Tichys Einblick
Vorratsdatenspeicherung

Faesers nächster Fall

Das Bundesverwaltungsgericht hat gesprochen: Die Kommunikationsdaten der Bürger dürfen nicht anlasslos und flächendeckend gespeichert werden. Für SPD-Innenministerin Nancy Faeser ist das eine neue, unwillkommene Baustelle.

IMAGO / IPON
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat im Moment so einige Regentage am Stück erwischt. Das Universum lässt sie einfach nicht in Ruhe Landtagswahlkampf in Hessen machen, wo sie ja Ministerpräsidentin werden will.

Die Affäre um den von ihr grundlos aus dem Amt gemobbten Spitzenbeamten Arne Schönbohm – den sie mutmaßlich rechtswidrig sogar vom Verfassungsschutz ausspitzeln ließ – ist noch keineswegs ausgestanden, da legt das Schicksal ihr schon das nächste große Problemkind vor die Füße.

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Soeben hat das Bundesverwaltungsgericht die sogenannte „anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung“ komplett kassiert: Die Leipziger Richter folgten erwartbar einem Urteil des Gerichtshofs der EU (EuGH). Der hatte schon vor einem Jahr entschieden, dass die Regelung in Gänze gegen EU-Recht verstößt und deshalb nicht mehr angewendet werden darf.

Im Telekommunikationsgesetz (§§175, 176 TKG) wurden die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, die Verbindungsdaten ihrer Kunden grundsätzlich zu speichern und aufzubewahren – ohne Anlass und auf Vorrat sozusagen, daher der Name: Damit die Strafverfolgungsbehörden irgendwann einmal darauf zugreifen können, wenn sie das für nötig halten.

Dagegen gab es seit 2007 zahlreiche Klagen. Die Einsprüche von zwei Telekom-Unternehmen landeten 2017 schließlich beim EuGH, seitdem wird die Vorratsdatenspeicherung von den Behörden vorsorglich nicht mehr verlangt. Das war wohl weise Voraussicht: Denn die EU-Richter urteilten im September 2022, dass die Kommunikationsdaten von Bürgern nicht ohne Anlass gespeichert werden dürfen.

Seitdem liegt der Ball in Faesers Spielfeld.

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Aber dort wird er nicht bewegt, sondern er liegt da einfach nur herum. Denn die SPD-Innenministerin kann sich mit ihrem FDP-Kollegen Buschmann aus dem Justizressort partout nicht darauf einigen, wie es nun weitergehen soll.

Buschmann will die Vorratsdatenspeicherung komplett streichen. Das ist rechtlich problemlos möglich. Er wirbt außerdem für das sogenannte „Quick-Freeze-Verfahren“ als Nachfolgereglung. Das würde die Speicherung von Kommunikationsdaten nur anlassbezogen und auf richterliche Anordnung zulassen und wäre auch mit EU-Recht vereinbar.

Faeser dagegen will alle Möglichkeiten ausschöpfen, die die Urteile erst des EuGH und jetzt des Bundesverwaltungsgerichts nach ihrer Ansicht bieten. Demnach ist eine gezielte und zeitlich begrenzte Speicherung der Daten bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit möglich – ebenso wie eine Vorratsspeicherung von IP-Adressen, Letztere aber ausdrücklich nur „zur Bekämpfung schwerer Kriminalität.“

Faeser will nun die Speicherung von IP-Adressen sowie gezielte Speicheranordnungen für Flughäfen, Bahnhöfe und Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung. Jetzt gelte es, „das, was zulässig und dringend notwendig ist, auch umzusetzen“.

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Unterstützt wird sie dabei ausnahmsweise von der Union. Friedrich Merz und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nennen als Hauptargument den Kampf gegen Kinderpornografie im Internet.

Von allen guten Gründen für eine gewisse Vorratsdatenspeicherung ist das sicher der reißerischste – aber nicht unbedingt der beste: Denn auch ohne Vorratsdatenspeicherung liegt die Aufklärungsquote bei Missbrauch und Kinderpornografie im Netz laut amtlicher Kriminalstatistik bei etwa 90 Prozent. Und die Bundesregierung selbst erklärt, dass 97 Prozent aller entsprechenden Verdachtsmeldungen auch ohne IP-Vorratsdatenspeicherung nachverfolgt werden könnten.

FDP-Buschmann seinerseits hat in dieser Sache auch eher unübliche Verbündete. Die Grünen lassen wissen: „Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte.“ Und die „Linke“ lehnt „jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung konsequent ab“.

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Wenn sich Faeser mit Buschmann (und den Grünen) nicht verständigen kann, läuft sie in eine politische Niederlage. Denn nach den Urteilen des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts darf die anlasslose flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ab sofort nicht mehr angewendet werden. Egal, ob es eine etwas mildere Nachfolgeregelung gibt – oder eben keine.

Nancy Faeser hat im Moment wohl tatsächlich eine Pechsträhne.

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