Tichys Einblick
Groß wie der chinesische Volkskongress?

Deutschlands Riesenparlament

In diesem Jahr erreichen die Kosten für den Bundestag erstmals eine Milliarde Euro. Eine Verkleinerungs-Reform kommt trotzdem nicht voran. Und manche Vorschläge würden den Betrieb im Reichstag sogar noch weiter aufblähen.

© Carsten Koall/Getty Images

Eine Zahl zum Deutschen Bundestag ist bemerkenswert – allerdings in der öffentlichen Diskussion noch kaum angekommen: eine Milliarde. Im Jahr 2019 werden die Betriebskosten des Parlaments in Berlin erstmals eine Milliarde Euro erreichen. Überraschend kam die Steigerung nicht: 2017 lagen die Kosten für Diäten, Mitarbeiter, Reisen, Bauten und Ausstattung bei 822,2 Millionen, 2018 bei 973,7 Millionen Euro. Die Kosten explodieren, weil der Bundestag 2017 mit 709 Abgeordneten ebenfalls eine Rekordmarke erreichte. Vorgesehen sind eigentlich nur 598 Mitglieder – 299 Wahlkreiskandidaten, die mit der Erststimme gekürt werden, und 299 Listenkandidaten, die durch die Zweitstimme in den Reichstag ziehen. Bei der letzten Wahl ergaben sich aber auch so viele Überhangs- und Ausgleichsmandate wie nie zuvor. Für die (meisten) Parteien bedeutete das: sie mussten längst nicht so viele Mandate abgeben, wie sie durch den Einzug der AfD bei festgeschriebener Parlamentsgröße verloren hätten.

Damit leistet sich Deutschland eines der größten und teuersten Parlamente weltweit. Zum Vergleich: die Vereinigten Staaten kommen bei einer Bevölkerung von 327 Millionen Menschen mit 435 Kongressabgeordneten (und 100 Senatoren) aus.
In der Nationalversammlung Frankreichs sitzen 577 Abgeordnete.

Alle Parteien bekannten sich deshalb zu einer Wahlrechtsreform, die ab 2021 greifen soll. Bis jetzt kam die Allparteien-Kommission unter Vorsitz von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble keinen Schritt voran. Im April stellte sie ihre Arbeit ein.

Das heißt nicht, dass es keine Modelle für den neuen Bundestag gäbe. Politiker der Grünen, SPD, Linken und FDP wollen den Bundestag verkleinern, indem sie die Wahlkreise vergrößern und die Zahl der Direktmandate auf 200 schrumpfen. Die Überhangmandate würden dadurch allerdings nicht beseitig. Profiteure wären Parteien, die keine oder wenige Wahlkreise erobern.

Die Reform würde den Bundestag vermutlich etwas verkleinern, das Parlament aber noch bürgerferner machen. Durch die Zusatzmandate beträgt jetzt schon das Verhältnis von Direkt- zu Listen-Abgeordneten 40 zu 60. Politiker, die ihren Wahlkreis gewinnen, unterhalten in aller Regel einen intensiveren Kontakt zu Vereinen, Unternehmern und Bürgern in ihrem Sprengel als Abgeordnete, die ihren Einzug ihrer Position auf ihrer Parteiliste verdanken.

Der direkt gewählte CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch aus dem Rheingau sieht die Direktmandats-Abgeordnete als dringend notwendiges Korrektiv zur Berliner Filterblase. „Das bekannte Phänomen der abstrusen Vorschläge im Sommerloch“, so Willsch, „belegt Jahr für Jahr: wenn in Berlin nur noch Spin-Doktoren in den Parteizentralen den politischen Diskurs bestimmen, kommen die abwegigsten Ideen in die Schlagzeilen. Der Spuk hört meist auf, wenn wir Abgeordnete aus den Wahlkreisen zurückkehren und in der Hauptstadt wieder für die nötige Erdung sorgen.“

Der CDU-Mann schlägt deshalb vor, nicht die Wahlkreise zu verringern, sondern die Listenmandate auf 298 festzuschreiben. Mit dieser Forderung gehört er allerdings nicht zur Mehrheit im Reichstag.

Möglicherweise setzen sich allerdings auch Grüne, SPD, Linke und Teile der CDU durch, die der Idee einer „Parité“ anhängen, einer strikten 50-50-Besetzung des Bundestags mit männlichen und weiblichen Politikern.

Ihr Reformvorschlag läuft darauf hinaus, die Parteien erstens zur Aufstellung von paritätischen Parteienlisten zu verpflichten, und zweitens, in jedem Wahlkreis ein männlich-weibliches Kandidatenpaar aufzustellen. Der bestplazierte Mann und die bestplazierte Frau sollen dann einziehen. Etliche Verfassungsrechtler halten dieses Modell für verfassungswidrig. Ob das Bundesverfassungsgericht tatsächlich Einhalt gebietet, ist eine andere Frage. Jedenfalls könnte ein gegenderter Bundestag selbst bei nur 200 Wahlkreisen und 400 Direktkandidaten, ebenfalls mindestens 400 Listenkandidaten – die die meisten Parteien nicht begrenzen wollen – und zusätzlichen Überhangmandaten leicht auf 1.000 Mitglieder anschwellen.

Dann gäbe es international nur noch eine Abgeordnetenversammlung, die Berlin bei allem Eifer nicht übertreffen dürfte: den chinesischen Volkskongress. Der zählt aktuell 2.987 Mitglieder.

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