Tichys Einblick
Antisemitismus unter Polizeischutz

Wieder antisemitische Parolen auf Berlins Straßen

In Berlin zogen abermals 500 Palästinenser durch die Straßen, um Israel und den Juden mit blutigem Kampf und Tod zu drohen. Wie kann eine Stadt mit einer so langen und reichen jüdischen Geschichte solches zulassen? Aber auch an den Bund müssen Fragen gerichtet werden.

Symbolbild - Pro-Palästina-Aufmarsch in Berlin Neukölln, Mai 2021

IMAGO / Future Image

In Berlin kamen am Samstag laut Polizei 500 Menschen zu einer Demonstration zusammen, deren einziger Sinn darin zu bestehen schien, die Bereitschaft zum Kampf gegen Israel und die Juden zu erklären. Dieser Kampf soll offenbar nicht nur im Land selbst geführt werden, sondern auch in der Diaspora, von Palästinensern und vielleicht anderen.

Mit Ostern oder Pessach hatte das nicht viel zu tun, dafür aber viel mit dem aktuell laufenden muslimischen Fastenmonat Ramadan, der seit langem Anlass zu antisemitischen und gegen Israel gerichteten Demonstrationszügen gibt. Die Demonstration sei störungsfrei verlaufen, so meldete die Berliner Polizei, die laut dem Zentrum Demokratischer Widerspruch (democ.) mit Dolmetschern am Ort war, aber nicht gegen hasserfüllte Parolen wie „Tod den Juden“ oder „Tod Israel“ einschritt.

Neben anderen hatte die links-nationalistische Gruppe „Samidoun“ zu dem Demonstrationszug aufgerufen. Die Gruppe sieht den Staat Israel als Kolonialmacht, die eine „weiße Nazikolonie im gesamten arabischen Palästina“ errichten wolle. Die Bundesrepublik wird dabei als „Schutzpatron“ Israels angesprochen und gerät somit auch ins Fadenkreuz der marxistisch-leninistisch orientierten Panarabisten, die der Terrororganisation PFLP nahestehen sollen. Diese wurde von Israel, EU und USA auf entsprechende Listen gesetzt.

Kurz zuvor war die Anmeldung des sonst jährlich „gefeierten“ und eigentlich für den 15. April geplanten Al-Quds-Tages von den Veranstaltern zurückgenommen worden. Der 8. April scheint zum Ersatztermin für die entfallende Veranstaltung geworden zu sein, die traditionell am letzten Wochenende des Ramadans begangen wird und auf der Jahr für Jahr Parolen ähnlicher Qualität gerufen werden.

„Tod den Juden“ auf Berliner Straßen

„Die Massen unseres Volkes in der Diaspora werden dem Ruf derer begegnen, die in der heiligen Aqsa-Moschee stationiert sind.“ So wird auf der Facebook-Seite der panarabistischen Gruppe „Samidoun“ der Sinn des geplanten und angemeldeten Demonstrationszuges beschrieben, der am Samstag vom Rathaus Neukölln zum Kottbusser Tor führte. Da soll sich also etwas zusammentun, Massen hie und Massen da, die zum blutigen Kampf gegen einen Feind aufgerufen werden.

Viele Kommentatoren in den sozialen Netzwerken (vor allem Twitter) sind erstaunt und entsetzt, dass „Tod den Juden! Tod Israel!“ in Berlin auf einer öffentlichen, angemeldeten und dank Polizeischutz störungsfrei verlaufenen Demonstrationen gerufen werden kann.

Daneben schworen die Demonstranten im Namen der Qassam-Brigaden, einer Miliz der terroristischen Hamas, Rache. Auch die Qassam-Brigaden und die Hamas selbst werden von der EU als Terrororganisationen eingestuft. Später gelobten die versammelten Palästinenser – Männer wie Frauen, viele mit Kopftuch oder Arafat-Tuch – die Befreiung der Al-Aqsa-Moschee „mit unserer Seele und unserem Blut“. Und immer wieder hieß es: „Qassam, Tag für Tag“. Oder auch: „Tel Aviv, die Antwort wird kommen“.

„In Solidarität mit den standhaften Verteidigern der Al-Aqsa-Moschee“ heißt es auf einem Samidoun-Plakat, das zu der Demonstration aufruft. Auch in Köln plante dieselbe Gruppe mit dem identischen Motto zur Demo am Heumarkt, die offenbar weniger Aufsehen erregte. In einem der Facebook-Postings heißt es: „Da die Massen unseres Volkes in seinem ganzen Spektrum unsere Rechte auf allen Plätzen des Landes verteidigt haben, ist es an der Zeit, dass die Diaspora sich erhebt, um das Fleisch des palästinensischen Volkes in seinem Recht, sich zu verteidigen, zu vervollständigen.“ Ein Staat Palästina sei vom „Fluss bis zum Meer“, also vom Jordan bis zum Mittelmeer, zu errichten.

Der Staatsschutz ermittelt… aber nicht wegen dieser Demo

Der israelische Botschafter Ron Prosor konnte da mit seiner Empörung nicht mehr hinter dem Berg halten. Auf Twitter schrieb er: „Diese Schwachköpfe missbrauchen Deutschlands Freiheiten und rufen ohne Hemmung zur Vernichtung Israels und der Juden auf.“ Die Demonstranten überschritten „jede möglich rote Linie“ und „spucken in den Brunnen, aus dem sie trinken“.

