Tichys Einblick
EuGH weist Klage Ungarns und Polens ab

Ein „Rechtsstaatsmechanismus“ als Mechanismus der Macht

Der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus richtet sich selbst gegen die Rechtsstaatlichkeit und zertrümmert die Gewaltenteilung. Es geht darum, das Recht der Völker auf nationale Selbstbestimmung zu ersetzen durch ein Weisungsrecht der Europäischen Kommission.

Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg

IMAGO / Horst Galuschka

Die Abgeordnete des Europa-Parlaments Monika Hohlmeier gab nun zu Protokoll, dass „uns Orbán und Morawiecki schon so lange auf der Nase herumtanzen“. Unschwer ist dabei zu erraten, wen Monika Hohlmeier mit „uns“ meint, nämlich die Brüsseler Bürokratie, diejenigen, die nichts vom Selbstbestimmungsrecht der Völker halten und die daher nur eine geringe Achtung vor dem Bürger und vor der Freiheit hegen, und wohl auch von der Demokratie haben, was sich zwangsläufig daraus ergibt. Denn die Regierungschefs, die Frau Hohlmeier auf der Nase herumtanzen, sind von der Mehrheit der polnischen Bürger und der Mehrheit der ungarischen Bürger in einem übrigens demokratisch einwandfreien Verfahren zweifelsfrei gewählt worden.

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Jedenfalls waren in Warschau und in Budapest nicht eine nur allzu große Anzahl von Bürgern an der Stimmabgabe gehindert worden, weil in den Wahllokalen zu wenige Wahlscheine vorhanden waren. Demokratie nach neudeutscher Art? Da Frau Hohlmeier von Recht und vom Rechtstaatsmechanismus spricht, sollte es sie und auch die EU-Kommission bekümmern, dass bisher die Wahl in Berlin, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt, weder annulliert noch wiederholt wurde. Oder meint man in Straßburg und in Brüssel, dass Demokratie überschätzt und der Wille der Bürger nicht mehr zählt, dass das Volk auch nicht mehr der Souverän ist, weil der woken classe politique „Volk“ ohnehin nur noch als rechter Begriff gilt und daher abgeschafft gehört?

Genau darum scheint es zu gehen: das Recht der Völker auf nationale Selbstbestimmung zu ersetzen durch ein Weisungsrecht der Europäischen Kommission unter gleichzeitiger Verminderung der Kompetenzen der im Gegensatz zur Brüsseler Bürokratie gewählten Regierungen in den Mitgliedsstaaten der EU und um die Überordnung des EuGH über die Verfassungsgerichte in den Mitgliedsstaaten.

Damit aber richtet sich der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus gegen die Rechtsstaatlichkeit selbst und zertrümmert die Gewaltenteilung, denn ausgerechnet der EuGH, der eigentlich eine Schiedsstelle und kein Gericht ist, aber durch die Hintertür zum Gericht gemacht wird, hat doch zumeist im Sinne der EU-Kommission entschieden. So war es nur zu erwarten, dass der EuGH die Klagen von Ungarn und Polen abweist, wie er es nun tat, und den Weg für die Anwendung des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus freimachen würde. Dass letztlich der EuGH in eigener Sache entschied, letztlich Partei war, ficht niemanden in Luxemburg oder in Brüssel oder in Berlin an. Recht scheint immer mehr zur Funktion des Politischen, immer mehr zum Mittel der von oben verordneten großen Transformation zu werden.

Viktor Orbán hatte am 12. Februar in Budapest daran erinnert, wer den Kalten Krieg gewonnen, wer dadurch Europa geeint und wer sich Freiheit und Demokratie erkämpft hat:

