Tichys Einblick
Nationale Sicherheitsstrategie

Annalena Baerbock will über die Freiheit der Medien nachdenken

Als Olaf Scholz und Annalena Baerbock die Nationale Sicherheitsstrategie vorstellten, schauten alle auf die Außen- und Verteidigungspolitik. Zumal es in dem Papier vor allem darum geht. Doch diese Strategie der Bundesregierung versteckt auch innenpolitischen Sprengstoff.

IMAGO / NurPhoto

Die Qualität von Filmen zeigt sich in ihrem Umgang mit den Bösewichten. In billigen Filmen werden die Schurken sagen, dass sie Schurken sind. Damit der Zuschauer das von Weitem erkennt, tragen sie am besten schwarze Hüte. In den besseren Filmen sagt der Schurke indes nicht, dass er ein Schurke ist. Er wird vorgeben, doch nur allen helfen zu wollen – vielleicht glaubt er das sogar tatsächlich von sich selbst.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zusammen mit vier Ministern die Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt. Darin geht es vor allem um Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik. Deutschland sieht sich als Verbündeter der Nato, Feind Russlands – und ein bisschen was von beidem, wenn es um China geht. Doch hinter der Verteidigungspolitik steckt der Ansatz der „Integrierten Sicherheit“. Das heißt: Die Bundesregierung will innenpolitische Felder wie die Wirtschaft, die Gesundheitsversorgung oder den Polizeischutz vor Attacken gegen Straßen, Schienen oder Internet gemeinsam mit der Außenpolitik denken. Das gilt auch für die Pressefreiheit.

Der Prozess um die Nationale Sicherheitsstrategie lag in der Hand der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Die Verliererin der Bundestagswahl nutzt das 66 Din-A-4-Seiten starke Konzept, um über den Weg der Sicherheitspolitik doch noch in die zentrale Regierungsverantwortung zu kommen. Dabei mögen Äußerlichkeiten nebensächlich sein – doch in der Welt der politischen Diplomatie gelten sie viel: So erklärt sich Kanzler Scholz zur Sicherheitsstrategie in einem Vorwort über eine Seite zur Sicherheitsstrategie – Baerbock nimmt zwei Seiten in Anspruch. Auch auf der Pressekonferenz redete sie deutlich länger als Scholz.

In ihren Grußworten sprechen Scholz und Baerbock weitgehend die gleichen Stichworte an. Doch ein Themenfeld der Außenministerin kommt beim Kanzler nicht vor – aber hat es in sich: „Integrierte Sicherheitspolitik bedeutet, Sicherheitsfragen konsequent mitzudenken: nicht nur bei Entscheidungen zur Ausstattung der Bundeswehr, sondern auch bei der Frage, wie verlässlich unsere Lieferketten sind oder wie frei unsere Medienlandschaft ist.“ Die Außenministerin und verhinderte Kanzlerin relativiert an dieser Stelle die Freiheit der Medien. Sie hat sich nicht verplappert, ihr ist nichts rausgerutscht, sie stellt die Frage nach der Freiheit der Medienlandschaft in einem offiziellen, mit den Koalitionspartnern abgestimmten Regierungspapier.

Die Nationale Sicherheitsstrategie befasst sich in erster Linie mit Außen- und Verteidigungspolitik. Doch über das Konzept der „Integrierten Sicherheitspolitik“ könnte die Verteidigungspolitik zum Hebel werden, Freiheiten in Frage zu stellen: Die Sicherheitsstrategie „richtet sich primär auf Bedrohungen von außen, jedoch in dem Bewusstsein, dass äußere und innere Sicherheit immer weniger zu trennen sind“. Zwar betont Baerbocks Papier an der einen Stelle, dass Grundwerte unantastbar sein. Spricht aber an der anderen Stelle auch von „Zielkonflikten“, wenn Innen und Außen zusammengedacht werden müssten.

Das Stichwort, unter dem Baerbock darüber nachdenkt, wie frei die Medienlandschaft ist, lautet Desinformation: Das Stichwort trägt einen weißen Hut. Wer könnte schon für Desinformation sein? Ist doch schön, wenn einen der Staat davor bewahrt. Nur: Wer definiert, was Desinformation ist? Um sich daran zu erinnern, wie in dem Fall Zielkonflikte aussehen können, genügt es, drei Jahre in die deutsche Vergangenheit zurückzureisen.

Noch im März 2020 behauptete das Gesundheitsministerium, dass ein Lockdown nur Gegenstand übler, bewusst gestreuter Gerüchte sei – Gerüchte beziehungsweise „Fake News“, die das Ministerium gezielt bekämpfen wolle. Wenige Tage später verkündete Angela Merkel (CDU) den Lockdown in der ARD, dem ZDF, auf RTL und in Sat1. Hätte die Kanzlerin im Sinne der Nationalen Sicherheitsstrategie Desinformation betrieben? Oder hätte die Kreuzkönigin den Herzbuben gestochen?

