Tichys Einblick
Ein Überblick

Corona-Update zum 28. September: Stark steigende Zahlen in einigen Regionen

Die Fallzahlen steigen nach wie vor: und dieses Mal ist es nicht reine Statistik. In Berlin, aber auch in Bayern und Nordrhein-Westfalen liegen die besonders betroffenen Kreise.

imago images / xim.gs

In der vergangenen Woche meldete das Robert Koch-Institut mehr als 11.000 neue Corona-Fälle. Es wurden auch 71 neue Todesfälle im Zusammenhang mit Corona gemeldet. Das RKI schätzt circa 24.500 der bekannten Corona-Fälle als aktiv ein.

Quellen: Europäisches Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten, Robert Koch Institut

Auch die 7-Tages-Inzidenz pro hunderttausend Einwohner steigt weiter an. Die vom RKI gemeldete Inzidenz beträgt 13,4 Fälle (stand 27. September, tägliches Situationsupdate). Errechnet man allerdings die Inzidenz aufgrund der Daten des Europäischen Zentrums für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (ECDC), so wird es eine Inzidenz von 15,3. Ein relativ kleiner Unterschied, der wohl darin begründet ist, wie die Daten des RKI und des ECDC erstellt werden.

Das RKI meldet nur solche Fälle, die ihm zuvor von den Gesundheitsämtern der Länder gemeldet werden – daher sind die Zahlen des RKI meistens schon veraltet, wenn sie veröffentlicht werden, denn die Meldewege – und damit Verzüge – sind lang. Das ECDC hingegen sammelt (weltweit) Daten aus verschiedensten Quellen: Nationale Meldungen von Fallzahlen, regionale Fallzahlmeldungen, Bekanntmachungen von regionalen Behörden auf Social Media und so weiter, um einen möglichst aktuellen Überblick über das Geschehen zu bekommen.

Wer ist besonders betroffen?

Den Daten des RKI zufolge war zum Sonntag der Kreis mit der höchsten Corona-Inzidenz der Stadtkreis Hamm (Nordrhein-Westfalen) mit 97,5 gemeldeten Corona-Fällen pro hunderttausend Einwohner in den letzten sieben Tagen. Drei weitere Kreise liegen über der Schwelle von 50 Fällen pro hunderttausend Einwohnern, ab der auf lokaler Ebene weitere Seuchenbekämpfungsmaßnahmen erfolgen sollen. Diese Kreise sind Remscheid (72,1 Fälle pro Hunderttausend), Dingolfing-Landau (61,3 Fälle pro Hunderttausend) und Berlin-Mitte mit 52,2 Fällen pro Hunderttausend.
In der Liste der im Pandemie-Geschehen „führenden“ 15 Kreise, welche das RKI jeden Tag veröffentlicht, kommen gar vier Berliner Bezirke vor: Berlin Mitte (52,2 Fälle pro Hunderttausend), Berlin Friedrichshain-Kreuzberg (38,4 Fälle pro Hunderttausend), Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf (33,7 Fälle pro Hunderttausend) und Tempelhof-Schöneberg (33,6 Fälle pro Hunderttausend).

Berlin: Reisende und Feiernde

Das RKI beschreibt die Situation in Berlin so:
„Im SK Berlin-Mitte handelt es sich um ein diffuses Geschehen, getragen von jungen, international Reisenden und Feiernden, die sich unterwegs bzw. auch auf Partys anstecken und diese Infektionen dann in ihren Haushalten und Familien verbreiten. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in anderen Berliner Bezirken zu verzeichnen. In den SK Berlin Neukölln, Berlin Tempelhof-Schöneberg, Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf liegt die COVID-19-7-Tage-Inzidenz ebenfalls über 25 Erkrankungen/100.000 Einw.“

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
In Berlin wurden jedoch zur Zeit noch keine weitgehenden Einschränkungen verhängt. Der Senat soll über solche Einschränkungen aber am Dienstag beraten. In Berlin lässt man sich eben nicht nur mit dem Bau von Flughäfen Zeit. Wie die Deutsche Presseagentur (dpa) meldet, sorgt dieses langsame Vorgehen auch in der Bundesregierung für Sorge. So soll Bundeskanzlerin Merkel Zweifel geäußert haben, dass in Berlin überhaupt Regeln verabschiedet werden und gesagt haben „Es muss in Berlin was passieren“.
Hamm: Hochzeit mit Corona

In Hamm, dem Kreis mit der höchsten Inzidenz bundesweit, ist die Quelle des Corona-Ausbruchs eine mehrtägige Hochzeitsfeier. Über mehrere Tage fanden an verschiedensten Orten Feiern statt: in Hamm, in Dortmund und in Werl. Bisher wurden mehr als 150 Teilnehmer der Feierlichkeiten positiv auf das Corona-Virus getestet. Die örtliche Regionalzeitung Westfälische Anzeiger berichtet, dass die Kontaktverfolgung sich extrem schwierig gestaltet. Die Kontaktlisten seien falsch ausgefüllt worden, die schon identifizierten Teilnehmer der Veranstaltungen weigerten sich, weitere Teilnehmer zu benennen oder zu identifizieren. Mehr als 300 Teilnehmer wurden jedoch mittlerweile ausfindig gemacht und befanden sich zeitweise in Quarantäne.

