Tichys Einblick
Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene

Corona-Virus: Überlebensplan bis zum Impfstoff

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene hat eine Strategie veröffentlicht, wie die Bekämpfung des Coronavirus langfristig gestaltet werden kann. Die Strategie ist überraschend weitsichtig, in einer Krise, in der sonst niemand weiß, wie es langfristig weitergeht.

Symbolbild

imago Images

In den vergangenen Tagen wurden immer wieder Stimmen laut, die Lockerungen des bisher geltenden Kontaktverbots fordern. Doch mit dem Ende der bisher geltenden schweren Eingriffe in das öffentliche Leben ist die Corona-Pandemie noch nicht besiegt. Ein von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) veröffentlichter Plan kann aber einen Einblick geben, wie der Kampf gegen die Pandemie langfristig gestaltet werden könnte. Die DGKH gliedert die Strategie in vier Phasen mit unterschiedlicher Schwere der Einschränkungen für die Öffentlichkeit, von „Phase 1“ mit strengsten Kontaktverboten bis zur „Phase 4“, in welcher die Situation vor der Pandemie wieder hergestellt wird.

1. Phase: Gesellschaftliche Quarantänisierung mit dem Ziel der Eindämmung und Verlangsamung der Pandemie und Vermeidung einer Überlastung der kritischen Versorgungsstrukturen, insbesondere des Gesundheitsversorgungssystems

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In der ersten Phase wird die Ausbreitung des Virus mit Hilfe weitgehender Eingriffe in das öffentliche Leben verlangsamt. Die dadurch gewonnene Zeit soll genutzt werden, um das Gesundheitssystem auf den kommenden Ansturm Erkrankter vorzubereiten. Intensiv-Betten und Krankenhauskapazitäten werden frei gemacht oder vergrößert. Die Gesellschaft wird über Hygienemaßnahmen informiert und dazu aufgerufen, mit Hilfe von Abstandswahrung, Nieshygiene und anderen Verhaltensänderungen das Freisetzen hoher Viruslasten zu verhindern. Schutzmaterial für das Gesundheitssystem wird beschafft. Informationen aus anderen Ländern über Krankheitsverlauf, Medikamenten-Wirkung und so weiter werden genutzt, um Strategien zu entwickeln.

In dieser ersten Phase befindet sich momentan Deutschland. Das Kriterium zum Übergang in die Nächste Phase der Virusbekämpfung formuliert die DGKH so:

„Sobald diese Voraussetzungen geschaffen sind und erkennbar wird, dass das Versorgungssystem nicht überfordert wird oder im Falle einer Überforderung nachgesteuert wurde, ist der Zeitpunkt gekommen, über eine Lockerung nachzudenken und die nächste Phase kontrolliert einzuleiten.“

Dabei ist für den Erfolg der Phase 1 nicht der Rückgang der Infizierten-Zahlen entscheidend, sondern:

„Der Erfolg der Phase 1 muss am Rückgang der Zahl der Sterbefälle, der Intensivaufnahmen und der Beatmungen und nicht primär an der Zahl der Infektionen generell gemessen werden.“

2. Phase: Beginnende Rücknahme der Quarantänisierung bei gleichzeitiger Sicherung hygienischer Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen.

In dieser Phase ist eine allgemeine Senkung der Neuinfizierten nicht mehr das primäre Ziel, sondern:

„Hauptziel ist die Senkung der Intensivaufnahmen, der beatmungspflichtigen schweren Verläufe und der Todesfälle. Hierzu muss sich der Fokus auf den Schutz der Risikogruppen konzentrieren.“

Als Kriterium für die Einschränkung des Einzelnen gilt nicht mehr sein Risiko, sich zu infizieren – das bei Jungen und mobilen Personen an höchsten ist. Stattdessen soll sich der Infektionsschutz vor allen Dingen auf Risikogruppen konzentrieren – also die Personen, bei denen im Falle einer Infektion Intensivbehandlung, Beatmungspflicht oder gar der Tod drohen.

Eine weitere Ausbreitung des Virus ist sogar von Vorteil, sofern sie kontrolliert verläuft:

„Steigende Infektionszahlen generell sind sekundär und nur insoweit wichtig, als dass die Übertragungsrisiken kontrolliert sein müssen. Infektionen unter den nicht bedrohten Alters- und Nicht-Risikogruppen könnten sogar durch Ausbildung einer natürlichen Immunität (Herdimmunität) aufgrund einer durchgemachten Infektion dazu beitragen, dass die Ausweitung der Pandemie verlangsamt und sogar unter Kontrolle gebracht werden kann, solange eine aktive Immunisierung durch Verfügbarkeit eines Impfstoffes nicht besteht.“

Das Öffentliche Leben bleibt aber weiterhin eingeschränkt, denn:

„Die Mehrzahl der Übertragungen finden im engen familiären Umfeld im Zusammenleben mit einem Infizierten und in den engen Kontakten der risikoreichen „Hyperspreader events“, den Festen, Club- und Restaurant-Feiern, den Karnevals- und Aprez-Ski-Partys in geschlossenen Räumen, den Reisen und Fahrten mit engen Personenkontakten über längere Zeiten oder vergleichbaren Aufenthalten von Gruppen unter engen Wohn- oder Lebensverhältnissen wie z. B. unter Passagieren von Kreuzfahrtschiffen statt.“

Trotzdem können Schulen und Geschäfte wieder öffnen:

