Tichys Einblick
Haltung statt Umsatz?

Feuer einstellen! Ein Discounter in vorauseilendem Gehorsam

Der Discounter Kodi rühmt sich des Verzichts auf den Verkauf von Feuerwerkskörpern. So verbindet man mustergültig Heuchelei mit der allzu deutschen Tugend des vorauseilenden Gehorsams.

Nun haben also die Regierungschefs der Länder entschieden, den Verkauf von Feuerwerkskörpern vor Silvester doch nicht zu verbieten. Sie wollen nur „empfehlen“, auf Feuerwerk zu verzichten, verboten wird das nur auf belebten öffentlichen Plätzen. Jetzt wird es in den an die Niederlande grenzenden Gemeinden spannend: Werden die Holländer in den Tagen zwischen den Jahren rüberkommen, um sich mit Knallern einzudecken, wie sich deutsche Kiffer sonst bei ihnen mit Haschisch eindecken? In den Niederlanden, einem Land besonders knallerfreudiger Silvesterfeierer dürfen Böller in diesem Jahr nämlich nicht verkauft und nicht gezündet werden. 

Der Haushaltsdisounter „Kodi“ jedenfalls wollte die Entscheidung der deutschen Politiker gar nicht erst abwarten und verkündete schon am Montag stolz in einer Pressemitteilung: „Kodi setzt Signal: Freiwilliger Verzicht auf Feuerwerksverkauf“. Und Geschäftsführer Babak Kharabi lässt sich dazu mit folgenden weihevollen Worten zitieren: „Wir haben uns bereits Mitte des Jahres dazu entschieden, in diesem Jahr erstmalig keine Feuerwerksartikel zu verkaufen. Damals waren Ausmaß und Verlauf von Corona noch nicht absehbar. Uns sind der Schutz von Umwelt und Gesundheit einfach wichtiger, als die durch Feuerwerk generierten Umsätze“, lässt sich Kodi-Geschäftsführer Babak Kharabi in der Pressemitteilung zitieren. Und er setzt noch einen drauf: „Wir möchten unserer Verantwortung als Händler gerecht werden und haben uns bewusst für diesen Schritt entschieden.“

Könnte es vielleicht sein, dass Kharabi, der schließlich Kaufmann und nicht hauptberuflicher Verantwortungsethiker ist, schlicht auf die öffentliche Aufmerksamkeit, also die Werbewirkung dieser Nachricht spekulierte? Vielleicht hatte man in der Unternehmenszentrale die aktuelle Yougov-Studie über die „Werbelieblinge“ gelesen. Demnach gefallen den Deutschen die Marken, die in ihrer Werbung „Haltung“ zeigen, besonders. Wenn Kharabi wirklich der „Schutz von Umwelt und Gesundheit“ und die „Verantwortung“ wichtiger wäre als die Feuerwerkumsätze, dann hätte er ja schließlich auch ohne Pressemitteilung und selbstlobende Worte auf den Verkauf verzichten können.

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Es ist wohl kein Zufall, dass es für die deutsche Redewendung „vorauseilender Gehorsam“ keine Entsprechungen in anderen großen europäischen Sprachen zu geben scheint – zumindest nicht laut leo.org. Bezeichnenderweise gibt es in der deutschsprachigen Wikipedia sogar einen Eintrag dazu (sonst nur in der japanischen und der chinesischen). Der Historiker Ian Kershaw erklärt die Herrschaft Hitlers vor vor allem damit, dass seine Anhänger und große Teile der deutschen Gesellschaft unter dem Eindruck seines Charismas sich selbst verpflichtet hätten, wie es der NSDAP-Funktionär Werner Willikens in einer bekannt gewordenen Wendung formulierte, ohne direkte Befehle „im Sinne des Führers ihm entgegenzuarbeiten“.

Der lesenswerte Wikipedia-Eintrag erläutert: „Ursache dieser Form des Gehorsams sind entweder Emotionen, diffuse Ängste oder mangelnde Selbstwertgefühle gegenüber vermuteten Autoritäten, die derartige Unterwürfigkeit bedingen. Denn eigentlich gehört zum Gehorsam auch eine soziale Begrenzung, etwa im Rahmen der Befehlsgewalt militärischer Disziplin. Eine Grenzenlosigkeit der Anpassung (d. h. Grenzen sind weder in der Person noch im Sozialen verankert) lässt den vorauseilenden Gehorsam zu einer sozialen Gefahr werden.“ Da ist übrigens auch eine schöne Passage aus der Satire „Duodez“ des längst hochverdächtigen Heimat-Dichters Hermann Löns zitiert, der 1911 den guten Untertanen des Fürstentums Schaumburg-Lippe so vorstellt: „Bald ist er so weit, daß er am Fernsprecher dienert, … [er] gewöhnt sich daran, selbst zu sich selber und im Schlaf kein Wort zu sagen, was irgend Anstoß erregen könnte.“

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