Tichys Einblick
Die Fallzahlen im Vergleich

Corona-Update zum Morgen des 26. März: Wer wird behandelt, wer nicht?

Bayern überholt Nordrhein-Westfalen und ist nun auf Platz drei der Bundesländer im Vergleich der Corona-Fälle pro hunderttausend Einwohner. Eine schockierende Handlungsempfehlung für ärztliche Triage wird veröffentlicht und in Nordrhein-Westfalen werden Häftlinge frühzeitig entlassen.

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In Hamburg ist ein überaus großer Anstieg der Fallzahlen zu beobachten, während in Nordrhein-Westfalen die Kurve seit Samstag abgeflacht verläuft. Entweder wirken die Maßnahmen dort und weniger Leute erkranken an Corona oder es wird weniger getestet und diagnostiziert.

Bayern folgt Nordrhein-Westfalen an dritter Stelle. Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Berlin liegen über dem Bundesdurchschnitt bei Fallzahlen pro hunderttausend Einwohner.

Laut Länderinformationen sind 36.924 Personen als Corona-positive Fälle gemeldet (stand 25. März 20:00). Die Johns Hopkins Universität meldet 37.323 Fälle (stand 25. März 21:30), der Thinktank Risklayer 36.116 (Stand: 25.03 00:09).

Gestern meldeten die Länder noch 32.547 Fälle. Damit gab es 4.377 Neumeldungen im Vergleich zu den 3.828 Neumeldungen gestern.

Nach Länderinformationen sind 201 Corona-Patienten verstorben – dabei wird jedoch keine Unterscheidung nach Todesursachen gemacht. Das macht gut 0,54% der gemeldeten Fälle aus – ein Anstieg seit gestern, da waren es noch 0,44% (142 Opfer).

Laut FAZ haben sieben medizinische Fachgesellschaften ein Papier mit klinisch-ethischen Handlungsempfehlungen entworfen für den Fall, dass Krankenhäuser derart mit Corona-Fällen überlastet werden, dass die Ressourcen (Intensivbetten, Beatmungsgeräte etc.) nicht mehr für alle Patienten ausreichen. Zitat: „Nach aktuellem Stand der Erkenntnisse zur COVID-19-Pandemie ist es wahrscheinlich, dass auch in Deutschland in kurzer Zeit und trotz bereits erfolgter Kapazitätserhöhungen nicht mehr ausreichend intensivmedizinische Ressourcen für alle Patienten zur Verfügung stehen, die ihrer bedürften.“

Weiterhin steht dort: „Die Priorisierung von Patienten sollte sich deshalb am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren, was nicht eine Entscheidung im Sinne der ‚best choice’ bedeutet, sondern vielmehr den Verzicht auf Behandlung derer, bei denen keine oder nur eine sehr geringe Erfolgsaussicht besteht.“

Dabei darf eine Priorisierung nicht nur anhand des Alters oder anderer sozialer Kriterien erfolgen und auch nicht ausschließlich innerhalb der Gruppe der Covid-19-Erkrankten. Patienten, die mit einem Schlaganfall oder anderen Leiden eingeliefert werden, unterliegen dann also dem gleichen Priorisierungs-Prozess.

Man muss beachten, dass es sich bei dem Papier nicht um eine juristische Einordnung handelt, sondern um eine rein ethische Einschätzung für den Fall der Fälle. Es gilt zu hoffen, dass in Deutschland niemand gezwungen wird, solche Entscheidungen zu treffen, doch in Italien und Frankreich wird die ärztliche Triage – das Priorisieren von Fällen nach Überlebenschance des Patienten – vereinzelt schon praktiziert. Im Elsass werden sogar Patienten über 80 Jahren, die eigentlich Beatmungsgeräte bräuchten, Opiate und Schlafmittel im Rahmen einer „Sterbebegleitung“ verabreicht.

Trotz Schutzkleidungs- und Atemmasken-Mangel gilt Deutschland als gut ausgerüstet: Es gibt landesweit mehr als 28.000 Intensivbetten (davon 20.000 mit Beatmungsgerät) – ohne die neuentstandenen Notfallkapzitäten. Die Intensivbetten sind in der Regel zu 70-80% belegt. Weiterhin schätzt die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft, dass die Kapazitäten um 20% aufgestockt werden können. Zum Vergleich: Laut Fuldaer Zeitung gab es vor der Corona-Krise in Italien nur ein Intensivbett pro 10.000 Einwohner. In Deutschland hingegen ist es ein Intensivbett pro 3.000 Einwohner. NTV berichtet Ähnliches: In Italien soll es vor der Krise insgesamt nur gut 5.000 Intensivbetten gegeben haben.

In Nordrhein-Westfalen werden Gefängnisinsassen früher aus der Haft entlassen. Der Grund: Corona. Nicht weil in den Gefängnissen Corona umgehen würde – im Gegenteil, noch ist kein Coronafall aus den JVAs in NRW bekannt. Personen, die eine kurze Haftstrafe von weniger als 18 Monaten verbüßen müssen und bis zum 20. Juli entlassen worden wären, werden freigelassen. Auch genießen Straftäter eine Amnestie, die für das Nicht-Zahlen einer Geldbuße in Haft kommen würden. Die Generalstaatsanwälte wurden angewiesen, Straftäter, die zu einer Haft von bis zu einem Jahr verurteilt wurden, nicht mehr zu inhaftieren. Ziel der Aktion ist es, circa 1.000 Zellenplätze frei zu machen, um Quarantäne-Stationen einzurichten. Bis jetzt ist in NRW noch kein Häftling am Corona-Virus erkrankt. Der Justizminister Nordrhein-Westfalens sagt: „Es gibt keinen Corona-Rabatt für Straftäter.“. Nein, Rabatt ist es wirklich nicht, wenn man gar nicht erst eingesperrt wird.