Tichys Einblick
Gedenkkultur

Gedenkinschrift zur Dresdner Bombennacht verschwindet unter mysteriösen Umständen – jetzt erklärt sich die Stadt

In Dresden wird eine Inschrift geschliffen, die an die Opfer des Bombenangriffs erinnert. Die Stadt weiß tagelang nichts, Spekulationen über eine illegale Aktion greifen um sich. Erst am Dienstag erklärt die Stadt die Hintergründe. Aber statt Selbstkritik hagelt es Vorwürfe an fiktive „Rechte“. Mehr Murks geht kaum.

IMAGO / jmfoto

Erinnerungspolitik in Dresden ist ein sensibles Thema. Die Zerstörung Dresdens durch die Luftangriffe der Alliierten scheint mit jedem Jahr heikler zu werden. Stand früher die Frage im Mittelpunkt, welche strategische Bedeutung die Bombardierung der sächsischen Landeshauptstadt hatte, fürchtet man sich heute vor der Instrumentalisierung durch Neonazis, wie Politik und Medien betonen.

Gerade aufgrund dieser Sensibilität sollte man meinen, dass man dieses Thema mit der Kneifzange anfasst. Man kann sich leicht den Vorwurf einhandeln, die eigenen Opfer vergessen machen zu wollen oder – auf der anderen Seite – den „Rechten“ in die Hände zu spielen. Das ist eine objektiv unangenehme Situation für eine Stadtverwaltung.

Man kann allerdings auch selbst einen großen Beitrag zur Verwirrung, zu Wut, Vorurteilen und Eskalation der Lage beitragen. Das ist der Weg, den die Stadt Dresden gewählt hat. Und dafür hagelt es jetzt Kritik.

Am Montag hatten die Dresdener verwundert feststellen müssen, dass eine Gedenkschrift vor ihren Augen verschwand. Am Altmarkt wurde die Inschrift zum Gedenken an die Opfer der Luftangriffe geschliffen. Die Inschrift war zuerst 2009 als Tafel angebracht, später in den Stein eingraviert worden. Der Text lautete:

„Dies ist ein Ort der Mahnung, des Erinnerns und Gedenkens. Hier wurden die Leichname tausender Opfer der Luftangriffe des 13. Und 14. Februar 1945 verbrannt. Damals kehrte der Schrecken des Krieges, von Deutschland aus in alle Welt getragen, auch in unsere Stadt zurück.“

Gerüchte und Spekulationen folgten. Hatten hier Linke, die mit Sprüchen wie „Bomber Harris do it again!“ kokettieren, in Eigenregie gehandelt? Zuerst hieß es vonseiten der Stadt: Man wisse nichts. Die sozialen Medien wollten sich nicht beruhigen. Dann hieß es später doch: Es handele sich um einen planmäßigen Vorgang, am Dienstag würden weitere Informationen folgen. Das klang nicht nur so, als ob man bei der Stadt nichts wisse, das nährte den Unmut, dass offenbar die Dresdner Gedenkkultur einfach kurzerhand ausradiert werden konnte.

Für weitere Irritation hatte im Vorfeld gesorgt, dass der Fraktionschef der Freien Wähler im Stadtrat, Jens Genschmar, Oberbürgermeister Dirk Hilbert auf den Vorfall angesprochen und ihn kritisiert hatte. Da hieß es noch: Die Stadt sei es nicht gewesen. Selbst die Polizei war auf Nachfrage zuerst ratlos gewesen. Holger Hase, Dresdner FDP-Stadtrat, sprach mit Alexander Wallasch und erklärte: „Von einer geplanten Umgestaltung hätte ich gewusst.“

Am Dienstnachmittag rang sich die Stadtverwaltung dann zur lang erwarteten Erklärung durch. Oberbürgermeister Hilbert gab folgendes Statement ab:

„Die Kritik in dieser Angelegenheit ist berechtigt, da wir aus kommunikativer Sicht äußerst unglücklich agiert haben. Bei Veränderungen an einem so sensiblen Erinnerungsort ist eine proaktive Kommunikation dringend erforderlich. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir durch unser gesellschaftliches Engagement immer wieder unterstrichen, wie wichtig uns die Erinnerungskultur ist, da sie ein unverzichtbarer Bestandteil der Geschichte unserer Stadt ist. Daher wäre in diesem Fall eine rechtzeitige Information über das geplante Vorgehen unerlässlich gewesen. Trotz aller Kritik bin ich den Bürgerinnen und Bürgern dankbar für ihr konstruktives Einmischen. Das verdeutlicht, wie bedeutend dieser Ort im Herzen unserer Stadt ist. Wir werden es jedoch nicht akzeptieren, dass dieser Anlass für Hetze und Verschwörungstheorien genutzt wird.“

Dem letzten Satz sollte man hinzufügen: Wer auf so saloppe Art mit der Dresdner Gedenkkultur umgeht, und nicht nur gegenüber Bürgern, sondern auch Behörden auf diese Weise kommuniziert, ist für die Missverständnisse in erster Linie selbst verantwortlich. Dass Hilbert bei der ersten Nachfrage von Genschmar offenbar nicht wusste, was passierte, wirft auch ein sehr eigenes Licht auf den Bügermeister.