„Es geht darum, dass sie (der Westen, KRM) nicht in einer Diktatur gelebt haben und die Freiheit – wie das Márai gesagt hat – als Erbschaft erhalten haben. Wir aber haben in ihr gelebt, also in der Diktatur, und die Freiheit haben wir nicht erhalten, sondern wir haben für sie gekämpft. Wir schätzen den Beitrag der Westler nicht gering, doch ist für uns sonnenklar, den Kalten Krieg haben die Polen, die Tschechen, die Ungarn, die Deutschen, die Bulgaren, die Rumänen, die Esten, die Letten und die Litauer gewonnen, also wir. … In ihren Köpfen stehen auch jetzt nicht so wie auch damals nicht die Nationalstaaten im Mittelpunkt, sondern die globale Welt, die durch globale Organisationen, Institutionen und Netzwerke gesteuert und die durch weltweite Handels- und Technokommunikationsnetze miteinander verbunden wird….Deshalb kommen wir auch nicht zu einem Konsens in der Frage der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie. Wie wir wissen, leben wir in einem verfassungsmäßigen rechtsstaatlichen System, das das Grundgesetz klar festlegt und schützt. Für sie ist der Rechtsstaat ein Mittel, mit dem sie uns ihnen ähnlich kneten können. Deshalb interessieren sie die Tatsachen auch gar nicht und auch unsere Argumente nicht.“

Die Entscheidung des EuGH fällt auch nicht zufällig in diese Tagen. Am 3. April finden in Ungarn Parlamentswahlen statt. Die EU-Bürokratie und die deutsche classe politique wollen endlich Viktor Orbán, der ihnen, wie Frau Hohlmeier ausführte, auf der „Nase herumtanzt“, loswerden. In Ungarn wurde ein Bündnis gegen die FIDESZ geschmiedet, das die gesamte Opposition umfasst. Man kann sich das so vorstellen, hätten wir noch eine CDU/CSU mit einem Kanzler Kohl, dann würde das Oppositionsbündnis gegen CDU/CSU von der Linkspartei über die Grünen, die SPD, die FDP bis zur AfD und noch darüber hinaus reichen.

Doch auf eines kann man wetten: Mit Blick auf den Wahltermin werden wir zunehmend mit Fake News, Verdrehungen und Lügen bedacht. Die Medien erfinden sich schon länger einen Viktor Orbán, der mit dem wirklichen Orbán nichts gemein hat. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, dem ungarischen Ministerpräsidenten Sätze in den Mund zu legen, die der niemals gesagt hat. Sie verfahren dabei nach der Devise, dass es egal sei, ob Orbán das gesagt hat oder nicht, „unser Orbán“, den wir uns gebastelt haben, hätte das gesagt haben können – und das reicht.

Ungarn in der EU
Wie die dpa Fake News über Viktor Orbán erfindet – und (fast) alle abschreiben
Gestern lief die Behauptung durch die Medien, dass der ungarische Ministerpräsident in der bereits zitierten Rede angedeutet hätte, dass er aus der EU austreten würde. Krisztina Koenen schrieb dazu auf TE: „Was bei der dpa noch angedeutet war, wandelte sich in etlichen anderen Medien in ‚angekündigt‘. Allerdings: Sowohl die Version ‚angedeutet‘ als auch die Version ‚angekündigt‘ gehört zum klassischen Genre der Fake News. Beide Meldungen sind falsch.“ Tatsächlich hatte Viktor Orbán gesagt:

„Das wichtigste ist, ob wir zusammenbleiben wollen. Besonders hier in Europa, denn die Europäische Union besitzt nur dann eine Zukunft, wenn wir trotz der immer weiter zunehmenden kulturellen Entfremdung zusammenbleiben können. Wir unsererseits wollen die Europäische Union zusammenhalten. Deshalb haben wir auch mehrmals Brüssel und auch Berlin ein Toleranzangebot gemacht. Wir erwarten nicht, dass sie die ungarische Migrationspolitik, die ungarische Familienpolitik oder die ungarische Außen- und Nationalpolitik sich zu eigen machen, sie auf die europäische Ebene erheben, doch können auch sie nicht von uns fordern, dass wir ihre übernehmen. Es gibt keine andere Lösung, nur die Toleranz. Nur auf diese Weise können wir einen gemeinsamen Weg finden, und auch die EU muss vorwärts gehen, nicht zurück.“

Die Entfremdung, von der Orbán spricht, ist allerdings keine Entfremdung zwischen den Bürgern, den Völkern, sondern eine Entfremdung zwischen einerseits den wokeliberalen Eliten, den Transformateuren, und andererseits den Bürgern, den zu Transformierenden.

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