„Möglich sind deshalb in dieser Phase die schrittweise Wiedereröffnung von Schulen, Kitas, Universitäten, anderen Einrichtungen des öffentlichen Lebens unter fortbestehender strikter Wahrung von Kontaktvermeidung (1,5 Meter-Regel) und Basisregeln der Hygiene (Mund-Nasen-Schutz, Händewaschen) und strikter Separierung von Personen der vulnerablen Gruppen. Auch Teile der Unternehmen wie Geschäfte, bestimmte Dienstleistungsgewerbe, ähnlich wie erfolgreich praktiziert auch im Lebensmittelhandel könnten nach dieser Risikobewertung wieder geöffnet werden, wenn unter strenger Einhaltung der Abstandswahrung die o.a. Hygiene-Maßnahmen begründet und nachvollziehbar sichergestellt werden können.“

Ein Fortbestehen der Kontaktsperren für Risiko-Gruppen ist allerdings trotzdem möglich, so die DGKH. Besuchsverbote für Pflegeeinrichtungen und Altersheime könnten also in dieser Phase weiter Bestand haben.

In dieser Phasen der vorsichtigen Wiederöffnung des Landes sollen aber Masken getragen werden. Medizinisches Personal und Pfleger haben bei der Versorgung mit Schutzausrüstung höchste Priorität, doch auch Stoffmasken können einen Beitrag leisten:

„Die Devise lautet: jede textile Maske ist besser als gar keine Maske. Je mehr MNS [Mund-Nase-Schutz, Annahme der Redaktion] getragen wird, je mehr kann auch die Kontaktpersonen-Nachverfolgung reduziert werden.

Auf Grund der großen Fallzahl ist die Kontaktpersonen-Nachverfolgung in dieser Phase unrealistisch und wahrscheinlich nicht mehr zu bewältigen.

[…]

Bei Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen und Wiedereröffnung von Geschäften und Restaurants und ebenso bei Aufhebung der Schul-, Universitäts- und Kita-Schließungen muss ein generelles Tragen von Mund-Nasen-Schutz (MNS) durch Mitarbeiter und Angestellte sowie durch Schüler und Studenten außerhalb der eigenen vier Wände gesichert sein.“

Für ein „Mobile-Tracing“, ein Nachverfolgen der Kontaktpersonen eines infizierten per Handy-Daten, spricht sich die DGKH ausdrücklich nicht aus:

„Ein Tracing über Handy-Ortung wird abgelehnt, da es niemandem nützt. Die diskutierten Erfolge aus Südkorea betrafen eine Frühphase der Epidemie, die durch ein einziges Hyperspreaderevent, ausgehend von zentralen Treffen einer kirchlichen Sekte in einem Krankenhaus und zu weiteren lokalen Gelegenheiten gekennzeichnet waren. Frühes Kontakt-Tracing kann effektiv sein, in späteren Phasen der Epidemie verliert es zunehmend an Bedeutung.“

Tracing-Daten seien insbesondere nach sogenannten „ Hyperspreaderevents“, wie Karnevalssitzungen mit Infizierten, sinnvoll – doch das aktuell geltende Verbot von Großversammlungen verhindert dies sowieso. Besondere Gefahr geht schon jetzt, und gerade in der Phase 2 von Alten- und Pflegeheimen, dem familiären Umfeld und der ambulanten Pflege von Risiko-Patienten aus, auch von Erkrankungen innerhalb von Krankenhäusern, bei denen Patienten und Pfleger sich gegenseitig anstecken. Bei keinem dieser Fälle hilf das Mobile-Tracing, dass vor allen Dingen bei der Rückverfolgung von Zufallskontakten hilfreich ist.

In Deutschland werden immer wieder Stimmen laut, die den Übergang in diese 2. Phase fordern. Die „Covid-19 Case-Cluster-Study“, die auch als „Heinsberg-Studie“ bekannt ist, spricht sich zum Beispiel dafür aus; Armin Laschet, der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, tut dies in Berufung auf die Heinsberg-Studie auch.

Österreich ist momentan dabei, eine Lockerung der dort geltenden Beschränkungen vorzubereiten und ist somit momentan im Übergang zu Phase 2.

3. Phase: Aufhebung der Quarantänisierung unter Beibehaltung der hygienischen Rahmenbedingungen

In der dritten Phase kann der Normalzustand größtenteils wieder hergestellt werden. Versammlungen dürfen wieder stattfinden, das Geschäftsleben findet wieder ohne größere Einschränkungen statt. Hygienische Maßnahmen wie Abstandsregeln und das Tragen von Masken werden allerdings weiterhin befolgt. Man könnte die Phase 3 auch als „Normalzustand, aber mit Maske und Armlänge Abstand“ bezeichnen. Im Idealfall kann mit der Verfügbarkeit von Medizin gegen die Viruserkrankung und einem Impfstoff das Land dann in Phase 4 übergehen.

4. Phase: Zustand des öffentlichen Lebens wie vor der COVID-19 Pandemie (Status quo ante).

In der 4. Phase sind die Begrenzungen des öffentlichen Lebens komplett aufgehoben, es ist eine Situation wie vor der Pandemie erreicht. Nun beginnt die Aufarbeitung der Geschehnisse. Es muss formuliert werden, welche Lehren aus der Pandemie gezogen werden, wie das Land sich auf eine ähnliche Infektion vorbereiten kann und was für Konsequenzen gezogen werden.

Wie sich die Pandemiesituation weiter entwickelt, ist nicht klar. Es kann sein, dass Covid-19 großflächig besiegt werden kann. Es kann aber auch sein, dass das Virus in veränderter Form weiter in der Bevölkerung verbleibt und sich in die Reihe der klassischen Influenza-Viren einreiht, die jedes Jahr für die Grippewelle verantwortlich sind.

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