Tichys Einblick
Schwere Kritik vom Koalitionspartner

Cum/Ex-Skandal bringt Olaf Scholz immer schwerer in Bedrängnis

Ein neues Loch von 20 Milliarden Euro in der Staatskasse, ein Untersuchungsausschuss wegen des Wirecard-Bilanzskandals und vor allem die Hamburger Erblast durch den Cum/Ex-Skandal der Warburg-Bank: Wie Olaf Scholz unter diesen Bedingungen als Kanzlerkandidat einen Wahlkampf führen will, bleibt zweifelhaft.

imago Images/Christian Spicker

Ein ungewöhnliches Szenario war in dieser Woche im Bundestag zu erleben: Abgesehen von der SPD prügelten alle Fraktionen auf Finanzminister Olaf Scholz ein. Besonders CDU und CSU taten sich mit Attacken auf den SPD-Kanzlerkandidaten hervor, einige Unionisten stellten mit ihrer Kritik Oppositionsredner in den Schatten. Das war mehr als Wahlkampf. Es waren Einblicke in das Innenleben eines völlig zerrütteten Regierungsbündnisses.

Es geht um eine Erblast aus der Zeit, als Scholz in Hamburg Erster Bürgermeister war, ehe er 2017 nach Berlin wechselte, um Bundesfinanzminister und Stellvertreter von Kanzlerin Angela Merkel zu werden. Die Erblast ist eher eine Bombe, trägt den seltsamen Titel Cum/Ex und pflegt vor allem in der Finanzindustrie für verheerende Schäden zu sorgen, seitdem Gerichte und Gesetzgeber klargestellt haben, dass die Rückerstattung gar nicht gezahlter Kapitalertragssteuern auf Dividenden eine Straftat ist, und zwar eine schwere. Der Schaden für den Fiskus dürfte einen zweistelligen Milliardenbetrag erreichen.

Die traditionsreiche Hamburger Warburg-Bank hatte sich auch mit Cum/Ex die Finger verbrannt; das Finanzamt forderte einen zweistelligen Millionenbetrag, die Bank sah sich existenziell bedroht. Was liegt da näher als den Kontakt mit der Politik zu suchen? Ein Treffen mit Warburg-Bankier Olearius gab Scholz schon früher zu, zwei weitere Treffen bestätigte er, nachdem sein Terminkalender noch einmal überprüft worden war. Von den Treffen war zuvor in Tagebucheinträgen des Bankiers zu lesen gewesen, die bei der Hamburger Justiz liegen und ihren Weg in die Öffentlichkeit fanden. Weder an Treffen mit dem Banker noch deren Inhalt hatte der Minister eine Erinnerung, als er im Finanzausschuss des Bundestages danach gefragt wurde. Jede Form der Beeinflussung stritt er ab. Die Mehrheit der Abgeordneten fühlte sich allerdings angesichts der kompletten Amnesie des Ministers hinter die Fichte geführt.

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Was die meisten Abgeordneten gedacht haben dürften, fasste später im Plenum Fabio De Masi von den Linken zusammen: „Der Finanzminister sagt zwar, Cum/Ex sei eine Schweinerei, aber in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister öffnete er dem Warburg-Bankier Olearius mehrfach sein Amtszimmer. Darüber täuschte er wiederholt den Deutschen Bundestag… Hamburg ließ 2016 Ansprüche gegenüber der Warburg-Bank in Höhe von 47 Millionen Euro als Beute aus kriminellen Cum/Ex-Geschäften verjähren. 2017 schritt dann das Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble ein und zwang Hamburg, eine erneute Verjährung von Ansprüchen in Höhe von 43 Millionen Euro zu unterbinden. Herr Scholz traf sich am 10. November 2017 mit Herrn Olearius – an dem Tag, als die Weisung des Finanzministeriums per Post in Hamburg eintraf. Der Hamburger Senat verschwieg dieses Treffen gegenüber meiner Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Herr Olearius jedoch schrieb Tagebuch.“

Dass in der Debatte Oppositionsabgeordnete wie Florian Toncar (FDP) loslegen, ist klar: Nichts von dem, was Scholz über die Bekämpfung von Steuerbetrug gesagt habe, „wurde in Hamburg zu Zeiten ihrer Verantwortung praktiziert, sondern das glatte Gegenteil“. Aber wenn dann Hans Michelbach (CSU), der Obmann der CDU/CSU im Finanzausschuss und wichtigster Gesprächspartner für Finanzministerium und SPD in Steuerfragen, vom Leder zieht, als sei er auch bei der Opposition, ist das sehr erstaunlich. Michelbach: „Es ist für mich unvorstellbar, dass der Spitzenmann der Warburg-Bank mehrfach über die Rückzahlung seiner Cum/Ex-Steuerschuld über 90 Millionen Euro im Rathaus verhandeln durfte. Ich denke, man hätte ihm besser den Staatsanwalt schicken müssen und nicht den Hinweis: ,Schicken Sie das Schreiben ohne weitere Bemerkung an den Finanzsenator‘, wie es im Tagebuch heißt. Dessen Finanzbehörde hat wenige Tage später auf 47 Millionen Euro Steuerforderung aus Cum/Ex-Geschäften der Warburg-Bank verzichtet. Warum diese Verjährung im Jahr 2016?“

Es war nicht das einsame Poltern eines bayerischen Politikers, der sich seit Zeiten von Franz Josef Strauß der deutlichen Aussprache verpflichtet sieht. Während der Minister auf der Regierungsbank sichtlich verdrossen immer tiefer in seinen Sitz rutschte, legten Koalitionspolitiker nach. Matthias Hauer (CDU) sprach den Minister direkt an: „Allein 2016 ging es um eine drohende Verjährung von circa 47 Millionen Euro. Dazu gab es die Treffen zwischen Ihnen und Vertretern der Banken, mindestens zwei persönliche Treffen, ein Telefonat. Das wurde bislang von Ihnen, Herr Scholz, verschwiegen. 2016 hat sich Hamburg dafür entschieden, das verjähren zu lassen. 2017 ging es weiter; es drohte eine erneute Verjährung, diesmal von 43 Millionen Euro. Da musste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingreifen.“ Angesichts der hohen Summen hielt Hauer es für „wenig glaubhaft, dass Sie daran keine Erinnerung haben“. Auch Sepp Müller (CDU) wollte Scholz nicht glauben, „wenn ein Jahr nachdem die Hamburger Finanzbehörde auf 47 Millionen Euro verzichtet hat, 46.000 Euro als Spende an die Hamburger SPD fließen, von der Bank, die 47 Millionen Euro behalten durfte. Das ist eine Frage, die müssen wir klären. Herr Scholz, das ist in Ihre Zeit nicht nur als Hamburger Bürgermeister, sondern auch als Landesvorsitzender der Hamburger SPD gefallen.“

Durch Corona zerrüttete Staatsfinanzen, ein neues Loch von 20 Milliarden Euro in der Staatskasse, bald ein Untersuchungsausschuss wegen des Wirecard-Bilanzskandals und eine wachsende Hamburger Erblast: Olaf Scholz hat ein paar Probleme zu viel, als dass sich damit noch ein Wahlkampf halbwegs erfolgreich führen lassen könnte. Cum/Ex könnte zu Scholz-Ex werden.

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