Tichys Einblick
Die Hälfte des Aufkommens bleibt:

Doch Olaf Scholz redet von „fast kompletter Abschaffung“ des Soli

Das Soli-Aufkommen beträgt fast 20 Milliarden Euro. Die geplante Entlastung liegt aber nur bei 10,8 Milliarden Euro.

Omer Messinger/Getty Images

Olaf Scholz feiert sich für die „fast komplette Abschaffung“ des Solidaritätszuschlags, die heute vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Sein Zitat des Tages auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums (BMF): „Heute ist ein bedeutsamer Tag auf dem Weg zur Vollendung der deutschen Einheit. Die Kosten der Wiedervereinigung sind in weiten Teilen gestemmt. Daher können wir heute das Verfahren beginnen, ab 2021 den Soli für den überwiegenden Teil der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abzuschaffen. Die wenigen auch nach Auslaufen des Solidarpaktes zum Jahresende verbleibenden Kosten werden zukünftig von denen geschultert, die mehr haben, als andere. Das ist fair und wird auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten.“

Wenn sich der amtierende Bundesfinanzminister da nur nicht täuscht. Einer seiner Vorgänger im Amt, Theo Waigel (CSU), in dessen Amtszeit der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde, kommentierte erst vor kurzem: „Ich kann nur raten, ihn abzuschaffen, weil die Politik ansonsten vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen werden wird.“ Bereits heute Abend wird publik, dass Steuerzahler gegen das Soli-Gesetz klagen wollen, unterstützt vom Bund der Steuerzahler. Vertreten wird ein klagendes Ehepaar aus Bayern, das heute seine Klage beim Finanzgericht Nürnberg eingereicht hat, von Rechtsanwalt Michael Sell. Pikant: Der Mann führte bis zum vergangenen Herbst die Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium, ehe ihn Olaf Scholz in den einstweiligen Ruhestand versetzte.

Erstaunlich und widersprüchlich zugleich sind zwei Aspekte:

1. Angesichts einer „fast kompletten Abschaffung“ ist es doch erstaunlich, dass das Bundesfinanzministerium im ersten Jahr der Entlastung – im Jahr 2021 – von einem Entlastungsvolumen für die steuerpflichtigen Bürger von 10,8 Milliarden Euro ausgeht. Das Gesamtaufkommen aus dem Solidaritätszuschlag im Jahr vor der „fast kompletten Abschaffung“ liegt aber nach Angaben des BMF im Jahr 2020 bei 20 Milliarden Euro. Es ist also mehr als nur Schönfärberei, von „fast kompletter Abschaffung“ zu fabulieren, wenn die verbleibenden 10 Prozent der auch künftig Zahlungspflichtigen weiter für knapp die Hälfte des bisherigen Aufkommens geradestehen müssen. Das wird vor allem größere mittelständische Personenunternehmen treffen, die auf ihre Körperschaftssteuer weiter den vollen Solidaritätszuschlag berappen müssen. Die Mittel wären gerade dort in den bevorstehenden schwierigen konjunkturellen Zeiten eine willkommene Entlastung, um Umstrukturierungsinvestitionen zu stemmen.

2. Olaf Scholz wirbt mit folgendem Argument für seine Teil-Abschaffung des Soli: „Die weitgehende Abschaffung wirkt sich zudem positiv auf die Binnenkonjunktur aus: Menschen mit geringeren und mittleren Einkommen bleibt mehr auf dem Konto, die dann höheren Nettoeinkommen stärken die Binnenkonjunktur. Nicht nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entfällt der Zuschlag. Auch viele Selbständige und Gewerbetreibende zahlen ihn künftig nicht mehr. Das setzt Anreize für Investitionen und neue Arbeitsplätze.

Warum, werter Bundesfinanzminister, wird dann nicht bereits im Jahr 2020 entlastet? Jetzt droht in Deutschland eine Rezession. Die Industrie steckt bereits mitten drin, Dienstleistungen und der private Verbrauch werden auch schon infiziert. Außerdem sticht das Argument mit der Wirtschaft wohl kaum, da aus diesem Sektor das Gros der auch künftig Zahlungspflichtigen stammt.

Wer sich für die Details des Gesetzentwurfs interessiert, ist mit diesem Link auf die Homepage des BMF bedient.

In der Begründung zum Gesetzentwurf findet sich unter Punkt A. III ein Satz, aus dem man – Gutwilligkeit unterstellt – die endgültige Abschaffungsabsicht herauslesen könnte: „Aufgrund des weiterhin bestehenden Mehrbedarfs wurde von einer sofortigen, vollständigen Abschaffung der Ergänzungsabgabe abgesehen, die später erfolgen wird.“ Aus sozialdemokratischer Warte ist dieser Satz wohl als Alibi für die beiden Unionsparteien gedacht, deren Wirtschaftsminister und deren Mittelstandsvereinigung laut für eine Komplettabschaffung trommeln – allerdings bis auf Weiteres vergeblich.

Ohne das Bundesverfassungsgericht wird dem Soli in seiner künftigen Form wohl noch ein langes Leben beschieden sein. Denn fast egal, in welcher Konstellation dieses Land künftig regiert wird: Eine grün-rot-rote wie auch eine schwarz-grüne oder grün schwarze Bundesregierung werden auf 10 Milliarden Rest-Soli im Jahr nicht verzichten wollen. Der Klimaschutz ruft oder der Sozialstaat. Und zahlen sollen ja nur noch die wirklich Reichen und die Personenunternehmen. Und die haben es ja, die kann der Staat ruhig melken.

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