Tichys Einblick
Jens Spahns Deals

Jens Spahn mit seinen Masken-Geschäften und fragwürdigen PR-Aktionen

Manche Lieferanten von Corona-Schutzausrüstung behandelte Jens Spahns Ministerium offenbar sehr wohlwollend. Andere warten bis heute auf ihr Geld. Wichtige Fragen beantwortet der CDU-Politiker nicht. Selbst Bundestagsabgeordnete werden mit winzigen Informationskrümeln abgespeist

imago Images/photothek

In einer Crailsheimer Lagerhalle von DB Schenker liegt das Eigentum von Joachim Lutz, Import-Export-Kaufmann aus Offenburg: aus China importierte Schutzmasken im Wert von insgesamt 1,6 Millionen Euro. Das heißt: der Kaufmann vermutet, dass sie dort liegen. Dorthin lieferte er sie jedenfalls 2020 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums von Jens Spahn, das die Ware bei ihm bestellte. Allerdings bezahlte sie das Ministerium nie. Und nicht nur das: Mitarbeiter des Beratungsunternehmens Ernst &Young (EY), die im Auftrag von Spahns Ministerium operieren, verweigern Lutz bis jetzt auch den Zutritt zur Halle. „Ich habe keinerlei Beleg, ob sich die Masken überhaupt noch dort befinden“, sagt Lutz im Gespräch mit TE. Er klagt gegen das Ministerium – so wie mehr als 30 andere Händler, die sich von Spahns Behörde getäuscht fühlen.

Andere Maskenlieferanten kamen dagegen im März 2020 zum Zug – manche zu erstaunlich guten Konditionen. Mit 20 Millionen Masken gehört sogar eine branchenfremde Firma zu den großen Geschäftspartnern des Ministeriums: ein verzweigtes Berliner Immobilienunternehmen. Ein Schweizer Anbieter profitierte von einer Vermittlerin mit direktem Zugang zu Spahn.

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Die Geschichte über Spahn, die Masken, diverse Geschäftsleute und sehr viele Millionen an Steuergeldern passt kaum zu der Vorstellung vieler Bundesbürger von ihrem Staat, den viele für bürokratisch und träge halten, aber auch immer noch für halbwegs verlässlich und rechtstreu. Bei Spahns Maskenbeschaffungsaktion müssen selbst Bundestagsabgeordnete feststellen, dass sie einige Informationen über Geschäfte und Geldflüsse nur scheibchenweise erhalten. Und manche gar nicht. Auch die Fragen von TE ließ Jens Spahn fast durchgehend unbeantwortet.

Lutz importiert mit seinem Handelsunternehmen seit vielen Jahren Güter von China nach Deutschland. Als der Bundesgesundheitsminister Im Frühjahr 2020 nach Schutzmasken gegen das Corona-Virus rief, gehörte der Offenburger zu den Unternehmern mit eingespielten Kontakten nach Asien, die schnell die gewünschte Ware besorgen konnten.

Der Beschaffung ging eine politische Konfusion und schlechtes Vorsorgemanagement voraus. Im März 2020, als es schon die ersten Covid-19-Infektionen in Deutschland gab, nannte Gesundheitsminister Jens Spahn die Krankheit erst „milder als eine Grippe“; er und das Robert-Koch-Institut erklärten das Tragen von Schutzmasken für überflüssig, ja sogar schädlich („falsches Sicherheitsgefühl“). Dann änderte er zusammen mit den anderen Regierungsmitgliedern seine Einschätzung zu Corona, stellte aber gleichzeitig fest, dass in Deutschland Schutzmasken fehlten, selbst in medizinischen Einrichtungen. Größere Lagerbestände existierten nicht. Und von dem wenigen Schutzmaterial, über das der Bund verfügte, hatte Außenminister Heiko Maas außerdem im Februar und März 2020 insgesamt 14,1 Tonnen mit großer Geste nach China verschenkt.

Der Bund musste also dringend einkaufen, verfügte aber – auch das merkten die zuständigen Politiker in diesen Tagen – über kein eigenes Beschaffungsamt für medizinisches Material. Spahn entschied deshalb am 9. März, dass sein Ministerium Masken und andere Schutzkleidung direkt aufkaufen und verteilen sollte – und zwar in einem so genannten Open-House-Verfahren.

