Tichys Einblick
Politisch tarnen und täuschen

Gute Nacht, Bundeswehr!

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, stellte im „Welt“-Interview die Frage und beantwortete sie gleich selbst: „Soll Deutschland wieder einsatzbereite Streitkräfte haben oder nicht? Wenn nein, schlage ich die Auflösung der Bundeswehr vor.“

© Alexander Koerner/Getty Images

Es gibt eine große Geschichtsschreibung zur Frage, warum große Reiche von der Bildfläche verschwanden. Diese Geschichtsschreibung gilt in Zeiten der „political correctness“ als historisch nicht sonderlich korrekt. Aber eigentlich müsste man wissen, dass es immer ein paar besonders wirkmächtige Faktoren waren, die dieses Verschwinden verursachten. „Nachhaltig“ würde man diese Faktoren heute nennen. Man könnte sie auch als Ursachen von Dekadenz bezeichnen. Ob Rom oder Karthago: Zu diesen Faktoren zählten der Geburtenrückgang, das Erstarren im Luxus – und die nachlassende Bereitschaft zur Verteidigung.

Nun gut, Deutschland (von Bismarck an) war und ist kein großes Reich, auch wenn es dies zwölf Jahre lang für tausend Jahre werden sollte. Aber lassen wir die Geschichtsphilosophie und begeben uns in die Niederungen der (noch?) real existierenden Bundeswehr.

Es ist ein Horrorgemälde, das sich hier darbietet. Beispiele – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Auflistung der Personal- und Nachwuchsprobleme:

  • In der Panzerlehrbrigade 9 in Munster stehen derzeit nur neun von 44 vorgesehenen Leopard-2-Kampfpanzern zur Verfügung. Von 14 benötigten Marder-Schützenpanzern sind nur drei einsatzfähig. Das Aberwitzige: Diese Brigade soll ganz vorne dabei sein, wenn die Bundeswehr ab 2019 die schnelle NATO-Eingreiftruppe „Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF) in Osteuropa anführen soll.
  • Von den sechs U-Booten der Bundesmarine ist aktuell kein einziges startklar.
  • Die Luftwaffe kann ihre NATO-Verpflichtungen ebenfalls nicht erfüllen. Die Einsatzfähigkeit des Eurofighters, des Tornado-Kampfjets und des CH-53-Transporthubschraubers hat sich verschlechtert. Alle diese Systeme stehen nur vier Monate pro Jahr für Einsatz, Ausbildung und Übung zur Verfügung. Die anderen acht Monate dienen der Reparatur, der Instandsetzung und der Umrüstung am Boden.
  • Die Hubschrauber vom Typ „Tiger“ und NH90 leiden unter technischen Ausfällen
  • Um die Fluglizenzen der Piloten der Bundeswehrhelikopter zu erhalten, mussten ab Ende 2017 für 21 Millionen Euro 6.500 Flugstunden ADAC-Hubschrauber EC 135 angemietet werden.
  • Die Auslieferung des Airbus-Transporters „A400M Atlas“ verzögert sich um weitere Jahre. Ab 2021 könnte es sein, dass die Bundeswehr überhaupt keine Transporter mehr hat, wenn die letzten Transall-Transporter außer Dienst gestellt wurden.
  • 100 deutsche Soldaten konnten nicht aus Mali zurückgeholt werden, weil die Luftwaffe kein einsatzbereites Fluggerät hatte.
  • Die „Tornado“-Aufklärer, die die Türkei im Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak schützen sollten, waren nicht immer startklar.
  • In Malawi stürzte im Juli 2017 ein Hubschrauber des Typs Tiger ab, weil er nicht für die westafrikanischen Temperaturen tauglich war; beide Piloten starben.
  • Für den Transport von Großmaterial mietet man bei den Russen oder bei den Ukrainern die Antonov 124-100. Sie kann 120 Tonnen Fracht rund 4.800 Kilometer weit fliegen.

Vor diesem Hintergrund sind es Gute-Nacht- und Träum-schön-Geschichten, die der angestrebte GroKo-Vertrag und die geschäftsführende Verteidigungsministerin auftischen und mit denen die Bundeswehr in den Schlaf gewiegt werden soll zusammen mit den Verbündeten.

Der Auftritt der geschäftsführenden Verteidigungsministerin von der Leyen bei der 54. Münchner Sicherheitskonferenz MSC (16. bis 18. Februar 2018) vor 30 Regierungschefs, 80 Außen- und Verteidigungsministern und weiteren 400 Hochkarätern war denn auch vor allem von NATO-Seite nur mit enden wollendem Applaus quittiert worden. Von-der-Leyen-Sätze wie die folgenden ziehen nicht: „Was wir brauchen, ist ein Pakt für vernetzte Sicherheit.“ „Wir haben uns aufgemacht, eine ‚Armee der Europäer‘ zu schaffen.“ Da weiß doch jeder: Die Arbeitsteilung in der NATO bleibt, wie sie war: Die einen sind für das militärisch Robuste und die anderen für das humanitäre Drumherumreden zuständig. Auffällig jedenfalls ist, dass der GroKo-Vertrag den Wehretat an den der Entwicklungshilfe koppelt.

Oder nehmen wir die 177 Seiten des angestrebten GroKo-Vertrages: Gerade etwas mehr als drei Seiten (S. 156 bis 159) sind dem Punkt „Moderne Bundeswehr“ gewidmet. Zusammengefasst werden diese drei Seiten einleitend auf Seite 17 wie folgt: „Wir stärken unsere Bundeswehr und die europäische Verteidigungsstruktur: Mehr Personal, beste Ausbildung und moderne Ausstattung bei der Bundeswehr durch einen höheren Verteidigungsetat. Ausbau der europäischen Verteidigungsunion mit PESCO, europäischem Verteidigungsfonds und weiteren Schritten auf dem Weg zur ‚Armee der Europäer‘“. Alles Polit-Lyrik!

Das Schlimme ist: Die Bundeswehr genießt in der Bevölkerung immer weniger Sympathie und Rückhalt. Das haben soeben das Institut für Demoskopie Allensbach und die Beratungsgesellschaft Centrum für Strategie und Höhere Führung in ihrem „Sicherheitsreport 2018“ betont. Das Vertrauen in die Bundeswehr ist stark zurückgegangen – von 53 Prozent im Jahr 2011 auf nur noch 45 Prozent im Januar 2018. Die Bevölkerung ist nicht bereit, mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben zu lassen: Nur 27 Prozent sprechen sich dafür aus. „Das Bild, das die Deutschen von der Bundeswehr haben, ist bedenklich“, sagte Klaus Schweinsberg, Geschäftsführer des Centrums für Strategie und Höhere Führung. Das ist das Problem. Nicht die Friedensbewegten sind es, die anlässlich der 54. MSC demonstrieren wollen und 4.000 Polizisten auf den Plan gerufen haben: darunter Attac, Blockupy, die Linke, die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verdi, das Münchner Friedensbündnis, das Bündnis gegen Krieg und Rassismus, Pax Christi usw.

Man möchte der hohen Politik nicht unterstellen, dass sie die Bundeswehr deswegen verkommen lässt. Aber Politik muss in der Frage der Bundeswehr endlich Führung zeigen und Überzeugungsarbeit leisten. Sonst kann man gleich dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, folgen, der soeben in einem Interview mit der „Welt“ eine Frage stellte und sie gleich selbst beantwortete: „Soll Deutschland wieder einsatzbereite Streitkräfte haben oder nicht? Wenn nein, schlage ich die Auflösung der Bundeswehr vor.“


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