werden sollten. Sogar den seltsam taktierenden Vorschlag der Landes-FDP, die einzelnen Hochschulen selbst sollten darüber entscheiden, haben die Grünen im Hohen Norden strikt abgelehnt. Das „entflammte“ („Bild-Zeitung“) in Norddeutschland und darüber hinaus erneut die Kontroversen über eine grundsätzliche Haltung zu Forderungen, Niqabs oder Burkas im öffentlichen Raum zu tolerieren. Das gilt auch und besonders für das Nachbarland Hamburg, wo Wahlkampf ist – am 23. Februar finden dort Landeswahlen statt.

Großes Aufsehen hat auch das neue Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichts erregt, das ein Verbot des Tragens eines Niquab an Hamburger Schulen gegenwärtig nicht für rechtens erklärt hat. Dass gleich darauf auch die Gewerkschaft Erzíehung und Wissenschaft (GEW) – eine der acht Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) – auf Bundesebene erklärt hat, sie positioniere sich entschieden gegen ein Verbot von Niqabs an Schulen oder Hochschulen, befeuert zusätzlich die Diskussionen über religiös-salafistisch begründete Bekleidungsvorschriften. Jetzt auch wieder in Bundesländern wie NRW oder Berlin.

Wie begründet das Verwaltungsgericht sein Urteil?

Die Richter des Verwaltungsgerichts in der Hansestadt Hamburg entschieden in erster Instanz, dass es einer staatlichen Beruflichen Schule nicht erlaubt sei, einer 16-jährigen muslimischen Schülerin Menna F. zu verbieten, vollverschleiert zum Unterricht zu erscheinen. Für ein Verbot fehlen angeblich die rechtlichen Grundlagen.

Es geht in diesem Fall der muslimischen Schülerin Menna F. juristisch vor allem um das angebliche Recht „auf freie Religionsausübung“. Damit werden wichtige Grundrechtsfragen tangiert. Rechtlich, so hat sich das Verwaltungsgericht in seiner umfassenden Urteilsbegründung festgelegt, gelte es abzuwägen zwischen dem staatlichen Bestimmungsrecht, das den Schulen „sehr weiten Spielraum“ lasse, und der Religionsfreiheit. Hier schlage „das Pendel zugunsten von Menna F. aus“. Es gebe keine Vorschrift im Hamburgischen Schulgesetz, auf die sich ein Vollverschleierungs-Verbot stützen lasse.

Rechtsanwalt Alexander Heyers jedenfalls – der die muslimische Schülerin und deren Mutter vertritt, die mit einem Ägypter verheiratet und vor nicht langer Zeit zum muslimischen Glauben konvertiert ist – zeigt sich nun ob des Urteils überaus zufrieden. „Meine Mandantin ist unglaublich erleichtert“, sagt er. Denn seit dem 3. Februar darf Menna F. auf Grund des Gerichtsurteils, wie es in der juristischen Sprache heißt, „in Anerkenntnis des Beschlusses“ am regulären Unterricht an der Beruflichen Schule im Stadtteil Hammerbrook teilnehmen. Sie wird nun ihre Mitschüler näher kennenlernen, auch deswegen, weil sie ihnen aus der Nähe ins Gesicht schauen kann. „Nur werden die anderen sie nicht zu Gesicht bekommen“ („Hamburger Abendblatt“).

Menna F. handelt angeblich „aus tiefer religiöser Überzeugung“ – sie fühlt sich „erhöht“

An Hamburger Schulen ist es für Schülerinnen muslimischen Glaubens mittlerweile schon länger möglich, Kopftücher zu tragen. Auch das Tragen von Burkinis wird im Schwimmunterricht seit einiger Zeit gestattet. Nun will die 16-jährige Muslimin Menna F. darüber hinaus partout – gegen den Willen der Schulleitung und der vorgesetzten Schulaufsicht – mit einem Niqab bekleidet in den Unterricht einer staatlichen Beruflichen Schule kommen, die zum Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) gehört. Um den Willen der Schülerin durchzusetzen, sind die Mutter der Schülerin und deren Rechtsanwalt vor das Verwaltungsgericht gegangen.