Der Unionspolitiker sagte jedem Anbieter die Abnahme zu, der er in der Lage war, mindestens 25 000 Masken zu liefern. Darüber hinaus gab es noch direkte Kontakte zwischen Ministerium und Anbietern, teilweise über über das Mobiltelefon des Ministers, die ministeriumsintern unter „Direktbeschaffung“ liefen. In einer chronologischen Darstellung von Gesundheits-Staatssekretärin Sabine Weiss für die Vorsitzenden des Gesundheits- und des Haushaltsausschusses vom 18. März 2021 heißt es:

„BMG intern wurde am 9. März 2020 unter Führung des Ministers, unter Einbindung der weiteren Hausleitung und der betroffenen Fachabteilungen (insb. Abteilungen 1 und Z) ein strukturierter Prozess der Direktbeschaffung aufgesetzt. Maßnahmen der Direktbeschaffung wurden teilweise parallel zur Beschaffung im sog. Open- House-Verfahren (OHV) fortgesetzt. Im OHV wurden über 1.000 eingegangene Angebote geprüft und 738 Zuschläge erteilt.“

In diesem Nebeneinander von direkt eingefädelten Ankäufen und Offenem-Haus-Verfahren verlor das Ministerium des gelernten Bankkaufmanns Spahn offenbar schnell den Überblick – falls es ihn je besessen hatte. Denn der Ankaufsetat für Masken und andere Schutzkleidung betrug nur 1,2 Milliarden Euro. Das Volumen der unterschriebenen Lieferverträge summierte sich allerdings schnell auf 6,4 Milliarden Euro. Also verfiel das Bundesgesundheitsministerium offenbar auf die Idee, in etlichen Fällen nicht zu bezahlen, von den Verträgen zurückzutreten und pauschal Qualitätsmängel zu behaupten.

So ging es auch Joachim Lutz, der für seine KN95-Masken und Schutzkittel nichts bekam. Die Begründung lautete, seine Masken seien mangelhaft. Als er an seine in Crailsheim eingelagerten Masken heranwollte, um sie von einem unabhängigen Experten prüfen zu lassen, verwehrte ihm – siehe oben – Ernst & Young im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums den Zugang.

Lutz gehört zu den 82 Lieferanten, die gegen den Bund auf Bezahlung klagen. Vor Gericht stehen sie Anwälten von Ernst & Young gegenüber. Den lukrativen Auftrag für die Aktion, den Bund aus dutzenden schon geschlossenen Verträgen wieder herauszuwinden, erteilte das Bundesgesundheitsministerium offenbar ohne Ausschreibung an EY. Der Vorgang mutet umso seltsamer an, da EY gleichzeitig im Zentrum des bisher nur rudimentär aufgeklärten Wirecard-Skandals steht. Bekanntlich hatten EY-Wirtschaftsprüfer die manipulierten Bilanzen des zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters lange mit ihrem Gütesiegel versehen.

Die Masken- und Schutzausrüstungslieferanten wurden bisher vom Bund auffallend unterschiedlich behandelt. Einige bekamen ihr Geld oder zumindest Teilzahlungen. Einigen weiteren bot das Bundesgesundheitsministerium bisher Vergleiche an. Andere, wie Lutz, erhielten weder eine Bezahlung noch ein Angebot zur Einigung.

Zu den ziemlich gut behandelten Lieferanten gehört die Firma EMIX Trading GmbH aus dem schweizerischen Zug. Sie drang direkt zu Jens Spahns Mobiltelefon durch, genauer: die EMIX-Lobbyistin Andrea Tandler, Tochter des CSU-Politikers und früheren bayerischen Wirtschafts-und Finanzministers Gerold Tandler. Am 9. März 2020, also am gleichen Tag, an dem Spahn sich für das Beschaffungsverfahren entschieden hatte, rief sie den Gesundheitsminister an. Wie es in dem Schreiben von Staatssekretärin Weiss heißt, „informierte Frau Andrea Tandler den Minister am 9. März 2020 über das Angebot zum Verkauf von PSA durch die Firma EMIX Trading GmbH (‚EMIX’). Das Angebot umfasste diverse Artikel, unter anderem Schutzmasken.“

Zwischen dem 12. März 2020 und dem 24. April 2020 schloss der Bund insgesamt vier Verträge mit der EMIX über die Beschaffung von Einmalhandschuhen, OP-Masken und FFP2/KN95-Schutzmasken.

