Tichys Einblick
Die Fallzahlen im Vergleich

Corona-Update zum Morgen des 3. April: Ein Vergleich der Notfallkompetenzen

Bayern führt nun die Statistik der Fallzahlen pro Hunderttausend an. In Italien könnte die Zahl der Todesfälle weit höher liegen als gedacht. Das RKI ändert seine Meinung zu Mundschutzmasken - nicht jedoch die Abmahn-Anwälte. Die USA und Ungarn räumen ihrer Regierung weitgehende Notfallkompetenzen ein - doch welche genau? Und droht Missbrauch?

Mount Sinai Morningside Hospital, Manhattan

imago images / ZUMA Wire
Im Ländervergleich der Corona-Fälle pro hunderttausend Einwohner überholen Baden-Württemberg und Bayern nun Hamburg. Insgesamt führt Bayern jetzt mit 146,4 Fällen pro hunderttausend Einwohnern die Statistik an, dicht gefolgt von Baden-Württemberg mit 144,2 Fällen/HT und Hamburg mit 138,9/HT.

Im Saarland steigen die Fallzahlen pro Hunderttausend weiter rasant, es sind dort mittlerweile 126,3 Fälle/HT gemeldet. Bei der derzeitigen Anstiegsrate dürfte das Saarland Hamburg noch in dieser Woche überholen.

Im Durchschnitt sind in Deutschland nun 94,9 Menschen pro Hunderttausend als Infiziert gemeldet.

Im Vergleich der am stärksten von Corona betroffenen europäischen Staaten führt nach wie vor Spanien die Statistik der bevölkerungs-relativen Fallzahlen an.

In Deutschland wurden laut Länderinformationen 79.090 Personen als infiziert gemeldet (Stand 02. April, 20:30); laut Johns Hopkins Universität sind es 84.600 (Stand 02. April, 23:30). Gestern waren es noch 72.547 beziehungsweise 76.544 Fälle. Nach Länderinformationen sind 955 mit Corona infizierte Menschen verstorben, gestern waren es noch 845.

In Italien starben laut Johns Hopkins Universität 13.915 mit Corona infizierte Menschen. Der Tagesspiegel berichtet von einer Italienischen Studie, die behauptet, die tatsächliche Zahl der Verstorbenen könnte doppelt so hoch sein wie die gemeldete Zahl. Demnach seien in der Zeit vom 21. Februar zum 21. März in manchen Regionen doppelt so viele Menschen gestorben, als es in anderen Jahren der Fall war. In der besonders betroffenen Region Bergamo sollen es sogar dreimal so viele sein. Auch der Süden Italiens soll ähnlich betroffen sein wie Venetien – es wird dort nur weniger getestet. Allerdings sei die Mortalitätsrate Corona-Infizierter in Italien wahrscheinlich um die 1% zu verorten, nicht um die 10% wie die Gegenüberstellung der momentan bekannten Fallzahlen und Todeszahlen vermuten lässt. Woran das liegt, wird nicht berichtet, doch die Vermutung liegt nahe, dass in Italien auf Grund der schnell wachsenden Zahl Erkrankter und geringer Test-Kapazitäten nur besonders schwere Fälle auf Corona getestet werden – und gerade diese Personen mit schweren Krankheitsverläufen versterben auch mit höherer Wahrscheinlichkeit.

Es wir auch bei TE in den Kommentaren oft auf EUROMOMO verwiesen und dass dort keine gesteigerte Mortalitätsrate verzeichnet werde. Dazu veröffentlicht EUROMOMO allerdings ebenfalls eine Bemerkung:

„Die Zahl der Toten in den vergangenen Wochen sollte mit Vorsicht interpretiert werden, da Anpassungen für verspätete Todes-Meldungen unpräzise sein können.“

Auf EUROMOMO wurde in den vergangenen Tagen oft verwiesen, denn dort würden für Italien keine erhöhten Todesraten registriert. Dies ist mit den Zahlen der 13. Kalenderwoche nun nicht mehr der Fall, diese wurden stark nach oben korrigiert. In Italien übersteigt die Abweichung der Mortalität mittlerweile mehr als acht Standardabweichungen über dem ganzjährigen Mittelwert. Das ist ein für Italien ungewöhnlich hohes aber – noch – nicht außergewöhnliches Ergebnis. Ähnliche Resultate sieht man in der spanischen Statistik. Aber: Die Corona-Pandemie breitet sich erst seit wenigen Monaten in Europa aus; wir stehen wahrscheinlich erst in der Frühphase der Pandemie und damit noch vor vielen Todesfällen.

