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Corona-Update zum 27. Oktober: Das Parlament stiehlt sich aus der Verantwortung

Die Fallzahlen steigen schnell weiter. Die Zahl der Todesfälle bleibt gering, doch es stecken sich immer mehr ältere Personen an. Die Abgeordneten kritisieren gerne Minister und Regierungschefs für ihr Vorgehen, scheuen aber selbst, Verantwortung zu übernehmen.

Die Corona-Fallzahlen steigen weiter rasant an. Das Robert Koch-Institut meldet mehr als 100.000 aktive Fälle. Ein aktiver Corona-Fall ist dabei eine Person, deren positiver Corona-Test weniger als 14 Tage zurückliegt und die nicht im Krankenhaus liegt oder verstorben ist. Die 7-Tages-Inzidenz pro hunderttausend Einwohner beträgt deutschlandweit mittlerweile 86 Fälle (laut aktueller Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten). Es sind bisher mehr als 10.000 Todesfälle mit Corona gemeldet worden, davon 255 in der Woche bis Sonntag, dem 25. Oktober.

Die Zahl der gemeldeten Todesfälle ist gegenüber den Fallzahlen nach wie vor stark reduziert – auch gegenüber dem Frühjahr, als eine geringe Zahl von Corona-Test-Fällen mit einer höheren Zahl von Todesfällen einherging.

Quelle: Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, Daten vom 26.10.; eigene Berechnungen

Im Frühjahr wurden anders als jetzt die Risikogruppen und Personen mit schweren Symptomen prioritär getestet – was statistisch einen größeren Anteil Verstorbener an Getesteten führte. Aber auch die jüngere Altersstruktur der als Infizierte geltenden positiv Getestenen wirkt sich auf die niedrigere Todesrate aus. Noch. Denn die Zahl der über 60-Jährigen, die positiv getestet werden, steigt seit September kontinuierlich an.

Quelle: Täglicher Situationsbericht des RKI vom 20. Oktober

Auch in den Krankenhäusern steigt die Belastung weiter. Mittlerweile meldet das DIVI-Register 1.360 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen, davon werden 622 beatmet. Vor einer Woche, am Montag dem 19. Oktober waren es  851 Covid-19-Fälle, am 28. September 353 Patienten auf Intensivstationen. Im Angesicht von 8.400 Intensivbetten, die nach wie vor frei sind, ist jedoch keine Panik angesagt. Wer heute im Krankenhaus eingeliefert wird, muss nicht befürchten, dass es keine freien Betten gibt. Auch morgen wird dies nicht der Fall sein.

Es gibt weitere 12.700 Betten, die innerhalb von sieben Tagen aktiviert werden können – unter der Voraussetzung, dass Pfleger aus anderen Stationen im Krankenhaus abgezogen werden. Werden nicht dringend notwendige Operationen verschoben, können weitere Kapazitäten freigemacht werden. Doch auch all dies hat seinen Preis. Ein Absenken das Pflegeniveaus in anderen Stationen, eine weitere Belastung des sowieso hart arbeitenden Pflegepersonals und ein Verschieben von Operationen wird auch Schäden verursachen und Opfer fordern.

Wenn die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzen kommen sollten, dann ist es zu spät, um zu handeln – denn die Zahl der neuen Fallmeldungen hinkt den tatsächlichen Infektionen Tage hinterher, ebenso wie die Zahl der Krankenhauseinweisungen.

Das Parlament stiehlt sich aus der Verantwortung

Die Politik hat in der Vorbereitung auf den Winter versagt, sagte der Medizinstatistiker Gerd Antes letzte Woche in einem Interview mit dem SWR. Ein Anstieg der Zahlen war zu erwarten: Darauf hätte die Politik sich vorbereiten sollen, statt nur aktionistisch auf einzelne Ausbrüche zu reagieren. Die ruhige Lage im Sommer hätte man nutzen sollen, um mehr Wissen über das Corona-Virus zu finden. Zum Beispiel, ob eine Quarantäne von 14-Tagen wirklich gerechtfertigt ist oder ob auch einige Tage weniger ausreichen. Auch hätten die Soldaten der Bundeswehr, die nun in der Kontaktverfolgung aushelfen sollen, schon im Sommer geschult werden können, um sich auf die jetzige Situation vorzubereiten – statt dies nun in aller Eile nachholen zu müssen.

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Es sind alle politischen Institutionen, die in der Vorbereitung versagt haben, nicht nur die Regierung, die per Notstandsverordnung alle Entscheidungsgewalt in Sachen Corona an sich gerissen hat. Denn der Bundestag hatte Monate Zeit, um diese Regelungen rückgängig zu machen oder durch andere, weniger in die Grundrechte und die parlamentarische Demokratie eingreifende Regelungen zu finden. So hätte eine Kompromissregel zum Beispiel sein können, dass in Notfällen der Gesundheitsminister Jens Spahn zwar Verordnungen im Alleingang verhängen darf, doch diese innerhalb von 48 Stunden durch den Bundestag ratifiziert werden müssen.

Zwar haben einzelne Bundespolitiker wie Schäuble, Lindner und der leider am Sonntag verstorbene Thomas Oppermann mehr Beteiligung des Parlaments eingefordert. Mehr als ein Einfordern des Selbstverständlichen wurde nie daraus. Zu groß ist die Angst der Bundestagsabgeordneten vor Verantwortung. Lieber lässt man einen Gesundheitsminister Jens Spahn schalten und walten und kritisiert ihn dann. Ähnliches spielt sich in den Landtagen ab. Man lässt die Ministerpräsidenten gewähren, beklagt die mangelnde Beteiligung des Parlaments und kritisiert dann die Ministerpräsidenten, Gesundheitsminister und anderen Verantwortlichen ,wenn sie Fehler machen. Ganz ohne Minister in Schutz zu nehmen: Jeder Fehler eines Ministers ist auch ein Fehler eines Parlaments, dass ihn unangefochten gewähren lässt.

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