Der Vertragsumfang belief sich laut Ministerium auf 210 Millionen OP-Masken zu einem Preis von 0,60 Euro pro Maske und 150 Millionen FFP2/KN95-Masken zum durchschnittlichen Preis von 5,58 Euro pro Maske, dazu 44 Millionen Einmalhandschuhe zu einem Preis von 0,09 Euro pro Stück. Die erste Tranche von EMIX traf am 27. März 2020 „unter Begleitschutz der Bundespolizei“, wie es in der Ministeriumsvorlage heißt, in einem Lager im thüringischen Apfelstädt ein. Obwohl Prüfer dann laut Bundesgesundheitsministerium Qualitätsmängel feststellten, und die Ware auch, wie es in der Auflistung der Staatssekretärin heißt, „nicht vollständig“ geliefert worden sei, flossen zumindest hohe Teilzahlungen an die EMIX. Zum aktuellen Stand vermerkte Staatssekretärin Weiß am 18. März 2021: „Die Parteien stehen derzeit in Verhandlungen.“

Unter den Firmen, die im Frühjahr 2020 Masken an das Bundesgesundheitsministerium verkauften, findet sich auch ein Außenseiter: Areal Import, die zu einem Berliner Immobilien-Unternehmensgeflecht gehört. Als Kontaktadresse gibt Areal Import die Areal Invest XXXI. Grundstücksgesellschaft am Leipziger Platz 8 in Berlin an. Auf ihrer Webseite bezeichnet sich die Areal Import stolz als „Lieferant der Bundesrepublik Deutschland“: Sie habe „im Monat Mai 2020 bereits viele Millionen FFP-2-Schutzmasken an das Bundesministerium für Gesundheit geliefert“. Die Auflistung des Bundesgesundheitsministeriums für den Gesundheits- und den Haushaltsausschuss nennt sogar die Areal Invest XXXI. Grundstücksgesellschaft direkt als Lieferanten für die insgesamt 19 999 999 Masken.

Die Areal Invest XXXI. Grundstücksgesellschaft ist wiederum nur ein Teil der weitverzweigten Areal-Immobiliengruppe in Berlin, die ihrerseits mit der Immobiliengruppe Nox Capital verbunden ist. Ein großer Maskenverkauf aus einer Berliner Immobiliengruppe heraus, die vorher nicht als Importeur von medizinischer Schutzausrüstung aufgefallen war.

Der Vorgang wirft Fragen auf. Zum einen angesichts der ungewöhnlichen Praxis von Jens Spahn, Angebote schon mal direkt über sein Mobiltelefon anzunehmen und an seine Beamten durchzustellen, zum anderen, weil Spahn in der Vergangenheit auch als Immobilienkäufer im Volumen von mehreren Millionen Euro in Berlin aktiv war. TE fragte Spahn nach eventuellen Kontakten geschäftlicher beziehungsweise privater Natur zu der Areal-Gruppe und Nox Capital, und zu Jens Kirsch, der in beiden Gruppen als Manager fungiert. Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, dass Einzelheiten der Maskenbeschaffungsaktion von Spahn die Öffentlichkeit nichts angehen: „Zu einzelnen Beschaffungsvorgängen, vertraglichen Details und daraus resultierenden Handlungen gibt das BMG keine Auskünfte“, so ein Sprecher. Auf die Frage nach Kontakten von Spahn zu den beiden Immobiliengruppen und zu Jens Kirsch ging er gar nicht erst ein.

Auch Bundestagsabgeordnete, die theoretisch die Regierung kontrollierten sollten, erhalten in der Affäre bis jetzt ähnlich patzige Nicht-Anworten wie Journalisten. Die Linken-Abgeordnete Sylvia Gabelmann fragte im Februar 2021 nach den noch unbezahlten Lieferanten, und verlangte Details. Spahns Staatssekretärin Weiss schrieb ihr am 19. März 2021, das Bundesgesundheitsministerium habe „zum aktuellen Stand 30 Vergleichsabschlüsse“ vorgenommen. Allerdings weigerte sie sich mitzuteilen, zu welchen Konditionen die Vergleiche erfolgten. Und vor allem, warum einige Lieferanten bezahlt wurden, andere immerhin nach einigem hin und her nachträglich Geld erhalten, und andere wie Joachim Lutz und dutzende weitere klagen müssen. „Durch eine Veröffentlichung der angefragten Informationen“, so Weiss, „würden die fiskalischen Interessen in den laufenden Vergleichsverhandlungen beeinträchtigt.“