Folgephänomene:

Das RKI ändert seine Meinung zum Mundschutz:

Nun wird doch allen Bürgern empfohlen, in der Öffentlichkeit eine Mundschutzmaske zu tragen. Bisher wurde dies nur Personen mit Atemwegserkrankungen angeraten. Es gibt keine medizinischen Studien, die beweisen, dass das Tragen von Mundschutz ein wirksamer Schutz vor Ansteckungen aller Art sind, doch das Durchführen aussagekräftiger Studien zu diesem Thema ist extrem schwierig. TE berichtete an anderer Stelle schon über Argumente für das Tragen von Masken.

Die Japanische Regierung hat angekündigt  50 Millionen Haushalte im Land zwei wiederverwendbare Stoffmasken zur Verfügung zu stellen. Damit soll die nicht-Verfügbarkeit von Einmal-Masken abgefedert und der Bürger geschützt werden. Solche nationale Anstrengungen, um Masken bereit zu stellen, wären in Deutschland wohl zum Scheitern verurteilt, denn Abmahn-Anwälte verhindern, dass Nähereien auf Eigenintiative solche Schutzausrüstung herstellen. Nur im Auftrag systemrelevanter Einrichtungen oder staatlicher Behörden sei dies zulässig, so NTV. Und das, obwohl Politiker öffentlich dazu aufrufen, Masken zu nähen. Doch Angebote an staatliche Stellen Masken herzustellen verpuffen im Wirrwarr der Zuständigkeiten.

Hintergründe zu Corona: Wie Länder auf Corona reagieren

Weltweit werden für den Kampf gegen Corona Notstandsgesetze auf den Weg gebracht. Auch in Deutschland sind diese schon länger im Gespräch. Wie unterschiedliche Länder vorgehen und wie solche Gesetze ausgestalltet werden können, zeigen die Beispiele USA und Ungarn.

In Ungarn wurde schon am 30. März Ministerpräsident Orabán im Rahmen eines Notstandsgesetzes mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Unter anderem wird Orbán dazu ermächtigt, per Dekret zu regieren; Die explizite Zustimmung des Parlaments ist nicht mehr nötig. Diese Befugnis durchzuregieren ist allerdings nicht für alle Bereiche des Staates gültig, über ein Gesetz, das Vornamensänderungen sowie die Änderung des in Regierungsdokumenten eingetragenen Geschlechts verbietet, muss zum Beispiel noch das Parlament abstimmen berichtet Queer.de.

Auch werden nun Falschmeldungen zum Corona-Virus mit empfindlichen Strafen belegt. Weiterhin sind die Vollmachten auf das beschränkt, was „notwendig“ und „verhältnismäßig“ ist, um das Virus zu bekämpfen – doch Paper ist geduldig und Verhältnismäßigkeit ist ein Begriff, in den man hineininterpretieren kann, was man will. Die Notstandsgesetze sehen ebenfalls vor, dass das Verbreiten von Falschinformationen oder Falschdarstellungen zu Corona unter Strafe gestellt wird – sogar Haft ist möglich.

Wenn die Politik sich zum Hüter der Wahrheit aufschwingt, ist das nie ein gutes Zeichen für die Pressefreiheit. Doch das allergrößte Problem ist folgendes: Viktor Orbáns Partei Fidesz verfügt über eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament. Über die Verlängerung des Notstands entscheidet Orbán. Die einzige Institution, die den Notstand gegen den Willen Orbáns beenden kann, ist das Parlament, in dem Orbáns Partei ja die absolute Mehrheit hat. Bis auf weiteres sind sämtliche Volksbefragungen und Nachwahlen untersagt. Ob Parlamentswahlen stattfinden können, ist im Gesetz nicht geregelt. Es besteht also die Gefahr, dass Ungarn zur Partei-Diktatur wird. In gewisser Weise ähnelt Orbán nun den Diktatoren der römischen Republik: das waren hochrangige Bürger, die während Krisenzeiten berufen wurden und für ein halbes Jahr mit fast uneingeschränkter Macht regieren konnten. Von den meisten ist überliefert, dass sie ihr Amt freiwillig niederlegten; nur einer tat dies (den Überlieferungen nach) nicht: Gaius Julius Caesar.

