Tichys Einblick
Links abbiegen

EU-Wahl: Grüner Sieg im Wettstreit der Apokalypsen

Die Siegerin des Abends der EU-Wahl heißt in Deutschland: Greta Thunberg.

Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Gut, wer dazu neigt, hätte es in einem als „postfaktisch“ ausgerufenen Zeitalter als Zeichen deuten können, was der Autor hier beobachtete, nachdem er kurz vor Ladenschluss noch seine Stimme zur EU-Wahl abgegeben hatte, als er die Grundschule mit den bunten Fensterbildern verließ, in der die Wahlhelfer schon ungeduldig auf und ab gingen, weil es gleich an die Auszählung gehen solle.

Jedenfalls waren die Straßen in diesem Vorort mit dörflichem Charakter menschenleer, als ihm aus Richtung Stadt ein einsamer Fahrradfahrer auf der ausgestorbenen Kreuzung entgegenkam, ein vielleicht 50 Jahre alter lächelnder Mann mit grauem Dreitagebart und einem Rücksack überm Selbstgestrickten, wo ein T-Shirt nicht zu kalt gewesen wäre.

Er lächelte, er grüßte kurz und streckte dann seinen linken Arm aus um ins Viertel abzubiegen. Aber für wen? Für den einzigen Bürger, der noch auf der Straße zu Fuß unterwegs war? Da war ja sonst niemand und nichts, dem er seine Fahrtrichtung hätte anzeigen müssen. Er bog also ab und senkte seinen Schurwolle verpackten Ersatzblinker erst, nachdem er seine Zielstraße schon ein paar Meter eingefahren war. Eine lupenreine Unterwerfungsgeste, als führe seine Frau langsam mit dem Elektroauto hinterher, weil am Folgetag eine Fahrradprüfung ansteht.

Wir müssen nicht spekulieren, was der Mann auf seinem Wahlzettel angekreuzt haben könnte, den er wohl am Vormittag abgegeben hatte, weil er es kaum abwarten konnte oder sogar schon per Briefwahl. Die lächelnde Apokalypse, der Sieg der Nachfolger der kleinen Greta über die Anderen, über diese Kulturapokalyptiker, über jene, in der Massenzuwanderung den Untergang des Abendlandes erkennen wollen.

Der Sieg der deutschen Grünen, der fast doppelte Zugewinn gegenüber der Stagnation, ungefähr zwanzig Prozent für die Grünen gegenüber zehn für die AfD. Die Fernsehkameras fangen den Moment ein, als Annalena Baerbock die erste Hochrechnung bekommt, neben ihr in der vollen grünen Wahlzentrale Katrin Göring-Eckardt, und dann springen beiden mit ihrer Umgebung auf der Stelle und reißen Arme und Münder auf. Mutter und Tochter.

Die Großmutter des Autors hier sagte vor vielen Jahren einmal lächelnd, ungefähr damals, als die Grünen gerade zum ersten Mal in den Bundestag einzogen: Wenn Du Dir eine Frau suchst, schau Dir zuerst ihre Mutter an, dann weißt Du, was Du bekommst. Sollte den Wählern der Grünen diese Weisheit ebenfalls bekannt sein, dann empfanden sie das jedenfalls in diesem Moment nicht als Bedrohung.

Der Moment der Übergabe des Staffelstabes der Verkündung der Apokalypse? Nein, nein, denn Göring-Eckardt und Baerbock sind durchweg positive Menschen, die sich zwar anzunehmenderweise ebenfalls auf menschenleeren Kreuzungen aus reiner Lust ihre abgasfreie Fahrtrichtung selbst angeben, die aber positiv in die Zukunft schauen, weil sie die Zukunft schon kennen, weil sie sich auf die Herausforderungen freuen, als Göring-Eckardt die Zuwanderung schon früh und selbstsicher so kommentierte: “Unser Land wird sich verändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf…” habt keine Angst, es wird schon alles gut. Und Baerbock will die EU zu einer erneuerbaren Union machen. Erneuerbar ist ja immer gut. Erneuerbar ist die kleine coole Schwester dieses etwas eingestaubten wiederverwertbar.

Die Wahlsiegerin des Abends heißt in Deutschland: Greta Thunberg. Ihre Apokalypse war einfach die bessere gegenüber der einer EU-Rechten, die sich so vehement gegen eine Massenzuwanderung stellt, die sich nach den Jahren der Empörung verschlissen zu haben scheint in einer scheinbaren Unabwendbarkeit, die also vom politischen Gegner zuerst als Chance verstanden und nach den mit ihr einhergehenden Verwerfungen einfach von der vermeintlich nächstgrößeren Herausforderung überlagert wurde: der Klimakatastrophe.

Die ersten grauen Wolken am grünen Horizont

Der Überhitzung des Planeten, des Bienensterbens und des Plastikmülls in den Weltmeeren. Vom Panda über den Eisbären hin zur kleinen Prophetin aus Schweden. Die Prophetin teilt nun das Schicksal vieler Propheten vor ihr: sie gilt nichts im eigenen Land, wenn die Grünen dort gegen den EU-Trend abrutschten und die als „rechtspopulistisch“ bezeichneten Schwedendemokraten satte Zugewinne verbuchten.

Für die deutschen Rechtskonservativen gilt das nicht. Zwar konnten auch sie auf Bundesebene etwas zulegen, aber nicht im erhofften Maße. In Brandenburg allerdings ist die AfD bei der EU-Wahl stärkste Partei geworden mit in etwa dem gleichen prozentualen Ergebnis wie die Grünen auf Bundesebene. Die Grünen wiederum kamen beispielsweise in Hessen auf 23,4 Prozent, in Niedersachsen auf 22,6 Prozent, was die Partei nun endgültig auch für ihre größten Kritiker in den Rang einer Volkspartei erheben sollte. An solchen Ergebnissen wird lange nicht mehr zu rütteln sein. Hier darf man sich allenfalls kurz rückerinnern, dass die Grünen noch bei der Bundestagswahl 2017 zwar gering dazu gewonnen hatten, aber trotzdem nur auf 8,9 Prozent der Stimmen kamen, wo heute, keine zwei Jahre später und mitten in diese unendliche Kanzlerinnendämmerung hinein von Wagemutigen schon ein Kanzler Habeck diskutiert wird.

Katrin Göring-Eckardt hat schon ganz Recht: Dieses Land wird ein anderes sein. Aber es wird sich aus dem Blickwinkel der Grünen nicht mehr wegen der Zuwanderung verändern, sondern als Ergebnis einer Klima-Apokalypsen-Sehnsucht, die bei der Bevölkerung offensichtlich weit besser ankommt als die Drohkulisse, welche die AfD ihr aufgezeigt hat: Ja, es ist doch viel schöner, die Erde zu retten, als das Land, es fühlt sich viel besser an, die deutsche Autoindustrie zu verabschieden, als den Sozialmigranten schon an der Außengrenze dieser EU.

Außengrenzen, die zu schützen europäische Regierungen vorgeben, während die desaströs gescheiterte EU-Kandidatin der SPD, während Katarina Barley noch vor wenigen Tagen in einer Wahlsendung öffentlich darüber nachdachte, ob nicht die vielen deutschen Städte, die sich zu freien Häfen erklärt haben, eigenständig Zuwanderer in ihre Städte holen könnten, also einfach an diesem lästigen nationalen Innenministerium vorbei. EU-Europa denken über die Kommunen, dort, wo auf einsamer Straße der linke Arm zum Abbiegen gehoben wird. Einfach als Lustgewinn.

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