Tichys Einblick
Nichts Neues aus dem grünen Milieu

Flut, Schuld und Beton

Das grüne Milieu sucht die Schuldigen an der Flut und den Toten: Wenn es der richtigen Sache dient, darf schon ein bisschen instrumentalisiert werden. Das erspart lästige Diskussionen an anderer Stelle.

IMAGO/Geisser

Der zeichnende Dialektiker Bernd Zeller hatte vor einiger Zeit alle wichtigen politischen Textbausteine in Piktogramme übersetzt. Eins davon zeigte eine durchgestrichene Violine; es stand für: „Nicht instrumentalisieren.“ Daran halten sich die Politiker und Journalisten des benevolenten Milieus nicht nur selbst. Sie warnen auch andere beispielsweise nach den Anschlägen von Paris, Berlin, Wien und Würzburg davor, propagandistischen Profit aus den Ereignissen zu ziehen. Das gebiete allein schon die Würde der Opfer. In anderen Fällen, etwa den Überflutungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit bisher über 100 Toten, würden die Betreffenden selbstverständlich auch nichts instrumentalisieren. Sie warnen vielmehr, ordnen ein, suchen nach Schuldigen und bringen dabei das Signalwort unter, das ihnen politisch nützlich erscheint.

Und nichts sonst jetzt! Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, stille Anwärterin auf das Amt der Bundespräsidentin, macht das exemplarisch vor:

Ein Redakteur der Zeit twitterte sich in einen Rausch, er fand, wer jetzt noch an Freiheiten wie der Wahl seines Fortbewegungsmittels festhalten will, der sollte spätestens angesichts der Überschwemmungsbilder aus Hagen schweigen.

Wobei Zeit-Redakteur Mark Schieritz seinen Tweet später wieder löschte, weil er auf den Gedanken kam, er könnte ein wenig wie Instrumentalisierung wirken. Diese spätere Einsicht hatte auch der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, dem nach 24 Stunden offenbar eingefallen war, was er 2016 zum Attentat auf dem Breitscheidplatz, Angst und politischem Profit gesagt hatte.

Vor dem Hintergrund dieser zurückgezogenen Botschaften leuchten die Hochwasser-Wortmeldungen von Göring-Eckardt und anderen allerdings besonders eindrücklich. Zu den anderen gehört auch Mario Sixtus, Zuarbeiter des ZDF und öffentlich geförderter Drehbuchautor, der verschüttete Autos in Hagen als Fingerzeig auf die Schlechtigkeit einer Partei sieht, die er auch schon vorher hasste, und die er jetzt endlich für jeden Liter Regen pro Quadratmeter verantwortlich machen kann.

Bei Sixtus handelt es sich übrigens um einen Städtebewohner, der, wenn er nicht gerade die FDP für Regen und Klimawandel auf den Scheiterhaufen wünscht, zwischen Deutschland und Hong Kong pendelt:

Vor kurzen machte er mit der Mittteilung auf sich aufmerksam, Städter wie er finanzierten der Landbevölkerung „die Pendlerpauschale“. Falls sich öffentlich-rechtliche Sender fragen, warum sie bei vielen Zahlern nicht die Sympathie genießen, die sie erwarten: Es könnte auch an bestimmten Twitterkonto-Inhabern aus ihrem Milieu liegen. Das nur nebenbei.

Auch die Hamburger Grünen-Chefin Maryam Blumenthal nahm bisher ihren Facebook-Post nicht zurück, in dem sie die CDU und Armin Laschet mehr oder weniger direkt für die Hochwassertoten verantwortlich machte, und ihm gleich noch ohne irgendwelche Belege unterstellte, er lasse sich von namentlich ungenannten „Klimawandel-Skeptikern“ leiten:

„Super. Dann kann er den Menschen, deren Angehörige bereits gestorben sind oder die ihre Angehörigen noch suchen, gleich mal erklären, warum die Klimaziele im Wahlprogramm der Union weder Paris-konform sind noch den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen. Vielleicht erklärt er Ihnen dann auch, warum er sich eigentlich lieber von Mindermeinungen von Klimawandel-Skeptikern leiten lässt, anstatt echten Klimaschutz in seine Politik zu übersetzen.“