In einem offenen Brief des Ungarischen Botschafters in Berlin an die Zeitung Welt, äußert sich der Botschafter wie folgt zu den Gesetzen:

»Die besondere Rechtsordnung ist kein außerkonstitutioneller, sondern ein außerordentlicher verfassungsrechtlicher Zustand. Verordnungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen, können auch während der eingeführten besonderen Rechtsordnung nicht erlassen werden. Das Gesetz gibt der Regierung weder zeitlich noch im Bezug auf die Maßnahmen unbegrenzte Befugnisse. Es basiert eindeutig auf den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit. Das Parlament kann jederzeit einberufen werden, es verliert keine Rechte an die Regierung, sondern umgekehrt, es erhält die Zuständigkeit das „Virusgesetz“ zurückzuziehen und somit das Ende des Notstandes bestimmen zu können.«

Auch in den USA sind Notstandsverordnungen vorgesehen. Die Vereingten Staaten sind aber eine der bewährtesten Demokratien der Welt. Dort haben die demokratischen Institutionen Bürgerkriege, politische Hexenjagden und auch schon Pandemien überlebt. Mal wurden sie geschwächt, dann wieder gestärkt; und ja, sie sind nicht perfekt – über das sogenannte Electoral College zum Beispiel entbrennen immer und immer wieder Diskussionen.

Es werden dort nun Notstandsgesetze aus Kriegszeiten reaktiviert. In einem für die Vereinigten Staaten ungewöhnlichen Eingriff in die Marktwirtschaft können Firmen nun dazu verpflichtet werden, bestimmte Produkte, wie zum Beispiel Schutzausrüstung und Beatmungsgeräte, herzustellen. Mit Rückgriff auf Notstandsgesetze im Fall von Naturkatastrophen hat Donald Trump nun direkteren Zugriff auf Finanzmittel und die Ressourcen verschiedener föderaler Ministerien, die nun auch freier in den Bundesstaaten agieren dürfen, als es in den sonst auf ihre Souveränität bestehenden Staaten der Fall ist. Andere Gesetze ermöglichen tiefgreifende Einschnitte in das zivile Leben in den USA: so kann zum Beispiel die Bewegungsfreiheit zwischen den Staaten eingeschränkt werden und (nach vorheriger Genehmigung durch einen Verfassungsrichter) das Militär für Polizeiaufgaben eingesetzt werden – doch auch diese Maßnahme ist nur auf lokaler Ebene zulässig.

Ihm stehen auch noch weiterreichende Befugnisse zur Verfügung, um Regulierungen aller Art in der Wirtschaft auszusetzen oder direkt in die Wirtschaft einzugreifen – teilweise sind diese Regelungen überraschend spezifisch: Trump hat zum Beispiel das Recht, die Ladegewichtsbegrenzungen für Kerosin-Lieferungen an die Nationalgarde auszusetzen. Andere Befugnisse sind erschreckend: er darf Radiosender übernehmen und Bankguthaben sperren lassen. Doch bisher hat er diese Befugnisse nur verwendet, um mehr Amerikanern Zugang zu sozialen Sicherungssystemen zu geben. Insgesamt stehen dem amerikanischen Präsidenten vielleicht sogar mehr Werkzeuge zur Verfügung als dem ungarischen Ministerpräsidenten – auch an Missbrauchsmöglichkeiten mangelt es ihm nicht; Doch sie sind in den meisten Fällen schärfer umrandet und strenger überwacht, als es in Ungarn der Fall scheint.

Die Vereinigten Staaten sind wahrlich keine Anfänger, was Krisen, Notstände oder Präsidenten, die in der Notsituation weitreichende Befugnisse an sich ziehen, betrifft – auch aus dieser Pandemie werden die USA wieder heraus finden. Andererseits sind die USA auch ein warnendes Beispiel, wie problematisch Notstands-Gesetzgebung sein kann und dass auch zeitliche Beschränkungen nicht immer eine Garantie für ihre Beendigung sind. Verschiedene Gesetze zur Spionage und Überwachung, die als Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers 2001 im Rahmen des sogenannten USA PATRIOT ACT nur bis 2005 genehmigt wurden, wurden in der Zwischenzeit immer wieder verlängert und erneuert, zuletzt 2015 unter Präsident Barack Obama. Sie sind – teils in veränderter Form, teils unverändert – immer noch in Kraft und einer der Mitgründe für die weitreichenden Befugnisse der US-Geheimdienste zum Abhören von Bürgern und Ausländern.

Notfallgesetzgebung ein potentes Mittel, dessen sich Staaten in der Krise bedienen können, um der Situation Herr zu werden – doch wie bei vielen effektiven Arzneien kommt mit der Effektivität die Gefahr zum Missbrauch wegen Abhängigkeit, derer sich von Budapest bis Washington D.C. – und auch in Berlin – jeder bewusst sein sollte.