Doch der Reihe nach. Die junge Muslimin ist im August 2019 auf eine staatliche Berufliche Schule in Hamburg-Hammerbrook gewechselt. Die Schülerin hat offenbar zur Zeit das Ziel, später im Einzelhandel zu arbeiten. Die Schule wollte eine voll verschleierte Teilnahme am Unterricht unter keinen Umständen erlauben. Statt im Klassenraum mit ihren Mitschülern zu lernen, hat die Mandantin des Rechtsanwalts – „wenn sie nicht krank gewesen“ ist („Abendblatt“) – in einem Nebenraum sitzen müssen, jeweils über eine Doppelstunde.

Ebenfalls die Schulpsychologin, so Heyers, hat versucht, Menna F. von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Niqab in der Schule abzulegen. Die Psychologin habe dem Mädchen auch erklärt, kaum ein Ausbildungsbetrieb werde einen verschleierten Lehrling einstellen, mit einem Niqab könne sie sich nur ihre Zukunft verbauen.

Doch die Schülerin gab nicht nach – und die Berufliche Schule auch nicht. So spitzte sich der Konflikt zu. Schließlich drohte die Schulaufsicht Menna F.s Mutter ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro an, „falls sie nicht dafür sorge, dass ihre Tochter unverhüllt in der Schule erscheine und ihr Gesicht zeige“ („Abendblatt“). Dagegen legte die Mutter erfolgreich Widerspruch beim Verwaltungsgericht ein.

Die Schule geht davon aus, dass die Mutter von Menna F. erheblichen Druck auf ihre Tochter ausübt. Die Mutter bestreitet das jedoch, sie halte ihre Tochter weder dazu an noch davon ab, einen Niqab zu tragen. Menna F. habe sich vielmehr „aus tiefer religiöser Überzeugung dafür entschieden“. Sie fühle sich durch den Niqab „erhöht“.

Die große Mehrheit muslimischer Menschen weltweit lehnt Vollverschleierungen ab

Tatsache ist,

  • dass die Medien im Norden in diesen Tagen durchweg – auch im Interesse des „Ausbildungsfriedens“ – die Notwendigkeit sehen, dass Niqabs und ähnliche Verschleierungen in Hochschulen oder in Schulen als nicht zulässig erklärt werden sollten
  • dass die ganz große Mehrheit der Bürger – nicht nur im Hohen Norden – volle Verschleierungen offensichtlich ablehnt.

Selbst „Tagesschau.de“, die sich meist eher durch eine ausgesprochene Islam-Freundlichkeit profiliert, hat den ägyptischen Islam-Gelehrten Scheikh Omran zu Wort kommen lassen, der schon vor rund vier Jahren klar festgestellte: „Der Koran schreibt keinen Gesichtsschleier vor.“ Vielmehr gelte generell „der Niqab als abzulehnender religiöser Fanatismus“.

Einige Islamwissenschaftler vermuten, dass es in Deutschland bisher womöglich nur 100 bis 300 Frauen gibt, die voll verschleiert in der Öffentlichkeit auftreten. Rechtsanwalt Heyers sagt, seiner Mandantin sei es durchaus bewusst, dass eine komplette Verhüllung des Gesichts vor allem in westlichen Ländern oftmals Unbehagen auslöst, dass sie polarisiert und dass sie offenkundig viele Menschen sogar provozieren kann. Der Rechtsbeistand räumt ebenfalls ein, dass auch er Menna F. zuletzt unverschleiert gesehen hat, als diese noch ein Kind gewesen ist und er damals in einer anderen Sache ihre Familie vor Gericht vertreten hat.

Doch den Rechtsanwalt der Menna F. – und einige extrem radikale Islam-Organisationen in Deutschland – ficht offenbar auch nicht an, dass Vollverschleierungen selbst von der großen Mehrheit der islamischen Menschen weltweit abgelehnt werden. Mehr noch: Viele Muslime sind aus islamistisch und diktatorisch regierten Staaten ebenfalls deswegen in westliche Länder geflohen, weil diese Menschen meinten, sich nur so den totalitär-salafistisch definierten Bekleidungsvorschriften für Frauen entziehen zu können.