Der immer twitterbereite Energiewendebefürworter Volker Quaschning begab sich sogar auf juristisches Terrain mit dem Vorwurf, Laschet und die CDU hätten Tote billigend in Kauf genommen:

Andere aus der wohlmeinenden Blase warfen Laschet zeitgleich vor, während seines Besuch in dem Katastrophengebiet nichts zu twittern:

Wobei sie es ihm natürlich erst recht vorwerfen würden, wenn er es täte.
Luisa Neubauer ihrerseits ist sprachlos über die Zerstörungen der Flut, allerdings nicht zu sprachlos, um nicht einen Tweet nach dem anderen abzusetzen, der die Ereignisse im Sinn der Partei kapitalisiert, der sie angehört.

Ansonsten plant die Frau mit dem – um mit Heine zu sprechen – famillionären Hintergrund, zusammen mit anderen zu streiken, und zwar aus Solidarität mit denen, die so viel verloren haben.

Man muss kein Laschet-Anhänger sein (der Autor ist es jedenfalls nicht), um zu ahnen, dass die Göring-Blumenthal-Sixtus-Neubauer-Instrumentalisierung nicht unbedingt dazu beiträgt, die Grünen wieder auf das frühe Baerbock-Umfrageniveau zu hieven.

Für die Wohlgesinnten ist die Kausalität völlig klar: Schuld ist der Klimawandel beziehungsweise der Kohle-Armin:

Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer hatte Laschet vor kurzem schon für die Hitzetoten in Kanada verantwortlich gemacht, weil, so Krischers Beweisführung, Laschets Regierung sich für einen Mindestabstand von Windrädern zu Häusern von 1.000 Metern einsetzt. Es handelt sich übrigens um den gleichen Mindestabstand, der in Brandenburg gilt, dort mit ausgehandelt von der damaligen grünen Landesvorsitzenden namens Annalena Charlotte Alma Baerbock. Aber das auch nur nebenbei.

Wie sieht es nun aus mit der Kausalität von Klima und Regen in NRW und Rheinland-Pfalz? Richtig ist, dass Luft mit zunehmender Wärme mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann.

Nach Angaben des Umweltbundesamts hat die mittlere jährliche Niederschlagsmenge in Deutschland von 1881 bis in die Gegenwart insgesamt um moderate 10 Prozent zugelegt. Allerdings entfiel der Anstieg vor allem auf die Wintermonate. Die Sommer wurden im Schnitt geringfügig trockner.

Der Starkregen im Südwesten wirkte sich vor allem deshalb so katastrophal aus, weil hinter der Region zum einen schon ausgiebige Regengüsse lagen, und der Boden deshalb nur noch wenig Wasser aufnehmen konnte. Und zum anderen an der Position des Tiefs „Bernd“, das unbeweglich zwischen zwei Hochs eingekeilt lag. Es schüttete also seine Wassermenge auf ein ziemlich kleines Gebiet. Das gleiche Volumen hätte sich auf eine sehr viel größere Region verteilt, wenn das Tief weitergezogen wäre.

Eine gängige Argumentation lautet: Da sich die arktische Region erwärmt, nehmen die Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Nordpol ab, das wiederum schwächt den Jetstream, also das erdumkreisende Windband in etwa 8 bis 15 Kilometern Höhe, und wegen eines schwächeren Jetstream bleiben bestimmte Wetterlagen länger an Ort und Stelle. Allerdings spielt ein nachlassender Jetstream für das Sommerwetter in Deutschland praktisch keine Rolle. Zweitens handelt es sich vor allem um eine Prognose für die Zukunft: dann könnten sich nach Ansicht etlicher Forscher deutliche Wetterauswirkungen ergeben. Ein Einzelereignis wie der Starkregen über Ahr und Wupper lässt sich damit nicht in einer kurzen Kausalkette begründen. Überhaupt handelt es sich bei Sturzfluten dieser Art um seltene Ereignisse. Und bisher auch nicht um Ereignisse, die tendenziell zunehmen. Die höchsten Hochwassermarken an der Elbe stammen an den meisten Stellen von 1845. Ab und zu erreichen die Markierungen der Sommerflut von 2002 die gleiche Höhe. Am Wassertor im österreichischen Schärding zeigt eine Skala Pegelstände seit dem 16. Jahrhundert. Die höchsten Fluten liegen tief in der Vergangenheit.

