Tichys Einblick

Covid-19: Warum die aktuelle Sterberate wenig aussagt

Die meisten Aussagen über die Tödlichkeit von Corona sind entweder viel zu hoch oder viel zu niedrig. Warum das so ist und welche Länder wirklich schlecht testen.

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Covid-19 breitet sich nach wie vor rapide aus. Wer also die heute Verstorbenen in Bezug setzt zu den heute Erkrankten, unterschätzt die Letalität womöglich massiv, denn die Krankheit führt nicht sofort zum Tod. Die aktuelle Sterberate von 0,148 Prozent, die das Geo Health Care Centre der Universität Bonn in seinem „Esri Corona Dashboard“ für Deutschland ausweist, ist deshalb viel zu niedrig.

Der Verlauf der Corona-Erkrankungen in China zeigt, dass zwischen dem Höhepunkt der registrierten Infektionen und der Höchstzahl der Todesfälle rund elf Tage liegen. Mit diesem Zeitversatz muss mindestens gerechnet werden, um die Tödlichkeit – also die Sterberate – von Corona zu bestimmen.

Dennoch bleibt ein zentrales Problem der Pandemie, dass es eine hohe Dunkelziffer bei den Infektionen gibt. Wie viele Leute hatten die Krankheit und wissen es nicht? Erschwerend kommt hinzu, dass die Qualität der Teststrategie auf das Virus in etlichen Ländern relativ schlecht ausfällt, wie die Daten-Spezialisten des Münchner Statistikbüros Stat-up ermittelt haben.

TICHYS EINBLICK zeigt, wie eigentlich gerechnet wird, wie stark die Ergebnisse von den Annahmen abhängen und wie stark (oder auch nicht) man unterschiedlichen Experten zu dem Thema glauben kann.

Grafik 1: Verlauf der Infektionen in China

Erläuterung: China liefert die „vollständigsten“ Verlaufsdaten und erlaubt es deshalb, den Zeitversatz zwischen Infektion und Tod abzuschätzen. Allerdings beträgt die Dunkelziffer der Infizierten in China rund 40-50%.

Grafik 2: Warum elf Tage?

Auch in Deutschland zeichnet sich allmählich ein ähnliches Bild ab. Legt man die Kurven entsprechend mit elf Tagen Versatz aufeinander, so ergibt sich eine hohe Übereinstimmung des Verlaufs. Das bedeutet: wer heute an Corona stirbt, wurde durchschnittlich vor etwa elf Tagen als infiziert erfasst. Basis für die Berechnung der Tödlichkeit von Corona sind deshalb die Infektionen (plus Dunkelziffer) vor elf Tagen.

Grafik 3: Verhältnis der getesteten Infizierten und der Todesfälle

Aber wie kann man die Dunkelziffer schätzen? Singapur taugt nicht als Referenz, weil es dort keinen Todesfall gab. China hat die Tests an den Passagieren der Rückführungs-Flüge genutzt, um die Dunkelziffer hochzurechnen. Aber es gibt noch ein „Land“, das vollständig getestet hat: Das Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ (international als „Cruise Ship“ geführt) liefert so etwas wie einen Goldstandard. Die dortige Letalität von 1,0 Prozent ist zwar nicht repräsentativ – denn das Durchschnittsalter der Passagiere betrug knapp 60 Jahre und sie waren wohl unterdurchschnittlich vorbelastet. Statistiker können solche Daten aber auf das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung standardisieren und damit auf eine Letalität von etwa 0,5 Prozent schließen (bei großer Unsicherheit, die zwischen etwa 0,1 Prozent und 1,0 Prozent liegt).

Südkorea zeigt mit großem Abstand zumindest heute das plausibelste Verhältnis unter den Ländern, das heißt dasjenige, das am nächsten an diesem Goldstandard liegt. Deutschland, China und Japan folgen. Deutschland und Japan sind die einzigen Länder, die immer einigermaßen stabile Verhältnisse aufwiesen. Offensichtlich liegt aber in diesen Ländern eine Dunkelziffer von rund 90 Prozent vor, wenn man die Daten mit der „Diamond Princess“ – dem einzigen „Land“, in dem die gesamte Bevölkerung getestet wurde – vergleicht. Zukünftige Auswertungen müssen berücksichtigen, dass wir 90 Prozent der Fälle nie gesehen haben.

Alle anderen Länder liefern zumindest über große Teile der Zeit weitgehend unbrauchbare Daten. In Spanien sind mehr Personen gestorben, als vorher getestet wurden, was zeigt, wie sehr die Teststrategie hinterherhinkt. In den USA, UK und Italien liegt das Verhältnis bei rund 50 Prozent.

Es ist völlig unverständlich, warum in Deutschland bis heute keine systematischen repräsentativen Corona-Tests durchgeführt werden. Die Meldedaten und die Expertise der statistischen Ämter wären bei weitem ausreichend, um – ähnlich wie beim Mikrozensus – täglich einige hundert Tests an einer repräsentativen Bevölkerungs-Stichprobe durchzuführen. Damit würden sich sehr viel belastbarere Aussagen über das Infektions- und das Todesfallrisiko durch Corona treffen lassen als mit der bisherigen, rein reaktiven Vorgehensweise.


Autoren: Katharina Schüller und Stefan Fritsch (Stat-up), Carl Batisweiler