Tichys Einblick
Unterhaus lehnt den Austritts-Deal erneut ab

Eine Tragödie, womöglich in fünf Akten

Das Londoner Unterhaus hat Premierministerin May zum dritten Mal ihren Brexit-Deal um die Ohren gehauen. EU-Ratspräsident Tusk reagiert umgehend. Die EU-Staaten werden abermals einen Krisengipfel veranstalten.

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344 gegen 286 Stimmen. Dünner war diesmal die Mehrheit, doch immer noch ist der mit der EU ausgehandelte Vertrag für einen geordneten Brexit für das britische Unterhaus inakzeptabel. Nun werden die Alternativen allmählich überschaubar. Ein Austritt am 12. April ist recht wahrscheinlich, und dies wäre nichts anderes als ein hartes, nicht durch Verträge begleitetes Ausscheiden der Briten aus der EU. Die nahezu letztverbliebene andere Möglichkeit ist eine lange Verschiebung des Brexit. Doch dies würde eine Teilnahme an der EU-Wahl ab dem 23. Mai zwingend beinhalten. So, wie es derzeit aussieht, blockieren sich im britischen Parlament zwei Mehrheiten: einerseits schmeckt ihnen der mit Brüssel ausgehandelte Vertrag nicht, andererseits soll es ja eigentlich der harte Brexit auch nicht sein.

Für Premierministerin Theresa May ist das abermalige „Nein“ des Parlaments ein weiterer herber Rückschlag. Und diesmal hatte sie sogar, ganz nach britischer Art des Wettens, für den Fall ihres Erfolges einen baldigen Rücktritt in Aussicht gestellt. Vielleicht war diese Wette mit zwei gegensätzlichen Komponenten auch für die mit einem gewissen Hang zum Risiko ausgestatteten Briten zu viel: eine Mehrheit für den einizigen Vertrag, der mit Brüssel zu haben ist, ließ sich jedenfalls auch so nicht finden. Nun ist Brüssel wieder am Zug. EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte unmittelbar nach der Abstimmung in London auf Twitter einen EU-Sondergipfel für den 10. April an. Hier muss nun eigentlich der sofortige Hinauswurf der Briten erfolgen, denn eine weitere Verschiebung des EU-Austritts möchte – und kann! – Theresa May nicht verantworten. Einen Vertrag hat sie auch nicht anzubieten.

Was wird Brüssel tun?

Die EU-Europäer – besser: die Eurokraten – möchten Großbritannien um fast jeden Preis in der EU halten. Das hat weniger mit dem ewig ungeliebten und immer um Rabatt feilschenden Inselkönigreich zu tun, sondern vielmehr mit der inneren Machtstruktur. Gehen die Briten, ist das ein Signal. Dann kann auch Matteo Salvini mit dem Italexit wirksam drohen. Ein folgender Ausstieg aus dem Euro und eine massive Abwertung einer neuen italienischen Lira würden den Gläubiger Roms teilweise ruinieren. Und auch die Visegrad-Staaten und weitere könnten drohen. Sie könnten von den selbstvergessenen zentraleuopäischen Ländern der EU verlangen, dass sie sich dem Selbsterhalt nicht weiter verweigern und kein Millionenheer von Migranten mehr in ihre Länder lassen.

Brüssel wird also die Briten um fast jeden Preis halten wollen. Und wird deshalb den Zeitpunkt des Ausstiegs der Briten auf den 22. Mai prolongieren. Frau May wird dann wieder einen neuen Dreh suchen müssen, um den Brüsseler Vertrag ein viertes Mal ins Unterhaus zu bugsieren. Brüssel wird abermals Zugeständnisse machen – natürlich nicht zum Nutzen der EU-Bürger. Eine schäbige Tragikomödie mit mediokren Hauptdarstellern wird eine abermalige Fortsetzung finden. Das ist die ernüchternde Nachricht aus London am 29. März des Jahres 2019. Doch das wird erst der vierte Akt der Tragödie sein. Seit Aischylos und Sophokles wissen wir: da kommt noch ein fünfter Akt. Und der beinhaltet kein Happy-End.