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FUSSBALL-BUNDESLIGA

FC Schalke 04 nach der Ära Tönnies – Ein Verein steht vor dem Scherbenhaufen

Der FC Schalke 04 steht kurz vor dem finanziellen Kollaps. Der Traditionsverein aus dem Ruhrpott hat Schulden in Höhe von 220 Millionen Euro und muss sich nicht zuletzt nach dem Abgang von Aufsichtsratschef Clemens Tönnies neu ordnen, sonst verschwindet der Malocherverein von der Bildfläche.

imago Images/cord

2014 war Thomas Hitzelsperger der erste prominente Fußballspieler, der sich offiziell als homosexuell outete. 2020 ist es nun der FC Schalke 04, der als erster Bundesligaclub öffentlich bekanntgibt, dass er wirtschaftlich auf den Felgen läuft. Am 1. Juli musste der Verein bekannt gegeben, dass er die Reißleine ziehen muss: “Der heutige Tag ist eine Zäsur für den FC Schalke 04. Ein ‚Weiter so‘ wird es und kann es nicht geben“, sagte Marketing-Vorstand Alexander Jobst bei der Saison-Analyse des Fußball-Bundesligisten. „In den vergangenen Monaten hat Schalke 04 in der Öffentlichkeit ein miserables Bild abgegeben. Wir haben Fehler gemacht, für die wir uns entschuldigen müssen.“

In der Tat ist der Traditionsverein in den vergangenen Monaten so ziemlich in jedes Fettnäpfchen hineingetreten. Auf dem Rasen waren es seit Mitte Januar 16 sieglose Spiele mit sechs mageren Pünktchen und einer Bilanz von 7:37 Toren. Nach dem Bundesliga Lock Down und dem Re-Start Mitte Mai war bei den Königsblauen mit zwei Punkten und 5:22 Toren wenig Königliches zu sehen und brachte den Absturz von Platz 5 auf Tabellenplatz 12, noch hinter Aufsteiger 1. FC Union Berlin. Das musste ein Verein wie Schalke verkraften und ist ob der Verletzungshexe noch nachvollziehbar.

Doch auch neben dem Rasen sorgte der Verein für Kopfschütteln. Statt den Saisonkarteninhabern die Kosten für die ausgefallenen Spielen zurück zu erstatten oder sie zu fragen, ob sie bereit wären, auf eine Rückzahlung zu verzichten, ließ man die Bombe platzen. Eine Rückerstattung gäbe es nicht, sondern eher Tickets für die kommende Saison oder ein Trikot. Für diesen kommunikativen Fauxpas hatte man schnell ein Bauernopfer gefunden. So musste Peter Peters, immerhin seit 27 Jahren Finanzvorstand, seinen Hut nehmen.

Seit diesen Geschehnissen im Mai sind fast täglich neue Meldungen über die finanziellen Lage der Schalker aufgetaucht und die Sportjournalisten hätten das Phrasenschwein in der berühmten TV-Sendung “Sport1 Doppelpass” mit jeweils drei Euro bis zum Rand füllen können: “Schalke hat ausgewurstelt”, “Die Schalker Knappen sind knapp bei Kasse” oder “Wenig Königliches auf Schalke”. Mit dem Aus von Clemens Tönnies nach dem Hygieneskandal seines Fleisch-Imperiums in Rheda-Wiedenbrück sitzt man erneut auf einem Pulverfass, denn bisher hatte der scheidende Aufsichtsratsvorsitzende und Milliardär zahlreiche Löcher in den Finanzkasse der Schalker gestopft.

Tönnies hätte schon vor einem Jahr gehen müssen

Vielleicht hat die Coronakrise aber dem Verein das Leben gerettet, denn jetzt kann er die Resettaste drücken und nochmals von vorne beginnen. Vielleicht nicht ganz, vielleicht ins Jahr 1997, als das Team von Huub Stevens den UEFA-Pokal gewann und als “die Eurofighter” in die Geschichte eingeht. Der FC Schalke 04 kratzt mit dem Umzug in die “Arena auf Schalke” (ist übrigens abbezahlt) von 2001 an der Bundesligaspitze und wird mehrmals Vizemeister und Pokalsieger. Spätestens hier beginnen aber die ersten Fehler und die ersten Horrormeldungen schwappen aus Gelsenkirchen in die nationalen Gazetten. Josef Schnusenberg, damals stellvertretender Vorstandsvorsitzender, muss 2006 verkünden, dass der Verein Verbindlichkeiten in Höhe von fast 200 Millionen Euro hat. Kurzum: Der Erfolg des Teams bringt immense Lohnkosten mit sich. Der Kader ist zu aufgebläht und selbst Durchschnittskicker streicht Monatsbezüge von mehr als 100.000 Euro netto ein.

Nach mehreren Jahren, die finanziell auf Kante genäht waren, versinken die Königsblauen langsam wieder im Mittelmaß, können aber das Lohngefüge nicht senken und machen auch Fehler bei den Vertragslaufzeiten und bei manchen schnellen Kündigungen. Die Verbindlichkeiten steigen und somit auch die Abhängigkeiten von schillernden Personen wie Clemens Tönnies, der den Verein patriarchalisch führt und dessen Wort ob seines finanziellen Background Gewicht hat. So sehen viele Entscheider im Verein darüber hinweg, dass Tönnies schon seit 2012 Probleme mit dem Finanzamt oder dem Bundeskartellamt (Cum-ex Geschäfte, Preisabsprachen etc.) hat.

