Tichys Einblick
TE 02-2019

Der Spiegel liefert nicht mehr Fakten, sondern Haltung

Matussek über Augsteins vergessenen Halbsatz: „Sagen, wie die Welt is – und nich, wie se sein soll“.

Getty Images

Hamburg. Matthias Matussek, bis 2014 selbst mehr als 25 Jahre als Reporter, Kulturchef und Kolumnist beim Spiegel tätig, sieht das Magazin schon lange auf Abwegen, weil es sich vom Credo des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein verabschiedet hat. Bei der im Foyer des Spiegel-Hauses an die Wand geschriebenen Devise „Sagen, was ist“ fehlt nämlich der zweite Teil des Satzes. „Rudolf sagte: «Sagen, wie die Welt is – und nich, wie se sein soll.» Diesen Halbsatz hat der Spiegel seit Jahren, zu seinem eigenen Schaden, vergessen“, schreibt Matussek in der aktuellen Titelgeschichte des Monatsmagazins Tichys Einblick.

„Im Spiegel ging es in den letzten Jahren nicht mehr darum, Fakten zu präsentieren, sondern um Haltung, und das berührt eine viel tiefere Krise des Journalismus“, so Matussek. »Haltung beginnt, wo das Faktensammeln aufgehört hat. Haltung ist ein Erziehungsprojekt geworden, und wir wissen, dass Journalisten in Deutschland zu drei Vierteln eher zu links-grün erziehen möchten. „Haltung“ scheint daher zum obersten journalistischen Gebot zu werden«, stellt Matussek fest. Reporter Claas Relotius habe deshalb schlicht und einfach passgenau das geliefert, was der Spiegel erwartete. „Er war der Dealer, der sagen konnte: Ich hab genau den Stoff dabei, den du brauchst.“

»Wahre Haltung wäre die Einschaltung des gesunden Menschenverstands. Haltung hieße: Die Hacken eingraben gegen den Strom. „Haltung zeigen“ wäre es doch, die Folgen der deutschen Grenzenlosigkeit, die Auflösung der Nation zumindest infrage zu stellen und den deutschen Selbsthass der Linken zu thematisieren.« Dem Spiegel schreibt Matussek in Tichys Einblick ins Stammbuch: „Haltung wäre es, die Rechtsbrüche der Regierung auch im eigenen Blatt zu kritisieren und die einsame Kanzlerentscheidung über die Köpfe des Wählers hinweg, statt all das mit humanitärem Kitsch zuzukleistern. Unter Augstein wäre das sicher geschehen, unter Aust ebenfalls. Doch noch fährt der Ozeandampfer Spiegel, leckgeschlagen, auf dem alten Kurs. Er wird einen großen Wendekreis benötigen.“