Tichys Einblick
Auch das noch

Die Bundeswehr hat gewaltige Nachwuchsprobleme

Wie wäre es mit einer allgemeinen Dienstpflicht? Das wäre ein Gewinn nicht nur für die Bundeswehr, sondern vor allem für so manche sozialen Dienstleister. Und es wäre dies eine wichtige Erfahrung für eine Jugend, die gemeinhin in Elternhaus und Schule gepampert wird.

imago images / Deutzmann

Es gab einmal eine Bundeswehr mit 495.000 „Mann“ Personalstärke. Das war kurz vor der Wiedervereinigung 1990. Dann kam 1990 die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR dazu. Das waren rein rechnerisch etwa 170.000 „Mann“, die allerdings zum größten Teil sukzessive abgewickelt wurden. Dann wurde abgebaut, Friedensdividende war angesagt, sprich: Die Bundeswehr wurde zum Steinbruch für Sparmaßnahmen und für populistische Umschichtungen in den Sozialhaushalt. Im Jahr 2001 fiel die Personalstärke der Bundeswehr erstmals unter 300.000, 2013 erstmals unter 200.000. Heute hat die Bundeswehr 182.019 Soldaten und Soldatinnen (letztere machen 22.236, also 12,2 Prozent aus). Zum Vergleich: Die USA haben 1.323.000 „Mann“, die Türkei 386.000, Frankreich 208.000, Italien 180.000, Großbritannien 145.000, Spanien 121.000, Polen 118.000; Russland 1,013 Millionen.

2019 waren von den 182.019 Soldaten 53.602 Berufssoldaten, 121.644 Zeitsoldaten und 6.773 Freiwillige Wehrdienstleistende (FWDL). Letztere „dienen“ zwischen 7 und 23 Monaten. Ihre Zahl hat sich auf jetzt 6.773 seit 2015 (damals 10.000) deutlich verringert.

Personalpolitische Zielgröße der Bundeswehr sind 203.000 Soldaten für das Jahr 2025. Hier steht Deutschland bei der NATO im Wort, denn unter anderem soll die Bundeswehr bis 2031 drei voll ausgestattete und einsatzbereite Divisionen des Heeres in Bereitschaft haben (Eine Division hat üblicherweise eine Personalstärke zwischen 15.000 und 20.000).

Womit wir bei den Problemen wären. Jetzt schon sind in der Bundeswehr mangels geeigneter Bewerber (Stand Anfang 2019) 25.000 offene Stellen nicht besetzt. Was aber sind die Gründe für das Nachwuchsdesaster?

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Erstens die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011: Es war der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der 2010/2011 die Aussetzung der Wehrpflicht durchgezogen hat. Er tat dies nicht alleine, sondern sehr wohl mit Rückdeckung durch die Parteivorsitzenden Merkel (CDU) und Seehofer (CSU). Aber die politischen Mehrheiten für diese programmatische Fehlentscheidung zu Lasten der Nachwuchsgewinnung der Streitkräfte und zum Schaden der Einbettung der Bundeswehr in die Gesellschaft hat zu Guttenberg (CSU) organisiert. Er hatte nämlich 2010 eine Defizitanalyse zur Lage der Bundeswehr in Auftrag gegeben. Eine Strukturkommission unter Leitung des damaligen Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sollte Ideen entwickeln, wie die Bundeswehr künftige sicherheitspolitische Herausforderungen bewältigen könne. Und wie gespart werden könne.

