Tichys Einblick
Dokumentation

Gebote statt Verbote: Kassenärztliche Bundesvereinigung nennt Alternativen zum Lockdown

Die Virologen Streek und Schmidt-Chanasit sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung äußern Kritik an der bisherigen Corona-Politik und formulieren Alternativen.

Getty Images | Screenprint

In einem Positionspapier mit dem Namen „Evidenz- und Erfahrungsgewinn im weiteren Management der Covid-19-Pandemie Berücksichtigen“ positionieren sich die Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung gegen die Pläne der Bundesregierung. Unterstützt wird dieses Positionspapier von einer langen Liste anderer Ärztevereinigungen. [Nachtrag 31.10.2020: Mittlerweile distanzieren sich einzelne Verbände von Teilen dieser Ausarbeitung.]

TE dokumentiert das Positionspapier hier.

Das Papier kritisiert unter anderem den Lockdown:

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„Wieder auf Lockdowns zu setzen, könnte – in der Hoffnung Infektionszahlen zu senken – die reflexartige Konsequenz darauf [steigende Fallzahlen, die Red.] sein. Aber wir haben in den Monaten der Pandemie deutlich dazugelernt. Der Rückgang der Fallzahlen ist politisch zwar eine dringende Aufgabe, aber nicht um jeden Preis. Wir erleben bereits die Unterlassung anderer dringlicher medizinischer Behandlungen, ernstzunehmende Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen durch soziale Deprivation und Brüche in Bildungs- und Berufsausbildungsgängen, den Niedergang ganzer Wirtschaftszweige, vieler kultureller Einrichtungen und eine zunehmende soziale Schieflage als Folge.“

Auch berufen die Mediziner sich auf das erste Prinzip des ärztlichen Handelns: „nicht schaden“. Auf die Situation angewandt bedeutet dies: „die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie so zu wählen, dass wir schwere Verläufe wirksam mindern, ohne neue Schäden zu verursachen.“

Es werden vier Forderungen aufgestellt:

1. Die Einführung eines Ampelsystems

Dieses soll, anders als die in manchen Gegenden schon gebrauchte Ampel, nicht nur die Inzidenz der Fälle in einem Kreis in Betracht ziehen, sondern „alle relevanten Kennzahlen“. Konkret werden hier die Zahl der durchgeführten Tests, die Infektionszahlen und die Kapazitäten in Krankenhäusern (sowohl stationäre als auch intensive) genannt.

2. Die Regierung soll verstärkt auf Gebote statt Verbote setzen

Hier nimmt das Papier eine Langzeitperspektive ein. Eine Ausrottung oder Kontrolle des Corona-Virus alleine durch einen Impfstoff halten die Verfasser für unmöglich – das ist bisher ein einziges mal, nach jahrzehntelangen Kraftanstrengungen gelungen: bei den Pocken.

Das Problem mit Verboten sei: „Verbote oder Bevormundung haben eine kurze Halbwertszeit und entsprechen nicht unserem Verständnis einer freiheitlich demokratischen Grundordnung.“ Und weiter: „Gerade die Kontaktpersonennachverfolgung kann besser und effektiver über Eigenverantwortung erfolgen. Zusätzlich zu der Corona-Warn-App können die Menschen eigene Mitteilungen an ihre Kontaktpersonen schneller und zielgerichteter senden und die Gesundheitsämter entlasten. Dieses Vorgehen ermöglicht damit eine Langzeitstrategie und erlaubt, wichtige Ressourcen der Gesundheitsämter auf die Risikogruppen zu fokussieren.“

3. Der Schutz von Risikogruppen soll ausgeweitet werden

Es gilt die begrenzten Ressourcen des Staates zielgerichtet und möglichst effizient einzusetzen: „Die Unterzeichner fordern die Politik auf, sich auf eine Auswahl von Maßnahmen zu konzentrieren, die möglichst direkt und spezifisch den Schutz der Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt stellen, für die ein hohes Risiko schwerer Krankheitsverläufe besteht.“

Die Politik wird dafür kritisiert, im die Sommerzeit mit ihren geringen infizierten Zahlen nicht dafür genutzt zu haben, Konzepte für den Winter zu erarbeiten:
„Aus unserer Sicht wurde es über die Sommermonate leider versäumt, analog zu den Konzepten der Arztpraxen maßgeschneiderte und allgemeingültige Präventionskonzepte für vulnerable Gruppen zu entwickeln.“

4. Es sollen Hygienekonzepte gefördert statt Ausgangssperren verhängt werden

„Gesellschaftlich und infektionsepidemiologisch ist es besser, wenn Menschen sich in öffentlichen Räumen mit Hygienekonzepten unter optimalen Bedingungen treffen, als dass sich die sozialen Begegnungen in vergleichsweise weniger sichere private Innenräume verlagern. Daher unterstützen die Unterzeichner Initiativen, die unter klar definierten Hygienekonzepten und Teststrategien Veranstaltungen zulassen.“

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