Anderes Beispiel. Im Zusammenhang mit möglichen Pandemien kündigt Baerbocks Papier an, dass die Regierung ausreichend staatliche Informationen bereitstellen wolle. Im Gegensatz zur „Desinformation“ sei das die zuverlässige Information. Nur: Die Behauptung, Abgeordnete hätten an dem Verkauf von Atemmasken verdient, galt zuerst als Verschwörungstheorie. Bis diese Theorie bewiesen wurde. Dass Abgeordnete Millionen für Maskendeals erhalten haben, stand in den Veröffentlichungen der freien Medienlandschaft. Bis heute hat keine Ministeriumsseite das eingeräumt. Doch drei Jahre danach setzt Baerbocks Papier die staatlichen Informationen als Gegensatz zur Desinformation. Als ob staatliche Informationen im luftleeren Raum entstünden und ein Produkt unbestechlichen Wissens seien.

Baerbock stellt nicht nur in ihrem Vorwort die Frage, wie frei die Medienlandschaft sein darf. Der Haupttext der Nationalen Sicherheitsstrategie geht dieser Frage ebenfalls nach: „Integrierte Sicherheit muss nach innen wie nach außen wirken. Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit können wir uns nach außen nur schützen, wenn wir auch im Innern gefestigt und abwehrfähig sind.“ Im Zielkonflikt mit der Verteidigung gegen einen Angriff Russlands könnte da die freie Medienlandschaft zum Opfer werden. Wer stellt sich da noch an die Seite der Pressefreiheit, wird so zum Putin-Troll und zum Träger eines schwarzen Hutes?

An Lippenbekenntnissen zur Pressefreiheit fehlt es in Baerbocks Papier nicht: „Zu den größten Errungenschaften unserer pluralistischen Demokratie gehören der Schutz und die gegenseitige Anerkennung vielfältiger, auch einander widersprechender Überzeugungen und Meinungen“. Tippitoppi der Satz. Eigentlich könnte er für sich allein stehen. Doch Baerbocks Papier lässt diesen Satz nicht allein stehen und ergänzt: „In offenen und demokratisch verfassten Gesellschaften muss das Vertrauen in deren Institutionen stets aufs Neue gewonnen werden. Dies schützt sie auch vor illegitimer Einflussnahme von innen wie nach außen.“

„Desinformation“ darf also das Vertrauen in die Institutionen nicht erschüttern. Die unbewiesene These, Abgeordnete haben an Masken verdient, würde aber das Vertrauen in die Institutionen erschüttern. Nach dem Beweis dürfte dann wohl das Vertrauen in die Institutionen erschüttert und über korrupte Bundestagsabgeordnete berichtet werden, oder? Das Problem ist nur: Recherche braucht eine Ausgangsthese, um recherchieren zu können. Macht die Bundesregierung ernst mit ihrem Ansatz zum Kampf gegen „Desinformation“, vermint sie den Weg von der Theorie zur Erkenntnis. Das ist so, als ob sie Rauchen erlaubt, aber Tabak verbietet. Dann gäbe es offiziell eine Freiheit mit einem weißen Hut, nur faktisch wäre diese Freiheit nichtig.

Die Rolle der Medien als Aufklärer kommt in Baerbocks Papier nicht vor. Darin fällt ihnen stattdessen eine staatstragendere Rolle zu: „Der Aufdeckung gezielt gestreuter Desinformation durch in- oder ausländische Akteure kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Freie und unabhängige Medien haben hierbei eine zentrale gesellschaftliche Rolle.“ Die Medien sind demnach nicht mehr da, als Vierte Gewalt das Verhalten der Regierung zu kontrollieren, sondern die „Desinformation“ der Regierungs-Gegner. Medien würden dann zum Beispiel berichten, dass Schul-Schließungen die Verbreitung eines Virus stoppen können und Stimmen als „Desinformation“ unterdrücken, die das Gegenteil unterstellen. Auf einen Schlag ist Baerbocks Papier gar nicht mehr so abstrakt und setzt seinen weißen Hut ab.

Baerbocks Papier verspricht: „Die Bundesregierung wird anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung zum Thema Desinformation verstärkt fördern.“ Die Frage, was richtige Information ist und was nicht, wird damit zum Staatsauftrag. Unter der Federführung einer Außenministerin, die offen darüber nachdenkt, wie frei die Medienlandschaft sein darf. Baerbock hätte gerne auch einen Nationalen Sicherheitsrat gegründet, deren Vorsitz dann sie innegehabt hätte, was sie zur Schattenkanzlerin gemacht hätte – so weit Machtpolitiker war Scholz dann aber schon noch, dass er das zu verhindern wusste.

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