Im Juni 2010 schlug zu Guttenberg dem Bundeskabinett vor, die Wehrpflicht auszusetzen, sie aber im Grundgesetz zu belassen. Das Bundeskabinett folgte zu Guttenbergs Vorschlag am 15. Dezember 2010. Ab dem 1. März 2011 sollte niemand mehr einberufen werden. Vonseiten der CDU und ihrer Kanzlerin gab es keinen Widerstand, die FDP sah in diesem Beschluss ohnehin die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches. Auch die CSU machte die Pläne ihres damaligen Stars bereitwillig mit. Der CSU-Parteitag hatte der Aussetzung der Wehrpflicht am 20. Oktober 2010 mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Ohne Gegenrede bei nur wenigen Gegenstimmen folgten die 1.000 CSU-Delegierten „ihrem“ Bundesverteidigungsminister. Dieser hatte das praktische Ende der Wehrpflicht mit folgendem Satz begründet: „Es ist eine sicherheitspolitische wie eine patriotische Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben.“ Wie man sich doch täuschen kann! Folge – das sagten alle Experten – war, dass ab sofort der Nachwuchs ausblieb. Denn Berufs- und Zeitsoldaten hatten sich bislang vor allem über „hineinschnuppernde“ Wehrpflichtige rekrutiert.

Zweitens: Ein maßgeblicher, wenn nicht sogar der entscheidende Grund für das Ausbleiben des Nachwuchses ist der mal naive, mal militante, typisch deutsche Pazifismus. Man fühlt sich ja nur noch von Freunden umgeben. Und Putin mag ja ein gerissener Bursche sein, aber er ist – Georgien, Krim, Ukraine, Syrien hin oder hier – nicht so schlimm wie Trump. Vor allem aber gelten nach wie vor die Sprüche: „Schwerter zu Pflugscharen!“ „Alle Soldaten sind Mörder!“ Und der Bertolt Brecht zugeschriebene Satz: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ – der im Original aber lautet: „Stell dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin – dann kommt der Krieg zu euch.“

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Aus dieser pazifistischen Gesinnung heraus verweigern qua „Zivilklausel“ zig deutsche Hochschulen jede Beschäftigung und Forschungen zu Themen, die militärisch relevant sein könnten. Es gibt zudem in ganz Deutschland keine Professur für Sicherheitspolitik. Und was die Schulen im Politik-, Geschichts-, Literatur-, Ethik- und Religionsunterricht an pazifistischer Haltung verbreiten, kann man nur erahnen, aber nicht empirisch erfassen. Es taten dies vor allem die Gymnasien, wie man an der weit überproportionalen Bereitschaft zur „Kriegsdienstverweigerung“ von Abiturienten ablesen konnte. Und wie man auch ablesen kann an einzelnen deutschen Gymnasien, die den – übrigens hochqualifizierten und manchem Politiklehrer fachlich überlegenen – Jugendoffizieren der Bundeswehr den Zutritt zur Schule verwehren, wiewohl die Aufgabe der Jugendoffiziere die sicherheitspolitische Unterrichtung und keineswegs die Nachwuchswerbung ist.

Drittens und viertens: Der Arbeitsmarkt brummt. Da kann die Bundeswehr vor allem bei jungen Leuten in den unteren Soldgruppen nicht mithalten. Und: Die Bundeswehr hat ein miserables Image. Sie gilt als nur begrenzt einsatzfähig. Das schreckt potentielle Bewerber ab. Da kann das Verteidigungsminister noch so (vermeintlich) clevere PR-Aktionen starten.

Alles in allem: Es gibt viele Baustellen, aber auch Ansatzpunkte. Allerdings ist hier nicht nur Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) gefordert – diese sicherlich an erster Stelle. Gefordert wäre eine Regierungschefin, die seit mehr als 14 Jahren im Amt ist und der die Bundeswehr immer ein herzlich marginales Thema war. Hier sind alle Parteien gefordert. Hier sind die Kirchen gefordert, allerdings nicht als Wehrdienstverweigerungsberatungsstellen. Hier sind die Medien gefordert. Und hier ist die Pädagogik gefordert.

Und vielleicht wäre es mal einer Debatte wert, ob man nicht für alle eine allgemeine Dienstpflicht einführen sollte. Das wäre ein Gewinn nicht nur für die Bundeswehr, sondern vor allem für so manche sozialen Dienstleister. Und es wäre dies eine wichtige Erfahrung für eine Jugend, die gemeinhin in Elternhaus und Schule gepampert wird.