Manuel Ostermann, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft sprach von einem erneuten „Bild der Schande“ im Herzen von Berlin und forderte dazu auf, diese Art Antisemitismus endlich mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen: „Es muss Schluss sein mit rhetorischer Betroffenheit. Wir brauchen jetzt konsequentes Handeln.“

Auch Volker Beck, ehemals Mitglied im Bundestag für die Grünen und nun Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), forderte – adressiert an die Berliner Innensenatorin und das Bundesamt für Verfassungsschutz – ein Verbot von Samidoun und „Konsequenzen für den Judenhass auf Deutschlands Straßen“. Die Berliner Abgeordnete Gollaleh Ahmadi (Grüne) schrieb: „Antisemitismus und Judenhass keinen Platz in unserer Gesellschaft und auf Berlins Straßen.“ Was bei der Demonstration an Parolen gerufen wurde, dürfte „auf Berliner Straßen nie mehr geschehen, es muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln geahndet werden“.

Und in der Tat, wie kann das einst preußische Berlin mit seiner lange großen und heute wieder ansehnlichen jüdischen Gemeinde, mit einer ganzen Geschichte der religiösen Toleranz, die vielen Menschen Zuflucht gewährte, solches zulassen? Der Verfassungsschutz? Scheint abwesend. Wo ist auch der Staatsschutz, der sonst bei jeder fremdenfeindlichen Tat ermittelt oder, wie am heutigen Tag, wenn ein Parteibüro der Grünen in Marzahn beschmiert und beschädigt wurde? Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung.

Faeser: Mit „Demokratieförderung“ gegen zunehmenden Antisemitismus

Doch der politische Wille zum Handeln fehlt, wie viele berichten, die diese Demonstrationen seit längerem Jahr für Jahr beobachten und beschreiben. Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ist an dieser Stelle, wie üblich, wenn es brenzlig wird, ein weißes Blatt. Erst letztes Jahr hatte sie – anlässlich der Präsentation des Jahresberichts zur politisch motivierten Kriminalität – geäußert, man müsse Antisemitismus „mit aller Kraft bekämpfen und Juden und Jüdinnen in Deutschland schützen“. Dabei war Faeser wundersamerweise aufgefallen, dass es „immer stärker“ zu „islamistisch geprägtem Antisemitismus“ in Deutschland kommt, wobei auch der „Hass gegen Juden und gegen den Staat Israel offen“ propagierte werde.

Es ging ihr also keineswegs nur um tätliche Angriffe, sondern auch um die Volksverhetzung, die in Demonstrationen wie dieser zum Ausdruck kommt. Offenbar gewährt aber auch die Berliner Senatsverwaltung den Veranstaltern Narrenfreiheit, um es milde auszudrücken. Noch hat die Innensenatorin hier ein SPD-Parteibuch. Als Nachfolger ist Bundespolizeichef Dieter Romann im Gespräch.

In jedem Fall müssten antisemitische Straftaten – so Faeser letztes Jahr weiter – für die Täter spürbare Konsequenzen haben. Das sei allerdings eine Aufgabe „für unsere gesamte Gesellschaft“, nicht nur für Polizei und Justiz. So begründete die Ministerin den Einsatz neuer Gelder in der sogenannten „Demokratieförderung“, deren Nutzen äußerst zweifelhaft sein dürfte, zumal wenn die Ministerin selbst mit radikalen Muslimen oder „Grauen Wölfen“ für ein Familienphoto posiert. So trennscharf werden diese Gelder also eingesetzt.

Was tat Faeser daneben als Repräsentantin (?) der gesamten Gesellschaft gegen die antisemitischen Umtriebe in Hauptstadt und anderswo? Kaum etwas. Die „spürbaren Konsequenzen“ für die regelmäßige Volksverhetzung, die auf solchen Demonstrationen ins Werk gesetzt wird, blieben aus. Sonst könnten die Demonstrationen nicht alljährlich wieder stattfinden. Erinnerung: Letztes Jahr im April wurden ein Journalist als „Drecksjude“ beschimpft.

Und Justizminister Marco Buschmann (FDP) behauptete nun, Äußerungen wie „Tod den Juden“ auf deutschen Straßen würden Ermittlungen wegen Volksverhetzung nach sich ziehen. Vielleicht kennt er die einschlägigen Paragraphen aber besser als Rechtsrealität im Lande.

Mehrere Fronten in Israel

Derweil fassen mehrere Medien, etwa FAZ oder n-tv, die Lage Israels als Mehrfrontenkrieg zusammen, in dem auch ein „innerer Feind“ eine immer größere Rolle spiele: die arabische Minderheit des Landes, die sich immer stärker in die Front verschiedener Palästinenser-Organisationen gegen Israel einbinden lässt. Erst am Mittwoch hat es Zusammenstöße auf dem Tempelberg, dem Standort der Al-Aqsa-Moschee, gegeben, wie die taz berichtet.

Am Freitagabend starb dann ein italienischer Tourist an der Mittelmeerpromenade von Tel Aviv. Er wurde zum Opfer eines Anschlags. Sieben weitere Touristen wurden verletzt. Der Täter hatte die Gruppe mit seinem Auto gerammt, das Fahrzeug überschlug sich laut Berichten. Als der Attentäter eine Waffe zog, erschoss ihn ein israelischer Polizist. Ein Polizeisprecher sprach von einem Terroranschlag auf Zivilisten. Am Vormittag waren zwei Israelis im Westjordanland bei einem Anschlag ums Leben gekommen: Aus einem Auto heraus schoss ein Palästinenser auf die beiden Schwestern, die auch im Auto unterwegs waren.

So hält der palästinensische Terror eine Nation in ständiger Bereitschaft. Premierminister Benjamin Netanjahu ließ alle Reserveeinheiten der Grenzpolizei mobilisieren, während die Demonstrationen gegen die Justizreform der Regierung sich in Mahnwachen zu Ehren der Terror-Opfer verwandelten.


Update 10.4.2023, 19:10 Uhr – nach viel öffentlichem Protest hat der Staatsschutz nun die Ermittlungen aufgenommen.

Anzeige