Auch in Hamm wurden strenge neue Beschränkungen erlassen. So gelten Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum (maximal fünf Personen und zwei Haushalte). Die Maskenpflicht wurde auch im Unterricht und bei Sport und Kulturveranstaltungen wieder eingeführt, eine lokale Kirmes wurde abgesagt. Auch die Versammlungsfreiheit der Bürger wurde zwar nicht ausgesetzt, aber dafür ausgehebelt: Private Feiern ab 25 Teilnehmern müssen gemeldet werden, Feiern mit mehr als 50 Teilnehmern müssen von der Stadt genehmigt werden. Die Obergrenze von 150 Teilnehmern für Feiern gilt ohnehin.

Dingolfing-Landau: Betriebsunfall Corona

In Dingolfing-Landau kam es in einem BMW-Werk und den Lieferanten des Werks zu einem Corona-Ausbruch. Hier gelten besonders strenge Regeln. So dürfen sich auch hier höchstens fünf Personen zusammen im öffentlichen Raum aufhalten. Auch im privaten Raum dürfen maximal fünf Personen beziehungsweise eine Familie zusammenkommen. Wie solche Regeln durchgesetzt werden können, ohne auf illegale Überwachungsmaßnahmen zurückzugreifen, ist nicht klar. Veranstaltungen sind allgemein auf 25 Teilnehmer begrenzt, außer unter freiem Himmel, bei dem die Obergrenze 50 Personen beträgt. Außerdem gilt in der Pandemie hier eine allgemeine Sperrstunde von 23 bis 6 Uhr.

Remscheid: Keine klare Quelle

In Remscheid stellt sich die Situation diffuser dar. Statt es einen Anlass oder Ort gibt, bei dem sich viele Personen angesteckt haben, haben Reiserückkehrer das Virus mit zurückgebracht und ihre Kontaktpersonen infiziert. Mehrere Schulen und Kindergärten sowie Sportvereine müssen Klassen beziehungsweise Gruppen in die Quarantäne schicken. Hier wurde die Maskenpflicht in Schulen verschärft. Kulturveranstaltungen mit bis zu 200 Personen dürfen weiterhin stattfinden – ab einer Teilnehmerzahl von mehr als 150 Personen gilt aber eine ständige Maskenpflicht. Sie darf also nicht wie sonst am Platz abgenommen werden. Private Feiern mit 25 bis 50 Teilnehmern müssen gemeldet, ab 50 Personen müssen sie auch von der Stadt genehmigt werden. Für private Veranstaltungen gilt eine maximale Teilnehmerzahl von 150 Personen.

Weniger Tests aber mehr Fälle

In den vergangenen Wochen wurde oft die Kritik geäußert, dass die Zahl der Corona-Fälle nur deswegen steige, weil die Zahl der durchgeführten Tests stieg. Dieses Argument wurde auch dadurch bestärkt, dass die Positivenquote der durchgeführten Tests extrem niedrig war. In dieser Woche jedoch ist die Zahl der durchgeführten Tests zurückgegangen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Labore, die meldeten wie viele Tests sie durchführten, an. Auch ist die Positivenquote zwar noch immer extrem niedrig, aber im Vergleich zu den Vorwochen deutlich angestiegen. All das sind Hinweise, dass die Zahl der Corona-Fälle tatsächlich in Deutschland ansteigt und es sich in den steigenden Zahlen eben nicht nur um einen rein statistischen Effekt handelt.

Quelle: Situationsupdate des RKI vom 23. September

Trotzdem ist die Zahl der Corona-Toten, die aufgrund einer Covid-19 Erkrankung behandelt werden, noch deutlich niedriger ist als Ende April und Anfang Mai, als die kumulative Inzidenz ähnlich hoch lag, wie sie nun ist. In dieser Zeit wurden täglich zwischen 90 und 160 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona gemeldet. In der gesamten Woche bis zum 27. September wurden hingegen 71 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona gemeldet. Auch ist nach wie vor die Zahl der Covid-19 erkrankten in Behandlung sehr gering. So meldete das DIVI-Intensivregister 353 Covid-19 Fälle in intensivmedizinischer Behandlung. Davon wurden 191 invasiv beatmet. Es gibt zur Zeit mehr als 9.500 freie Intensivbetten.

Vorausgesetzt, dass Verhältnis der Corona-Fälle in Krankenhausbehandlung zur Zahl der aktiven Fälle bleibt gleichbleibend bei 353:24.500, müsste es in Deutschland mehr als 659.000 Corona-Fälle geben, bevor mit einer Überlastung zu rechnen ist. Das ist natürlich eine stark vereinfacht Rechnung – wenn in Bayern die Kapazitäten überlastet sind, hilft es nichts wenn in Sylt noch ein Intensivbett frei ist. Auch infizieren sich zur Zeit viele junge, widerstandsfähige Menschen, bei denen die Gefahr eines schweren Verlaufs deutlich niedriger ist, als noch im März und April. Aber es verdeutlicht, in welchen Größenordnungen sich die Pandemie zur Zeit abspielt. Bevor eine befürchtete Überlastung des Gesundheitssystems eintritt, ist noch deutlich Luft nach oben.

Anzeige