Tichys Einblick
Extremistische Bedrohung

Bundesregierung macht im »Feindeslisten«-Gesetz Ausnahmen für Antifa

Eigentlich sollte es ein Teil des Pakets gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität im letzten Sommer werden. Nun kommt das Feindeslisten-Verbot von Justizministerin Christine Lambrecht als Solitär mit Ausnahmen. Antifa-Gruppen sollen ihre Feinde weiterhin in "Outing Bulletins" bloßstellen dürfen.

Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin

imago images / Political-Moments

Seit 2010 gab es nach Erkenntnissen der Bundesregierung insgesamt 24 von Extremisten veröffentlichte sogenannte »Feindeslisten«. Die genauen Verfasser und Webseiten hat die Bundesregierung nicht publik gemacht. In der öffentlichen Diskussion, bei Tagesschau und anderen Medien, werden meist die Listen eines Prepper-Netzwerks aus Mecklenburg-Vorpommern genannt oder auch jene Liste des NSU, auf der sich auch der Name des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke fand – neben rund 10.000 weiteren. Dagegen konnten die Tageszeitung Welt und der Berliner Tagesspiegel in Erfahrung bringen, dass sowohl rechts- wie linksextremistische Netzwerke solche Listen angelegt haben.

Als »Feindes-« oder auch »Todeslisten« bezeichnet man die Zusammenstellung von Namen, Adressen, Photos oder auch weiteren Informationen mit dem Ziel, die benannten Personen zu bedrohen oder gar zu schädigen. Begleitet werden solche Listen charakteristischerweise von Aussagen wie »jemand könnte mal Besuch bekommen« oder man müsse etwas gegen diese Person »unternehmen«.

Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes riefen am Ende auch das Justizministerium auf den Plan. Am Mittwoch hat das Kabinett einen Gesetzesentwurf abgesegnet, der das Erstellen von Feindeslisten unter Strafe stellt. Eigentlich sollte der Entwurf schon im Sommer 2020 Teil des Pakets zur »Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität« werden, aber Uneinigkeiten zwischen den Koalitionsparteien führten zu seiner Auslagerung. Das Wort »Feindesliste« kommt im neuen Paragraphenzusatz 126a allerdings nicht vor. Die gewählte Gesetzesformulierung lautet »gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten«, und zwar ebenso in öffentlichen Versammlungen wie in schriftlicher Form. Auch die Nennung eines einzelnen Namens reicht aus, das Ganze muss keine Listenform annehmen.

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Allerdings gibt es zwei Ausnahmen. So soll zum einen die journalistische Berichterstattung nicht von dem Gesetz betroffen sein, zum anderen die »Recherchearbeit von Vereinen«, die selbst »der Aufdeckung extremistischer Strukturen« dienen soll. Linksstehende Medien begrüßten die Überarbeitung enthusiastisch. »Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat schnell reagiert und die geplante Strafnorm gegen sogenannte Feindeslisten entschärft«, hieß es in der Taz. Applaus auch von der jungen Welt. Für die Tagesschau ist immer der »Kontext entscheidend«. Dazu später mehr.

Nun fragt man sich: Deuten derlei Ausnahmen nicht immer darauf hin, dass mit dem Gesetzestext selbst etwas nicht stimmt? Kann man einen zu verfolgenden Straftatbestand nicht so zweifelsfrei formulieren, dass man die Sache nicht im Nachhinein wieder einschränken muss, um beispielsweise die Meinungs- und Redefreiheit nicht zu gefährden? Ist der Gesetzentwurf vielleicht selbst mehr Ideologie als in dieser Form sachlich geboten? Oder soll, andersherum, ein an sich gebotener Gesetzentwurf ideologisch so verdreht werden, dass bestimmte Gruppen von seiner Anwendung ausgenommen werden?

Der erste Gesetzentwurf: schwammig und redselig

Im ersten Referentenentwurf werden diese Ausnahmen noch nicht deutlich. Der demnach vorgeschlagene Gesetzestext liest sich in der Tat etwas schwammig. Danach soll, wer »öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat […] auszusetzen«, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.

Es reicht demnach aus, Daten zu veröffentlichen, die geeignet sind, Personen einer Gefahr auszusetzen. Eine Gewaltandrohung müsste nicht vorliegen, um die Anwendung des Gesetzes zu rechtfertigen, wie auch die FAZ-Rechtsredaktion feststellt. Ebensowenig muss es wirklich zu einer Gewalttat kommen.

In der Begründung heißt es noch schwammiger: »Charakteristisch für ›Feindeslisten‹ ist […], dass personenbezogene Daten in einem Kontext veröffentlicht werden, der Unsicherheit oder Furcht auslöst und als bedrohlich empfunden wird, wohingegen ein Bezug zu einer konkreten rechtswidrigen Tat meist nicht gegeben ist.« Es geht also um ein »Empfinden«. Was aber sind die konkreten Anhaltspunkte? Genannt werden im weiteren verschiedene »Umstände, die eine konkrete Gefährdungseignung bei Veröffentlichungen im Internet nahelegen«, nämlich:

  1.  a) eine extremistische Ausrichtung der veröffentlichenden Internetseite »in Abgrenzung zu sachlich-informativer Berichterstattung« bzw. die direkte Zuordnung zu einer extremistischen Gruppierung oder verfassungswidrigen Organisationen,
  2.  b) das Vorliegen militanter Bezüge sowie zuletzt
  3.  c) der direkte Bezug zu Straftaten, beispielsweise Bedrohungen.