Was jüngere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft angeht, sollte auch über ein paar Faktoren diskutiert werden, die bei den Wohlmeinenden, den Apokalyptikern und dem großen Überschneidungsbereich zwischen beiden gar nicht zur Sprache kommen. Erstens die Tatsache, dass in den vergangenen Jahrzehnten oft alte Überschwemmungsflächen der Flüsse zu Bauland wurden, und zwar nicht exklusiv in Nordrhein-Westfalen und nach dem ausschließlichen Willen von Armin Laschet, sondern fast überall und unter Mitwirkung fast aller Parteien. In der Elbflut 2002 standen auch viele Häuser unter Wasser, die auf der Flussaue errichtet worden waren, dort, wo aus guten Gründen vorher niemand gebaut hatte.

Wer sich dazu noch eine Karte ansieht, die den Grad der Bodenversieglung in Deutschland zeigt, dem fällt auf, dass sie dort besonders hoch ist, wo jetzt die Flüsse ganze Häuser wegschwemmen. Je mehr Boden versiegelt wird, desto mehr Wasser muss die Kanalisation aufnehmen. An deren Leistungsfähigkeit hat sich allerdings in vielen Orten seit Jahrzehnten nichts geändert, während oben immer mehr betoniert und asphaltiert wurde.

Die Bodenversieglung kommt auch durch eine Bautätigkeit gut voran, die sich Grüne und ihr Luisa-Milieu dringend wünschen, nämlich die Errichtung von Windrädern in Wäldern. Neue Anlagen brauchen für ihr Fundament einen Stahlbetonteller von ungefähr 20 Metern Durchmesser.

Dort, wo vorher drei, vier oder mehr Bäume standen, die mit ihren Wurzeln Wasser halten konnten, liegt also künftig eine Betonplatte von der Fundamentgröße eines Einfamilienhauses, das, siehe bei Anton Hofreiter nach, als Einfamilienhaus bekanntlich die kostbare Landschaft zersiedelt. Windradfundamente dürften übrigens auch nach Abriss eines Rotors meist im Boden bleiben. Die schlaue Begründung der Branche lautet, ein Abriss des Betons würde schließlich C02 verbrauchen und damit die Ökobilanz des Rotors schmälern. Der realistische Grund sieht etwas anders aus: Auf den Rückbau des Betonfundaments entfallen 20 bis 60 Prozent der gesamten Abrisskosten. Viele Betreiber bilden gar nicht erst die nötigen Rückstellungen. Nach einer Berechnung des Umweltbundesamtes fehlen ab 2030 deutschlandweit 300 Millionen Euro Rückstellungen für den Abriss der Räder. Der versiegelnde Beton bleibt also aller Voraussicht nach meist in der Erde.

Und es sollen noch sehr viele Windräder dazukommen. Würden die Pläne der Grünen buchstabengetreu umgesetzt, Deutschland auf Wind- und Sonnenenergie und grünen Wasserstoff umzustellen – diese Berechnung hatte Linde-Chef Wolfgang Reizle vorgenommen – dann müsste sich die Zahl der Rotoren auf 330 000 verzehnfachen. Sie würden dann ein Viertel der Landesfläche einnehmen, jedes einzelne in gut 1000 Kubikmetern Beton eingestielt.

Während an der Wupper und Ahr Dörfer untergingen und Grünenpolitiker und ihre Unterstützer Laschet als Mörder überführten, druckte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel unter der Überschrift „Windräder, Windräder, Windräder“.

Darin kam der interessante Satz vor: „Auch Bayern oder das grün regierte Baden-Württemberg werden damit leben müssen, dass Stromtrassen und Windräder demnächst ihre Landschaften optisch brechen.“

Dass Windräder nicht nur Landschaftsbilder brechen, sondern auch den Boden genau so betonieren, als würden mitten in Wäldern und auf Wiesen plötzlich ganze Städte entstehen, davon und über die Folgen schrieb die Süddeutsche nichts.

So viel Dialektik mutet sie ihren Lesern in Schwabing und an anderen unversehrten Orten nicht zu.