Doch spätestens seit dem Skandal im August 2019 ist das Maß für Clemens Tönnies voll. Eigentlich. Beim Tag des Handwerks in Paderborn lässt er sich zu folgenden Worten hinreißen: “Der Bundesentwicklungsminister solle stattdessen Kraftwerke in Afrika finanzieren, der spendiert dann jedes Jahr 20 große Kraftwerke nach Afrika. Dann hören die (Afrikaner) auf, die Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, wenn wir die nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren.“ Daraufhin passiert aus Schalker Sicht nichts, obwohl auf Tönnies heftigste Kritik einprasselt. Der Ehrenrat des Vereins stuft die in der Presse erhobenen Rassismusvorwürfe als “unbegründet” ein und Tönnies legt sein Amt von sich aus drei Monate nieder. Nun, Juni 2020, hat sich der Kreis geschlossen und der Skandal in der Fleischfabrik und die Umstände, wie Tönnies sein Unternehmen geleitet hat, haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Ein Festhalten an der Person Tönnies hätte den Verein einen noch größeren Imageschaden beschert.

Retten Frauenfußball und Salary Cap das Image?

Zurück zu den Worten von Alexander Jobst. Alles auf Null. Einer der größten Vereine der Welt muss neue Wege gehen und es ist fraglich, ob die ersten Entscheidungen dazu dienen. Zahlreiche Medien melden ein selbst auferlegtes Salary Cap von 2,5 Millionen Euro pro Spieler und Saison, wobei schon diese Anstrengung aufgrund des Wettbewerbdenkens im Profisport nicht machbar ist. Außerdem steht die Gründung einer Frauenfußball-Abteilung bevor. Die Teams sollen alle in den untersten Ligen beginnen und das Image des FC Schalke 04 aufpolieren. Es ist genau der Verein, der sich seit Jahren mit Händen und Füßen gewehrt hat, den Fußball im Club auch für das weiblichen Geschlecht zu öffnen. Doch der Verein sieht es als Chance auf einen Neuanfang und in den kommenden Wochen werden die Weichen gestellt werden, ob Schalke gelernt hat, sich endlich breiter aufzustellen und ähnlich wie der FC Bayern München den Verein als Wirtschaftsunternehmen anzusehen, das professionell und proaktiv agieren kann. Natürlich ist es abhängig davon, wann die Fans wieder in die Arena auf Schalke zurückkehren können und ob Alexander Jobst und seine Mitstreiter aus dem Scherbenhaufen wieder den ehrlichen Malocherverein machen, für den er von Hunderttausenden Fans geliebt und verehrt wird.

Licht am Ende des Tunnels – Neuer Ärmelsponsor bringt 28 Millionen Euro

Wenigstens gibt es auch was Positives vom Berger Feld zu vermelden. Bei der Vermarktung des Ärmellogos konnte mit Harfid ein lukrativer Deal abgeschlossen werden. Das Essener Bau- Projektentwicklungsunternehmen bezahlt für die kommenden fünf Jahre 28 Millionen Euro. Dieser Betrag gesellt sich zu weiteren millionenschweren Sponsoringbeträgen, die den FC Schalke 04 eigentlich zu einem der wirtschaftlich stärksten Bundesligisten machen sollte. In Zahlen: Hauptsponsor Gazprom berappt jährlich 30 Millionen Euro, Arena-Namensgeber Veltins überweist pro Saison fast sieben Millionen Euro, Ausrüster Umbro muss acht Millionen Euro per anno bezahlen. Pro Saison nimmt der FC Schalke 04 mehr als 100 Millionen Euro aus weiteren Sponsoringverträgen und den VIP- und Businessbereichen ein.

Warum es am Ende des Tages immer noch nicht reicht, steht weiterhin in den Sternen hoch über der Stadt Gelsenkirchen. Dem FC Schalke 04 würde es gut tun, sich wieder zu besinnen, sich nicht auf Sonnenkönige wie Clemens Tönnies zu verlassen und die Marke wieder in den Vordergrund zu stellen. Als schlagende Argumente für eine gesunde Zukunft sollten folgende Tatsachen ins Feld geführt werden. Der FC Schalke 04 ist mit mehr als 160.000 Mitgliedern der sechstgrößte Sportverein der Welt. Laut Forbes ist der Ruhrpottclub (0,58 Mrd. US-Dollar) auf Platz 12 der wertvollsten Fußballclubs weltweit, nur der FC Bayern München (1,85 Mrd. US-Dollar, Platz 4) und Borussia Dortmund (0,59 Mrd. US-Dollar, Platz 11).

Und das Wichtigste zum Schluss: Die Knappenschmiede, das Nachwuchsleistungszentrum der Königsblauen, gehört zu den erfolgreichsten Ausbildungsstätten Europas (Nübel, Draxler etc.) und als einer von wenigen Vereine in Europa besitzt der Verein zu 100% alle Marketing- und Cateringrechte in der Arena. Gute Voraussetzungen für eine bessere Zukunft. Glück auf, Schalke!!!!

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