Tichys Einblick
Polen hat noch ein paar Trümpfe im Ärmel

Weißrussland zieht Migranten aus Kuźnica ab – Polen bekommen britische Unterstützung

Die polnische Regierung richtet sich auf eine lange Krise an der Grenze ein. Besuche aus Deutschland sind dabei eher nicht hilfreich. Dafür setzt Warschau seine diplomatischen Karten geschickt ein. Es kommt zu einem britischen Europa-Revival: Britische Pioniere sollen die Außengrenzen der EU verstärken.

Verlassenes Migranten-Zeltlager bei Kuznica

IMAGO / SNA

Laut Polens Ministerium für Inneres und Verwaltung sind keine gefährlichen Migranten im Bereich des Grenzübergangs Kuźnica zurückgeblieben. Die meisten von ihnen wurden in eine nahegelegene Lagerhalle gebracht. Der Rest sei am Donnerstagabend in den Irak geflogen. In dem Flugzeug saßen laut verschiedenen Angaben rund 400 Migranten. Man weiß freilich nicht, woher sie stammen, ob sie sich vorher in Minsk befanden oder anderswo.

Trotzdem scheint der vollständige Abzug der 2.000 Belagerer vom Grenzübergang auch ein Ergebnis der polnischen Diplomatie zu sein. Am Donnerstagabend hatte Innenminister Mariusz Kamiński gedroht, er werde den Eisenbahnübergang bei Kuźnica schließen, wenn die gewaltbereiten Migranten nicht aus dem Bereich des Grenzübergangs verschwänden. Dieses kleine Problem konnten die weißrussischen Kräfte offenbar innerhalb eines halben Tages lösen. Denn am Freitagnachmittag meldete der Vizeminister des Inneren den Erfolg.

Tatsächlich liegt das einstige Lager direkt an der Grenze verlassen da, nur die Überreste sind auf einigen Luftbildern zu sehen. Dennoch berichten die polnischen Grenzschützer von zahlreichen versuchten Grenzüberquerungen entlang der grünen Grenze, zum Teil in großen Gruppen von bis zu 500 Personen.

So war bereits vor einigen Tagen von einer 500 Mann starken Gruppe berichtet worden, die einen Durchbruchsversuch bei dem Dorf Dubicze Cerkiewne machte. »Die Ausländer waren aggressiv, warfen mit Steinen und Böllern.« Im Hintergrund unterstützten erneut weißrussische Soldaten sie mit Lasern und Taschenlampen. Danach wurde eine Bretterkonstruktion über den Zaun geworfen, um diesen gefahrlos zu überwinden. 200 Migranten schafften es auf polnisches Gebiet und wurden zurück zur Grenzlinie gebracht. Wie der beschädigte Zaun repariert wird, berichten die Grenzschützer nicht.

Dagegen waren kleinere Gruppen von zehn bis 40 Personen nicht in der Lage, die Grenze zu überschreiten. Auch eine Migrantengruppe, die versuchte, den Grenzfluss Bug auf einem Ponton zu überqueren, machte kehrt, als sie von einer polnischen Patrouille entdeckt wurde. Die zwanzig Migranten ließen den Ponton zurück und zogen sich in den weißrussischen Wald zurück. Insgesamt nahmen die illegalen Grenzübertrittsversuche auf der Länge der Grenze gegenüber den letzten Tagen zu – auch an Schlagkraft, so durch die Massierung sehr vieler Migranten an einem Punkt.

Im Bereich der genannten Lagerhalle bauen die Weißrussen derzeit eine Infrastruktur für die Migranten auf. Dazu gehört eine Wechselstube ebenso wie ein Kebab-Stand, auch wenn er angeblich vor allem Schweinefleisch im Angebot haben soll. Daneben sind auch Zigaretten begehrt. In einigen Videos hört man Menschen sprechen, die einmal in Deutschland gelebt haben müssen.