Die Mischung aus freihändigem Umgang und Intransparenz lässt sich auch in einem anderen Fall besichtigen: Der Vergabe eines Auftrags zur „kommunikativen Begleitung“ der Corona-Warn-App an das Kommunikationsunternehmen MSL Group in Berlin im März 2020 durch das Robert-Koch-Institut. MSL-Geschäftsführer Axel Wallrabenstein, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der Jungen Union und früherer Sprecher der sächsischen Staatskanzlei, gehört seit längerem zu dem engeren Kreis um Jens Spahn. Spahn war schon 2015 Gast in dem politischen Salon, den MSL regelmäßig veranstaltet. Wallrabenstein, der zum Vorstand der Berlin-Biennale gehört, führte Spahn und dessen Lebensgefährte Daniel Funke 2020 durch die Ausstellung.

In ihren politischen Briefings lobt die Kommunikationsagentur Spahn überschwänglich, etwa im August 2020: „His forceful management of the crisis, the clarity of his public appearances and the sheer amount of work he put into battling COVID-19 boosted his public reputation as crisis manager significantly.“ („Sein kraftvolles Management der Krise, die Klarheit seiner öffentlichen Auftritte und die schiere Menge an Arbeit, die er in die Bekämpfung von Covid-19 investiert, stärkten seinen öffentlichen Ruf als Krisenmanager deutlich“).

Auf Anfrage von TE bestätigt das dem Gesundheitsministerium unterstellte Robert Koch-Institut, dass der Auftrag im Umfang von mehr als einer halben Million Euro für die Begleitung der Corona-Warn-App ohne Ausschreibung an Wallrabensteins MSL Group ging.

„Im März 2020“, so eine RKI-Sprecherin, „fanden erste Gespräche zwischen dem Projektteam für digitale Projekte am Robert Koch-Institut und MSL über eine Zusammenarbeit statt, in deren Folge MSL ein Angebot erstellt hat. Der Auftrag wurde im Einvernehmen mit dem Erlass des BMWI vom 19.03.2020 im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb vergeben.“

Wie MSL und RKI zusammenfanden, wer wen ansprach – dazu gibt die Behörde keine Auskunft.

Das RKI beteuert auf Nachfrage auch:

„Die Beauftragung der Agentur folgte ohne Weisung oder Aufforderung durch das BMG und/oder Bundesgesundheitsminister Spahn.“

Bemerkenswert scheint der frühe Zeitpunkt, an dem sich das „Projektteam“ zusammenfand. Denn eingeführt wurde die Corona Warn-App erst am 16. Juni 2020. Im August 2020 schrieb das RKI die „kommunikative Begleitung“ der App öffentlich aus.

Die App selbst blieb erfolglos. In der Strategie der Bundesregierung spielt sie keine Rolle mehr.

Unternehmer Joachim Lutz spricht von „reiner Willkür“, wenn es um das Geschäftsgebaren des Bundesgesundheitsministeriums geht. Er gehört zu den doppelt Geschädigten: Geld für seine vorfinanzierte Ware erhielt er nicht, aber auch keinen Zugang zu den angeblich schadhaften Masken in der Lagerhalle von Crailsheim. Er kann sie also auch an einen anderen Abnehmer verkaufen, um den Schaden wenigstens zu mildern.

Ein erster Gerichtstermin fand schon statt. Lutz’ Anwalt begegnete dort einem kompromisslosen Juristen von Ernst & Young. Der Richter habe, wie bei solchen Verfahren üblich, die Frage gestellt, ob nicht ein Vergleich möglich wäre. „Mein Anwalt hat erklärt, dass eine Einigung Zug um Zug für uns durchaus vorstellbar wäre“, sagt Lutz. Das habe der vom Bundesgesundheitsministerium rundheraus abgelehnt, so Lutz: Im gegenwärtigen Verfahrensstadium, so der EY-Jurist, sehe er dafür überhaupt keinen Grund.

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