Im Folgenden erklärte die Stadt, dass die Maßnahme bereits im Jahr 2019 entschieden war, nämlich, das Gedenken im wahrsten Sinne „wegzuschleifen“. Die Entfernung war Bestandteil des Bauvertrags für den zu erneuernden Altmarktplatz. Eine früher errichtete Stele war 2023 wegen Beschädigungen und Graffiti entfernt worden und werde spätestens nächste Woche wieder an alter Stelle platziert. Hier der Text im Wortlaut:

„Im Rahmen des Umbaus des Altmarkts wurde bereits 2019 in Absprachen zwischen dem Amt für Stadtplanung und Mobilität, dem Amt für Kultur und Denkmalschutz, der AG 13. Februar und dem Amt für Wirtschaftsförderung entschieden, die Mahnmale zur Erinnerung umzugestalten. Ergebnis dieser Absprachen war, dass die Gravur in der Lehne der Sitzbank, die gleichzeitig Umfassung des Abgangs zur Tiefgarage ist, entfernt wird. Dies war Bestandteil des Bauvertrages für den Platz. Wiederholt war der Platz der Inschrift an einer Bank in die Kritik geraten, nicht würdig zu sein, weil Menschen vor dem Text sitzen. Außerdem gab es Beschädigungen und wiederholt Graffiti. 2020 war ergänzend zum Text an der Bank und dem Einlass im Boden eine Stele errichtet worden, die über den Ort informiert. Diese Stele wurde im Zuge der Bauarbeiten auf dem Platz 2023 beschädigt und nun erneuert. Abhängig von der Witterung wird sie bis spätestens nächste Woche auf dem Altmarkt wieder platziert.

Die Inschrift der neuen Stele lautet:

An dieser Stelle wurden von Ende Februar bis Anfang März 1945 die Leichen von 6.865 Menschen verbrannt. Ihre Asche wurde auf dem Heidefriedhof in einem Massengrab beigesetzt. Sie waren Opfer der Bombenangriffe auf Dresden vom 13. bis zum 15. Februar 1945, bei denen 25.000 Menschen ihr Leben verloren. Der Künstler Einhart Grotegut hat 2005 – zum 60. Jahrestag des Gedenkens – eine metallene Erinnerungsspur im Pflaster des Platzes eingebracht. Außerdem ist der Altmarkt durch ein ‚Mahndepot‘ gekennzeichnet, das den Ort als Teil der Erinnerungsgeschichte des Zweiten Weltkrieges markiert. Seit 1945 ist der 13. Februar einer der wichtigsten Gedenktage in der Landeshauptstadt Dresden. Seitdem wurde der Gedenktag wiederholt politisch instrumentalisiert und umgedeutet. Am 13. Februar wird der Opfer der Bombardierung infolge des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieges und der Millionen Toten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht.“

Die Medien beeilen sich indes, die neue Einordnung der Bombennacht in den Vordergrund zu stellen. So erklärte die Bild-Zeitung: „Neonazis nutzen den jährlichen Gedenktag, den 13. Februar, um die Stadt als Bühne für Aufmärsche zu missbrauchen. Sie stellen die Bombardierung Dresden als Kriegsverbrechen dar, lassen dabei außer Acht, das Nazi-Deutschland zuvor ebenfalls europäische Städte (u. a. Coventry) bombardiert hatte.“ Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Coventry kein Kriegsverbrechen war?

Auch die Sächsische Zeitung ist darum bemüht, die Luftangriffe vor allem deswegen zu erwähnen, weil Rechtsextreme das Andenken missbrauchen: „Rechtsextreme Gruppierungen wie ‚Ein Prozent‘ haben das genutzt, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch die Brüder Max und Moritz Schreiber von den rechtsextremen ‚Freien Sachsen‘ nutzten die Aktion in ihrem Telegramkanal für sich.“ So, als bräuchte man Neonazi-Gruppen, um sich über den Umgang mit der Vergangenheit zu echauffieren. Dabei braucht es dafür lediglich eine Stadtverwaltung, die jeden im Ungewissen lässt. Mittlerweile muss für jede Schlamperei der Nazi an der Ecke herhalten.

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