Tichys Einblick
Rotgrün fordert volle Teilhabe

Bezahlkarte für Asylbewerber geht durch den Bundestag: Kommt sie in allen Ländern an?

Die Bezahlkarte ist beschlossen. Und der Widerstand der Grünen auf Mikrogröße geschrumpft. Die nächste Schlacht wird in den Ländern geschlagen. So will Berlin die Regelung offenbar sehr inkonsequent umsetzen. Daneben beginnt das Wettrennen mit den Wahlen im Sommer und Herbst.

picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann

Die bundesweite Regelung zur Bezahlkarte ist durch den Bundestag gegangen, mit den Stimmen der Ampel und jenen von AfD und BSW. Das ist ein deutliches Signal der AfD, dass sie den nun eingeschlagenen Weg als ihren eigenen ansieht und für sich reklamiert. Die Partei fordert seit langem eine konsequente Umstellung auf Sachleistungen statt Bargeld für Asylbewerber. Der Abgeordnete René Springer (AfD) sagte im Februar im Bundestag, der deutsche Sozialstaat sei einer der Hauptgründe für die hohe Zahl an Asylsuchenden und verwies auf Migrationsströme innerhalb der EU: „Wovor flieht denn jemand, der schon in Italien oder Griechenland Schutz gefunden hat?“ Springer möchte die deutschen Asylbewerberleistungen auf das Prinzip „Brot, Bett und Seife“ herabstimmen – eine Formulierung, die an Gerichtsurteile gegen Abschiebungen in andere EU-Länder erinnert.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hängt sich ebenso an diese Forderung wie die Ampel-Parteien – im Grunde auch die Union, die im Bundestag dagegen stimmte, obwohl sie in Kreisen und Kommunen schon ähnliche Modelle eingeführt hat. Der Abgeordnete Kai Whittaker (CDU) kritisierte, dass eine Begrenzung der Barauszahlung auf 50 Euro in dem Gesetz fehle, ebenso der „Vorrang“ für die Bezahlkarte. Natürlich kritisiert auch die AfD weiterhin die Migrationspolitik der Ampel mit der Forderung, die Steuermittel müssten für deutsche Bürger aufgewandt werden, „nicht für die ganze Welt“, so der Abgeordnete Steffen Janich.

Gegen das Gesetz stimmten daneben die Linkspartei und eine Abgeordnete der Grünen. Das ist nun also vom grünen Widerstand gegen die Bezahlkarte geblieben: eine einzige Stimme. Alle anderen sind demnach einverstanden mit jener Politik, die ursprünglich dem Programm der Alternative für Deutschland entstammt. Lange waren die Bundes-Grünen kategorisch gegen eine Bundesregelung zur Bezahlkarte, angeblich weil keine Notwendigkeit dazu bestand.

Nun werden die Grünen sagen, sie hätten hart verhandelt, und in der Tat, es gibt auch einigen Ballast in dem neuen Gesetz, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch (Grüne) erklärt. Vor allem sei durch die Hinzufügungen die gesellschaftliche „Teilhabe“ der Asylbewerber sichergestellt. Gemeint ist offenbar die Teilhabe an Dingen wie Schulausflug, öffentlicher Nahverkehr, Strom- oder Internetanschluss. Die Grünen beharren damit auf ihrem Grundsatz, dass schon Asylbewerber dezentral unterzubringen sind und dort praktisch wie deutsche Bürger leben können, nur eben durch staatliche Asylbewerberleistungen finanziert. Damit legen sie weitere Missstände im System offen, so etwa die übermäßige Dauer der Asylverfahren.

Berliner Senatorin (SPD) will weiter alles in bar auszahlen

Die FDP gibt dem Koalitionsgesetz einen etwas anderen Spin, wenn sie von einem „Beitrag zu einer neuen Migrations-Realpolitik“ spricht, den die Länder nun leisten könnten, indem „sie einen der wesentlichen Pull-Faktoren für irreguläre Einwanderung ausschalten“. Allerdings ist schon klar, dass nicht alle Länder hier gleich willig sind. Im Land Berlin steht Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) auf dem Standpunkt, dass Asylbewerber auch weiterhin unbegrenzt Bargeld mit ihrer Karte abheben können. Das sind bis zu 460 Euro im Monat, knapp weniger als das Bürgergeld.

Jedes Bundesland kann nun grundsätzlich sein eigenes Modell einführen. Bisher wollen aber alle bis auf Bayern und Mecklenburg-Vorpommern zumindest technisch ein gemeinsames System installieren. Die Ausschreibung soll ab dem Sommer Früchte tragen – vielleicht ja noch vor den Wahlen im Herbst.

Das Kalkül hinter der Einführung der Bezahlkarte durch die herrschenden Kräfte hat gestern noch einmal der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bei Markus Lanz erklärt. Sinngemäß beklagte er, dass es nun doch alles zu lang dauere und man die Wahlen zum EU-Parlament schon hinter sich haben wird, wenn es im Sommer an die Auftragsvergabe geht. Haseloff schwitzt in dieser Sache offenbar nicht so sehr wegen des Straßburger Parlaments, eher wegen Magdeburg, Aschersleben und Halle. Denn auch in Sachsen-Anhalt finden, wie in acht weiteren Bundesländern, am 9. Juni Kommunalwahlen statt. Als nächstes folgt dann der Landtags-Superwahlherbst mit Entscheidungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

GdP-Chef beharrt auf Schlepperei auf Steuerzahlerkosten

Den Vogel bei der Diskussion um die nun irgendwie und irgendwann kommende Bezahlkarte schoss allerdings der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, ab. Er warnt davor, den Bargeldanteil für Asylbewerber zu gering zu halten. Die Migranten stünden „nicht selten unter dem Druck, Krankheitskosten der Familien im Herkunftsland mitzutragen oder schuldeten Schleusern Geld“.

Wenn diese Zahlungen ausblieben, wären nicht nur die Familien in den Heimatländern weniger „sicher“, sondern am Ende auch die Deutschen – denn, so Kopelke laut dpa, dann bestünde das Risiko, dass „Geflüchtete versuchen werden, sich das nötige Geld über kriminelle Machenschaften zu besorgen“. Das nennt Kopelke dann auch noch ein „In-die-Kriminalität-gedrängt-Werden“.

Aber da funktioniert irgendetwas mit seiner Logik nicht. Ein Migrant, der in Deutschland Schutz vor Verfolgung sucht, steht demnach vor allem unter Druck, seine Familienmitglieder zu unterstützen oder gar kriminelle Schlepper zu bezahlen. Und wenn er das nicht kann, wird er eben selbst kriminell. Kopelke gefällt offenbar das Neue nicht, das passiert. Aber diese Zeitmaschine in die gute alte Vergangenheit dürfte abgefahren sein.

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