Tichys Einblick
TE-Interview

Ex-BND-Chef Schindler: Auch China und Indien sind bereit, Gewalt anzuwenden

Der frühere BND-Chef Gerhard Schindler sieht in dem Krieg gegen die Ukraine und im Vormachtstreben Chinas den Beginn einer neuen Weltordnung. Insbesondere Deutschland, so glaubt er, sei schlecht auf die kommenden Zeiten vorbereitet.

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Berlin. Der frühere BND-Präsident Gerhard Schindler rechnet damit, dass sich die westlichen Demokratien auf Gewaltanwendungen auch anderer totalitärer Staaten einstellen müssen. Die UN und andere internationale Organisationen könnten ihre Aufgaben, Konflikte zu lösen, nicht mehr erfüllen, sagt Schindler im Gespräch mit dem Monatsmagazin Tichys Einblick. „Wir erleben gerade, wie alte Mechanismen zur Konflikteindämmung wie der UN­-Sicherheitsrat, die internationalen Gerichte, der Europarat und andere Institutionen ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Das bedeutet leider, dass die politische Steinzeit zurückkehrt, in der die Machtpolitik den Ausschlag gibt.“ Die militärische Gewalt werde künftig wieder eine entscheidende Rolle spielen. „Es läuft also auf die Frage hinaus: Welches militärische Machtpotenzial haben andere und welches haben wir? Der Westen kommt nicht umhin, wieder verstärkt eigene Kapazitäten zu entwickeln, um Machtpolitik durchzusetzen.“

Längst sieht Schindler mächtige Gegenspieler des Westens, die bereit sind, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele anzuwenden. In großen Teilen der Welt gewinne das Modell des „autoritären Nationalpopulismus“ an Bedeutung. „Zu dessen Vertretern gehört Putin, aber auch der türkische Präsident Erdoğan, ein Modi in Indien und Xi Jinping in China. Sie sehen die westlichen Werte als dekadent an, und sind auch bereit, Gewalt einzusetzen“, analysiert der frühere Chef des Auslandsgeheimdienstes. „Im Fall Chinas nehmen wir es aus der Entfernung noch nicht so wahr, wie die Führung dort ihre militärische Präsenz im südchinesischen Meer ausweitet. Der Nationalpopulismus und die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden – das ist eine brandgefährliche Melange. Der Diskurs, was der Westen dem entgegenzusetzen hat, hat noch gar nicht richtig begonnen.“

Deutschland habe diese Entwicklung völlig verschlafen. „Gerade in Deutschland haben wir eigentlich keine Sicherheitskultur. Es gibt eine ausgeprägte Streitkultur bei uns, aber eigentlich hat seit dem Zweiten Weltkrieg keine ernsthafte Sicherheitsdiskussion mehr stattgefunden, also eine Debatte, welche Sicherheitsrisiken wir innerhalb und außerhalb des Landes haben“, so Schindler. „Während wir hier diskutiert haben, ob es korrekt ist, dass Kinder als Indianer verkleidet zum Fasching gehen, hat Putin militärische Fakten geschaffen.“


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