Wahlkampf: Schulsenator Rabe (SPD) positioniert sich gegen das Verwaltungsgericht

Die Hamburger Schulbehörde, die von dem sozialdemokratischen Senator Ties Rabe geleitet wird, will jetzt angesichts von vielen empörten Reaktionen in Medien und allgemeiner Öffentlichkeit gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts juristisch vorgehen und das Oberverwaltungsgericht anrufen. Rabe hatte es allerdings in der Vergangenheit vermieden, eine unmissverständliche politisch-rechtliche Position zu beziehen.

Mit ziemlicher Verspätung soll nun aus der Sicht des Senators – sicherlich auch im Zeichen des aktuellen Wahlkampfs an der Elbe – anscheinend sogar das Schulgesetz so geändert werden, dass im Schulbereich Vollverschleierungen verboten sind.

Der Schulsenator glaubt zwar weiterhin offiziell, dass das bisherige Regelwerk eigentlich ausreiche, um ein Verschleierungsverbot zu begründen. Ties Rabe will aber nun offenbar auf jeden Fall verhindern, dass das Beispiel Menna F. buchstäblich Schule macht. Die Schulbehörde erklärt heute zum Beispiel gegenüber der „Bild-Zeitung“ – wenige Tage vor den Landeswahlen –, dass ein Niqab die „interpersonale Kommunikation“ zwischen Schülern und Lehrern blockiere, schulisches Lernen „aber eine emotionale Teilhabe am Unterricht“ erfordere.

Daher müsse auch die Mimik der Schüler erkennbar sein. Schule und Unterricht könnten nur funktionieren, „wenn auch alle Schülerinnen und Schüler ihr Gesicht zeigen“. Der Gesichtsschleier jedoch dokumentiere eine „zutiefst frauenfeindliche“ Haltung und degradiere Frauen zu „bloßen Gegenständen“.

Die Positionen der anderen Parteien zur Vollverschleierung

Die Hamburger FDP hat sich in den letzten Tagen dahingehend geäußert, dass sie für ein Niqab-Verbot an Schulen eintritt. Eine ähnliche Haltung vertreten aktuell die Grünen in Hamburg, obgleich ihr grüner Nachbarverband in Schleswig-Holstein eine Ganz-Verschleierung an Hochschulen zulassen will.

Diese Parteien – sowie die CDU und die SPD – haben sich freilich vor einiger Zeit geweigert, einem parlamentarischen Antrag der AfD zu folgen, in dem genau dieses Verbot gefordert wurde. Die Partei die Linke machte jüngst erneut deutlich, dass sie Niqabs in schulischen Einrichtungen grundsätzlich nicht verbieten will.

Marcus Weinberg, Spitzenkandidat der CDU für die nächsten Parlamentswahlen in Hamburg, hat sich jetzt im Wahlkampf auffällig kritisch in Stellung gebracht – gegenüber der rot-grünen Koalition und in Richtung der anderen Oppositionsparteien FDP und Linke: Wenn Rot-Grün nicht gestalte, „entscheiden am Ende die Gerichte“.

Erst hätten „Schulsenator Ties Rabe und Rot-Grün ein gesetzliches Niqab-Verbot verhindert und jetzt kommt drei Wochen vor der Wahl der große Aufschrei“. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion habe „schon 2017 den rot-grünen Senat aufgefordert, die Vollverschleierung in öffentlichen Bereichen wie Schulen, Hochschulen und Kitas per Gesetz zu verbieten“. Doch „sowohl Rot-Grün als auch Die Linke und die FDP haben unsere Forderung abgelehnt“.

Noch schärfere Kritik kommt von der AfD-Fraktion im Landesparlament, der Bürgerschaft. Alexander Wolf, ihr Co-Fraktionsvorsitzender, fordert ein „allgemeines religiöses Verschleierungsverbot an allen staatlichen Bildungsstätten und öffentlichen Einrichtungen“. Ein Verbot sei „notwendig und nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs rechtmäßig, viele andere europäische Staaten machen es vor“.

„Gesicht zeigen“, so die AfD, sei „eine Grundvoraussetzung bei der Kommunikation“. Bei der Vollverschleierung handele es sich dagegen um „eine Totalverweigerung der sozialen Kommunikation“ und um „eine Provokation gegen unsere gesellschaftlichen Mindeststandards“. „Unsere Freiheit“, sagte Wolf, brauche „ein gewisses Maß an Säkularisierung und nicht eine fortschreitende Islamisierung“.

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