Tichys Einblick
Jede*r Europäer*in

Grüne Sprachblüten zur EU-Wahl

„Wir halten Tiere in sehr großer Zahl, um sie zu töten und zu essen.“ Ein Zitat aus einem Kinderbuch? Nein, aus dem Wahlprogramm 2019 der GRÜNEN. Dem Wähler trauen die Grünen nur leichte Sprache zu - außer bei der Genderei. Da wird die Welt kompliziert.

imago images / Stefan Zeitz

„Liebe Wählerinnen und Wähler“  ̶  mit dieser gutbürgerlichen Anrede beginnt das grüne Wahlprogramm, das dann, 187 Seiten später, mit dem Kapitel 6.4 „Städten und Regionen eine Stimme geben“ ohne Schlussformel endet. Eine echte grüne Anrede müsste heute allerdings „Liebe Wähler*innen“ lauten, entsprechend dem im Programm üblichen Bezeichnungsmuster für geschlechtergemischte Personengruppen, zum Beispiel:

Europäer*innen     Faschist*innen     Kleinbäuer*innen     Muslim*innen     Nutzer*innen     Rechtspopulist*innen     Steuertrickser*innen     Verbraucher*innen

Der Genderstern ist das politsprachliche Logo des Programms und zeigt an, dass die Grünen  ̶  wie die Linken  ̶  von der geschlechter- zur gendergerechten Sprache übergegangen sind: also keine Paarformel mehr (Schülerinnen und Schüler), wie sie das SPD-Programm noch systematisch benutzt; kein Binnen-I (SchülerInnen), kein Schräg- und Bindestrich (Schüler/-innen). All diesen Markierungen  ̶̶  so die aktuelle lin̶ks-grüne Sprachmeinung  ̶  liege eine binäre Geschlechterordnung aus (heterosexuellen) Männern und Frauen zugrunde, durch die andere Geschlechtsidentitäten (Gender) ausgeschlossen und damit diskriminiert würden, konkret (S. 101): „Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queer* Menschen (LSBTIQ*)“.

Der sprachkorrekte Gebrauch der Gendersternformen ist in schriftlicher Kommunikation (bei der Aussprache tun sich auch Aktivisten schwer) relativ einfach. Trotzdem ist die Fehlerquote im grünen Programm hoch: Neben „Landwirten“ kommt „Landwirt*innen“ vor; es gibt „Menschenrechtsverteidiger“ und „Menschenrechtsverteidiger*innen“, den „Bäcker um die Ecke“ und „den/die Bäcker*in um die Ecke“. Manche Personengruppen treten nur im Maskulin auf: Bei „falsche Führer“, „Nationalisten“ und „Spekulanten“ mag das an der negativen Bedeutung liegen, aber auch positiv bewertete „Experten wie Polizisten, Juristen, Mediatoren“ haben keinen Genderstern. Schließlich können im selben Satz genderkorrekte und -inkorrekte Formen stehen:

„Die EU-Kommission schätzt, dass Europas ehrliche Steuerzahler*innen jedes Jahr um mindestens 50 Milliarden Euro durch Steuerbetrüger bei der Mehrwertsteuer geprellt werden.“ (S. 66)

Den „ehrlichen Steuerzahler“ verkörpert für die Grünen der kleine „Bäcker um die Ecke“. Eine Wunschvorstellung: Die meisten Bäckereien um die Ecke gehören heute Discountern und Großbäckereien. Den Metzger um die Ecke erwähnt das grüne Programm nicht, das könnten vegane und tierschützerische  Wähler missverstehen.

„Auch Haus- und Straßentiere müssen in Europa ein würdiges Leben haben“, heißt es im Europawahlprogramm der Grünen (S. 44). Und für Menschen gilt: „In der EU sollten alle Menschen ein würdevolles Leben führen können“ (S. 71). Was ist besser: würdiges oder würdevolles Leben? Und worin besteht der Unterschied zwischen müssen und sollten?

Mensch, meist in der Pluralform: Menschen, ist im Programmtext bei weitem die häufigste Personenbezeichnung. Dabei werden zahlreiche Menschengruppen unterschieden:

● (alle/viele) Menschen in Europa
● alle jungen Menschen unter 25 Jahren
● Menschen,  besonders Frauen, in den Ländern des globalen Südens
● Menschen mit/ohne Behinderung
● Menschen, die verschiedensten Religionen und Weltanschauungen

Was ist der Mensch? Ein Wahlprogramm ist keine philosophische Abhandlung, aber zeigt ein   bestimmtes Menschenbild. Bei den Grünen fallen zwei anthropologische Eigenschaften auf:  Der Mensch ist ein Wanderwesen  ̶  „Migration ist so alt wie die Menschheit“ (S. 89)  ̶  sowie ein  ängstliches und hilfsbedürftiges Wesen. Zum Vergleich: In Goethes Gesamtwerk kommt das Wort Mensch etwa 6.000 mal vor und bedeutet laut Goethe-Wörterbuch  in erster Linie „das aktiv handelnde, gestaltende, in freier Selbstbestimmung sich verwirklichende Individuum“.

Aber Goethe war Deutscher, und diese Menschengruppe kommt im ganzen grünen Wahlprogramm kein einziges Mal vor, auch nicht in umschreibender Form (deutsche Menschen, Menschen mit Germanitätshintergrund  o. Ä.). Nun stellen die Deutschen zwar nur 1 Prozent aller Menschen auf der Welt, aber in Deutschland sind es doch 85 Prozent und unter den Wahlberechtigten für die Europawahl sogar 95 Prozent. Auch werden im grünen Wahlprogramm  viele Menschengruppen erwähnt, die kleiner sind als die Deutschen, zum eispiel die „Bewohner*innen der [durch den Klimawandel] bedrohten Inselstaaten [im Pazifik]“ oder „die Menschen mit Romnohintergrund [= Sinti und Roma] in der EU“.

Warum sprechen die Grünen den Deutschen die sprachliche Existenz ab? Am Wort kann es nicht liegen: Es gehört zum Grundwortschatz der deutschen Sprache und ist zudem genderfreundlich: „Liebe Deutsche“ spricht alle Geschlechter an. Auch sachlich ist die Menschengruppe der Deutschen in einem EU-Wahlkampf durchaus erwähnenswert, zumindest im Wahlprogramm einer deutschen Partei. Aber vielleicht handelt es sich bei der sprachlichen Nichtanerkennung der Deutschen um einen Fall von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Wahlprogramm  Kap. 10.7): Diese Form der Diskriminierung wollen die Grünen  als „Straftat“  bewerten  und  durch eine „europaweite, ständige, systematische Erfassung [bekämpfen]“ (S. 107).