Regierung rechnet mit weiteren Monaten Grenzverteidigung

Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak rechnet nicht mit einer schnellen Entspannung der Situation an der polnisch-weißrussischen Grenze: »Wir müssen uns auf Monate einstellen. Ich hoffe nicht, auf Jahre.« Inzwischen hat Polen mehr als 20.000 Sicherheitskräfte im Grenzgebiet zusammengezogen.

Der Sejm, das polnische Parlament, beschloss derweil eine Resolution, in der man sich mit den Grenzschützern und Soldaten solidarisch erklärte: »Generationen unserer Vorfahren haben für ein freies und unabhängiges Polen gekämpft. In Anbetracht ihres Opfers ist es heute unsere Pflicht, Seite an Seite mit den Offizieren des Grenzschutzes und der Polizei, den Soldaten der polnischen Armee, einschließlich der Territorialen Verteidigungskräfte, und den Vertretern anderer Dienste zu stehen, die stolz die polnische Uniform tragen und die Staatsgrenzen sowie die Souveränität unserer Heimat bewachen.« Auch den örtlichen Gemeinschaften und allen, die die staatlichen Einheiten unterstützen, danken die Abgeordneten.

EU-Außengrenze wird bald von Briten verstärkt

Daneben verabschiedete der Sejm mit den Stimmen der Regierungspartei das neue Grenzschutzgesetz, das auch weiterhin die Bewegungs- und Pressefreiheit in der Grenzregion einschränken soll. Dem Gesetz muss nun noch der Senat zustimmen. Premier Morawiecki erklärte im Gespräch mit Bild, dass ein »Informationszentrum« für Journalisten in der Grenzregion eingerichtet werden soll. Derzeit gilt in einem 30-Kilometer-Streifen entlang der weißrussischen Grenze ein Ausnahmezustand, der am 2. Dezember enden wird. Die polnische Regierung sah sich zu diesem Beschluss gezwungen, nachdem »viele Helfer und Politiker die Situation für eigene Propaganda ausgenutzt haben«, sogar »Grenzanlagen zerstörten«. Der Angriff auf die polnischen Grenzen kam demnach auch von innen. Mit dem verkündeten Ausnahmezustand wollte die Regierung diesem Treiben einen Riegel vorschieben.

Unterdessen werden im Rahmen der NATO zusätzliche britische Soldaten in Polen stationiert. Sie werden Teil einer multinationalen Kampfgruppe, an der rund um die strukturgebenden US-Truppen auch Rumänien und Kroatien beteiligt sind. Verteidigungsminister Blaszczak sagte bei dieser Gelegenheit, dass die polnische Grenze trotz der »hybriden Angriffe« von verstreuten Migranten halten werde.

Die Ankunft der britischen Pionierkompanie, die die Polen beim Grenzschutz unterstützen soll, wird in den nächsten Tagen erwartet. Dann würden polnische Soldaten Seit’ an Seit’ mit britischen Soldaten an der Grenze zu Weißrussland dienen. Die beiden Regierungsparteien kennen sich ja noch aus der Gruppe der Konservativen und Reformer, zu der einst ebenso die britischen Konservativen wie die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit gehörten. Es ist schon ironisch: Die Außengrenzen der EU werden bedroht, und wer hilft dabei, sie zu schützen? Die neuerdings wieder unabhängigen Briten, die dann vielleicht doch die besseren Europäer sind.

Auch Estland will nun übrigens eine 100-Mann-Einheit nach Polen schicken, um die Grenzen zu sichern. Polnische Soldaten haben sich freiwillig gemeldet, um in Kuźnica eine Art Wiederaufbauhilfe zu leisten. Der Verteidigungsminister besuchte die Grenze, um die Moral der Truppe weiter zu befestigen: »Die Soldaten brauchen nun unsere Unterstützung wie nie zuvor. Der Respekt für die Uniform muss an erster Stelle stehen!«

Anzeige