Es ist kompliziert. So könnte man den Beziehungsstatus zwischen Politik und Bundespolizei, aber mehr noch zwischen Politik und Bürgern beschreiben. Wo die Bürger zu Recht erwarten, dass endlich wieder das Grundgesetz gilt, da kann sich die nun regierende Union noch auf dem (schlechten) Status quo ausruhen und sagen, dass sie immerhin eine Verbesserung herbeiführe. Wenn Markus Söder sagt, nun gelte wieder die Asylpolitik von vor 2015, dann ist das ganz sicher eine Übertreibung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens waren die Dinge auch vor 2015 nicht ideal geordnet und seitdem hat sich einiges zum Schlechteren verändert, auch durch Merkels Politik der Grenzöffnung. Und zweitens braucht Innenminister Alexander Dobrindt gar nicht in diesen erträumten Idealzustand zurückzukehren. Das würde ihm kurzfristig vermutlich sogar schaden, zumindest im Ränkespiel der Parteien.
Eines ist sicher: Die neue Bundesregierung ist noch nicht zur alten gesetzlich festgeschriebenen Regelung zurückgekehrt, wonach Ausländern „die Einreise zu verweigern“ ist, wenn sie „aus einem sicheren Drittstaat“ einreisen (§ 18 des Asylgesetzes). Auch Dobrindt bezieht sich auf diesen Paragraphen und behauptet, eine „mündliche Anweisung vom 13. September 2015“ wieder zurückzunehmen. Oho! – ein Aufstand gegen Merkel nach fast zehn Jahren. Der Minister schreibt aber selbst einen Satz danach, dass die „Einreise aus einem sicheren Mitgliedsstaat“ nun auch nur „verweigert werden kann“ (Hervorhebung im ministeriellen Schreiben), nicht etwa muss, wie aus dem Gesetzestext klar hervorgeht. Deutschland ist bekanntlich von sicheren Drittstaaten umgeben und kann daher nicht dazu verurteilt sein, der sichere Hafen von „Flüchtenden“ (früher „Flüchtlingen“, also widerrechtlich einreisenden Migranten) zu bleiben.
Und dann spricht Dobrindt sogar ganz explizit von Ausnahmen, bei denen es noch immer gar keine Zurückweisungen an der deutschen Grenze geben darf, nämlich bei „vulnerablen Personen“. Sie sollen „unter Wahrung der Fiktion der Nichteinreise“ an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden. Diese Fiktion ist im übrigen allgemeiner Brauch auch bisher, sie endet dann, wenn der Migrant das Wörtchen „Asyl“ ausspricht und damit zum „legal Eingereisten“ wird.
Auch Dublin war kein Paradies
Dobrindt beabsichtigt nun wohl, dass er mit der windelweichen Kann-Regelung (und der Ausnahme für „Vulnerable“) das meiste an Kritik von Grün-Links abwenden kann. Aber auf der anderen Seite bestärkt er damit gerade nicht jenen kritischen Teil der Bürger, die sich eine Abweisung aller auf ungesetzliche Weise einreisenden Migranten wünschen. Der Minister lässt ein Scheunentor offen mit dem Wörtchen „kann“ und dem Zusatz zu den „verletzlichen“ Personen.
Aber Söder hat noch in einem anderen Punkt nicht Recht. Laut dem Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz Daniel Thym war die EU-rechtliche Lage schon vor dem 13. September 2015 undurchsichtig, und es gibt doch etwas Grund, dem Jura-Professor hier zu folgen. Denn damals hatten schon die diversen Dublin-Verordnungen das Grundgesetz ersetzt. Und sie sehen zwar vor, dass Asylgesuche an der EU-Außengrenze zu stellen sind. Praxis wurde das aber nie zur Gänze und mit den Jahren immer weniger.
Die Folge: Deutschland musste um die Rücknahme von Asylbewerbern durch Italien und Griechenland bitten – mit heute sehr gemischten Chancen auf Rücknahme. Denn die Mittelmeerländer sehen sich selbst als erste Opfer der Massenmigration und sehen die Rücknahmen nicht durchgehend ein. Griechenland im Speziellen würde aber laut Bundespolizeigewerkschafter Heiko Teggatz kooperieren, Italien vielleicht weniger.
Eine SPD-Grandin ruft zur Umkehr, die Grünen frohlocken
Es war daher kein schlechter Gedanke von der Union, auf Zurückweisungen an den deutschen Grenzen zu verfallen, um den Druck im EU-Kessel zu erhöhen. Aber Zweifel bleiben, dass Merz und Co den Druck aufrechterhalten werden oder ihn zuallererst aufbauen können. Deutschland ist kein Dampfkochtopf, und sicher nicht unter dieser Koalition. Anke Rehlinger, saarländische Ministerpräsidentin und SPD-Grandin, hat Dobrindt schon dazu aufgefordert, endlich zur Klarheit „auf schwierigem rechtlichen Terrain“ zu finden. Rehlinger will weniger konfrontativ gegenüber den Nachbarstaaten auftreten: lieber gemeinsame Patrouillen als verschärfte Grenzkontrollen mit harten Zurückweisungen. Die SPD fordert also die Aufgabe von etwas, das es ohnehin bisher nicht gibt.
Thorsten Frei gab es bei Caren Miosga zu: Sobald irgend möglich, will man auch von den Grenzkontrollen wieder wegkommen, damit auch von den Zurückweisungen. Und auch die Grünen frohlocken schon, weil sie wissen, dass Merz in einem ganz anderen Topf schmort – dem von Rot-Grün, das weiterhin die Fäden zieht, ob in Regierung oder Opposition. Die Grünen meinen, sie hätten den Innenminister mit ihren 18 Fragen beim Schlafittchen. Sie wollen wissen, ob die neue Regelung eine Kann- oder eine Muss-Bestimmung ist. Daneben fragen sie allen Ernstes nach einer gesetzlichen Grundlage für die Zurückweisung, obwohl die doch in der Weisung steht. Und angeblich bleiben Bundespolizeidienststellen unbesetzt, weil viele Beamte nun bei den Grenzkontrollen eingesetzt werden, so liest man.
Laut Bild am Sonntag wurden am Donnerstag und Freitag insgesamt 19 Migranten trotz Äußerung eines Asylgesuchs zurückgewiesen. Laut GdP-Chef Andreas Roßkopf setzen die Bundespolizisten die Weisung konsequent um: „Unsere Kollegen werden jeden Asyl- und Schutzersuchenden zurückweisen, außer Schwangere, Kranke, unbegleitete Minderjährige.“ Trotzdem: So steht es ja gerade nicht in der Ministerweisung. Dobrindt flottiert dort frei zwischen „kann“ und „muss“, ohne sich festzulegen. Das ist als Minister einer schwarz-roten Koalition geschickt, für Deutschland bewirkt es aber wohl nur eine leichte Verbesserung auf dem Status quo. Höchstens. Alles hängt am Durchhaltevermögen und Wollen der Unionsparteien. Und darum steht es wohl eher nicht gut. Aber 100 Tage muss man ihnen geben.