Das alles sind wohlgemerkt keine gesetzlichen Regelungen, sondern der Referentenkommentar zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung. Es sind Randbemerkungen, die im einen Fall angewandt, im anderen vielleicht beiseite geschoben werden können. Dennoch ließ der Entwurf bei manchen die Alarmsirenen schrillen, die offenbar in der Bundesregierung Gehör finden.

ARD-Recherchekollektiv: Neonazis und Polizisten »outen«

Nun wäre eine Einschränkung der Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens in der genannten Weise, für die allein schon das Empfinden einer Bedrohung ausreicht für einen Straftatbestand, natürlich ein GAU für die Meinungsfreiheit im Land. Aber sie steht auch nicht zu befürchten, denn journalistische Sorgfaltspflichten verhindern üblicherweise die Verletzung der angedeuteten Regelung.

Was ist aber mit jenen »Feindeslisten«, die beispielsweise eine Antifa-Gruppe anlegt, und auf der Politiker oder Journalisten auftauchen, die dieser Gruppe nicht genehm sind? Sind das nun »Feindes-« oder »Todeslisten« von Linksextremisten oder ist das die staatsbürgerliche »Recherchearbeit« eines Vereins? Schon im letzten Sommer hatte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Johannes Fechner, darauf aufmerksam gemacht, dass auch »gewaltfreie« politische Gruppierungen mitunter Namen von Personen veröffentlichen und etwa zum politischen Protest gegen sie aufrufen.

Auch das Recherchekollektiv der Tagesschau mahnte im Juni 2020 noch, dass »Neonazis und Linksextremisten« gleichermaßen Namenslisten führen: »Auch innerhalb der linken Szene, etwa bei Antifa-Gruppen, werden Namen und andere Daten zu Neonazis oder auch Polizisten in großem Umfang gesammelt und teilweise auch veröffentlicht, um sie zu ›outen‹.« Doch solches Outen, so weiß die Tagesschau-Website von 2021, kann dazu führen, dass sich »die Betroffenen aus dem politischen oder gesellschaftlichen Diskurs zurückziehen«. Soviel zum entscheidenden Beitrag des »Kontextes«…

Taz: »Antifa-Bulletins« bleiben legal

Der Taz liegt nun anscheinend eine Neufassung des Gesetzentwurfs vor, die die schwammigen Ansätze des ersten Entwurfs konkretisiert. In seiner Analyse verweist Christian Rath auf einen Bezug zur »Sozialadäquanz-Klausel des Paragraphen 86«, der hier wie andernorts in günstiger Weise zur Anwendung komme. Damit ist offenbar gemeint, dass der »Kampf gegen Rechts« – geschichtlich gewachsen – zum üblichen Traditionsbestand der Bundesrepublik zählt und insofern von der strafrechtlichen Belangung ausgeschlossen sein soll. Von dem neuen Gesetz wären also solche »Listen« ausgenommen, die der »staatsbürgerlichen Aufklärung« oder einem ähnlichen Zweck dienen. Damit blieben, so Raths Theorie, die »Outing-Bulletins« von Antifa-Gruppen auch weiterhin legal, auch wenn sie implizit sehr wohl zur Gewalt gegen die genannten Personen aufrufen.

Diese Praxis war vor allem den Bundestagabgeordneten Martina Renner (Linke) und ihrer Parteifreundin aus dem Thüringer Landtag, Katharina König-Preuß, wichtig, die davor warnten, das neue Gesetz könne sich auch »gegen antifaschistische Recherchearbeit« richten. Obwohl – wie auch Rath von der Taz weiß – auch »Teile der Antifa […] es mehr oder weniger offen billigen, wenn Gewalt gegen Nazis eingesetzt wird«. Wichtig sei es, die Gesetzesschwelle nicht zu niedrig anzusetzen, so dass am Ende auch »gewaltfreie Linke« davon belangt werden könnten.

Und auch von der Antifa nimmt Rath offenbar an, dass sie im Normalfall für die »staatsbürgerliche Aufklärung« arbeitet, indem sie die Namen vermeintlicher Verfassungsfeinde in ihren Kreisen verbreitet und entsprechende Konsequenzen insinuiert. Solange die Antifa nicht eigens dazuschreibt, dass man die aufgelisteten Personen auch »besuchen« (ein in der Szene üblicher Euphemismus) könne oder »etwas gegen sie unternehmen« müsse, bliebe sie also straffrei. Dieselbe Ausnahme müsste allerdings dann wohl für einen liberalen, konservativen oder rechtsstehenden Rechercheverein gelten, der Namen und Adressen von jenen Teil-Antifa-Mitgliedern öffentlich macht, die den Verfassungsfrieden von der anderen Seite durch Gewalt gegen subjektiv definierte »Nazis« bedrohen. Oder etwa nicht?

Dass man über Personen sachlich berichten kann (»Herr A aus B ist der Meinung, dass…«), ohne in den Reißwolf dieses Gesetzes zu geraten, scheint vernünftig. Dass man aber unter dem Vorwand, man arbeite im Interesse der »staatsbürgerlichen Aufklärung«, gegen öffentliche Personen hetzen und – wenn auch nur implizit – zur Gewalt gegen sie aufrufen darf, schon sehr viel weniger. Man möchte sagen: überhaupt nicht.

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