Tichys Einblick
Welche EU?

Donald Tusk und Viktor Orbán

Der überfällige Richtungswechsel der EU, weg von noch mehr Zentralisierung und hin zu ganz viel Dezentralisierung kommt aus den Staaten östlich der Linie Berlin-Rom.

© Thierry Charlier/AFP/Getty Images

EU-Ratspräsident Donald Tusk nennt verpflichtende Aufnahmequoten für Flüchtlinge „höchst spaltend“ und „unwirksam“ und sieht auch sonst Risse im EU-Gebälk. Die Beurteilung von Sascha Lehnartz auf Welt online hat eine knackige Überschrift: „Tusk entlarvt eine große europäische Schnapsidee“.

Dass er die richtige Erklärung für den Sinneswandel des bisher stramm Brüssel-konformen Tusk gleich mitliefert, ändert nichts daran, im Gegenteil, dass damit Polen bei jedem nationalen Wahlausgang fest im Visegrád-Lager bleiben wird. Dass Tusk seinen Wiedereintritt in die polnische Politik vorbereitet, sagt mehr zum Zeitpunkt seiner EU-Kritik, die zugleich eine an Frau Merkel ist, als zu seiner Haltung in der Sache.

In den frühen 1990er Jahren war ich noch CEO der Friedrich-Naumann-Stiftung, zu unseren Partnern in Polen und in Ungarn gehörten zwei junge Radikalliberale: Donald Tusk und Viktor Orbán. Die beiden kennen sich auch untereinander schon seit damals. Nun nähert sich der Zeitpunkt, dass sich die ehemals radikalen Liberalen als National-Konservative wiederfinden, die wahrscheinlich noch etliche Zeit an den Veränderungen der EU mitwirken werden.

Am kommenden Montag dürfte der ehemalige Grüne Van der Bellen als Bundespräsident einen neue österreichische Regierung angeloben mit Sebastian Kurz als Bundeskanzler und Heinz-Christian Strache als Vizekanzler. Was bisher über die Ressortverteilung zwischen ÖVP und FPÖ bekannt ist, zeichnet sich durch eine Konzentration aller EU-relevanten Kompetenzen bei der ÖVP aus, eine kluge Vermeidung oder zumindest Begrenzung koalitionsinterner EU-Differenzen.

Wie viel oder wie wenig Unterschiede es in den Auffassungen zwischen Kurz und seinen Amtskollegen in den Visegrád-Staaten gibt, aber auch in vielen anderen zwischen Helsinki und Tirana entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs, wird nächstes Jahr klar zutage treten. In der zweiten Hälfte 2018 übernimmt Österreich zum dritten Mal, nach 1998 und 2006, den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Wir werden einen exzellent vorbereiteten Sebastian Kurz erleben.

Österreich als mögliches Politlabor für die im Denken und Handeln festgefahrenen Politiker Westeuropas habe ich schon ein paar Mal genannt. Donald Tusks Signal ermuntert mich zur Prognose, dass die überfälligen Anstöße zum Richtungswechsel in der EU, weg von noch mehr Zentralisierung und hin zu ganz viel Dezentralisierung aus den Staaten östlich der Linie Berlin-Rom kommen werden. Die Hymne, noch ist Polen nicht verloren, kann für ganz Europa Geltung entfalten.