Tichys Einblick
Auslandsgeheimdienst durfte nicht abhören

Angela Merkel will BND-Chef als Afghanistan-Sündenbock feuern

Bruno Kahl, seit 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes, soll die Verantwortung für das katastrophale Erscheinungsbild der Bundesregierung in der Afghanistan-Krise übernehmen. Zu Unrecht – der BND wurde unter Merkel funktionsunfähig.

Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, hier in einer Sitzung des Amri-Untersuchungsausschusses am 5. November im Bundestag

IMAGO / Christian Ditsch

Der schnelle Zusammenbruch Afghanistans nach dem Abzug der US-geführten Militärallianz einschließlich der Bundeswehr wirft ein katastrophales Bild auf die Regierungskunst unter Angela Merkel. Jetzt wird ein Sündenbock gesucht.
Gefunden wurde Bruno Kahl, seit 2016 an der Spitze des Dienstes für Auslandsaufklärung.

Auf den ersten Blick ist er das richtige Opfer. Noch am Freitag soll der BND nach Berlin berichtet haben, in den nächsten 24 bis 48 Stunden käme es zu keiner Zuspitzung der Lage in Afghanistan. Das politische Berlin begab sich ins Wochenende. Angela Merkel hielt die Festrede zu einer Filmpremiere über Frauen in der Bonner Politik; Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, als „Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBUK) der Bundeswehr“ backte Flammkuchen für Flutgeschädigte; Niels Annen, als Staatsminister im Außwärtigen Amt für Afghanistan zuständig, vergnügte sich auf einem Feuerwehrfest.

Während das kleine Tschechien am Freitag bereits sein Afghanistan-Kontingent ausflog, ruhte die Bundeswehr. Als endlich die Maschinen der Bundesluftwaffe zu Wochenbeginn in Kabul landeten, war der Flughafen von Kabul bereits in Reichweite der Taliban und kurze Zeit darauf gesperrt.

Hat die Bundesregierung verschlafen, weil ihr Auslandsnachrichtendienst geschlafen hat? Es sieht so aus. Allerdings wurde unter Merkel der BND praktisch stillgelegt.

Ein wesentliches Element ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Unter Vorsitz von Angela Merkels dorthin befördertem Parteifreund Stephan Harbarth hat es im Mai 2020 die anlasslose Internetüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) im Ausland für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht fordert außerdem eine bessere Kontrolle des BND. Das G10-Gesetz erlaubte bis dahin dem BND unter anderem die anlasslose Überwachung internationaler Telefonate, E-Mails oder Chats.

Die anlasslose Massenüberwachung verstoße in ihrer jetzigen Ausgestaltung gegen Grundrechte, urteilte das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe. Laut des Urteils muss der deutsche Staat das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit auch im Ausland wahren. Die bestehenden Regelungen im BND-Gesetz müssen bis spätestens Ende 2021 verfassungskonform überarbeitet werden.

Die Verfassungsrichter gaben damit den Klagen gegen das 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz statt. Geklagt hatten die Organisation Reporter ohne Grenzen, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und weitere Medienorganisationen sowie mehrere ausländische Journalistinnen und Journalisten. Sie wandten sich gegen die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland. Dabei durchforstet der BND ohne konkreten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen.

Harbarth sagte, diese vom Gericht verfügte Bindung verhindere, „dass der Grundrechtsschutz in einer internationalisierten Welt hinter dem Handlungsradius der deutschen Staatsgewalt zurückbleibt oder sogar unterlaufen werden kann“.

In der Folge setzte Geheimdienstkoordinator und Kanzleramtschef Helge Braun den gerichtlichen Auftrag um. Seither darf der BND fremden Funkverkehr nicht mehr abhören und zudem ausdrücklich keine menschlichen Quellen mehr nutzen. Braun fürchtete Verwicklungen, wenn „Spione“ aufflegen. Seither ist der BND blind und taub. Die Taliban in Afghanistan, die in dem dünn besiedelten Land weitgehend über Funkverkehr kommunizieren, wurden damit der Beobachtung des BND entzogen.

Zu TE sagte ein hochrangiger Beamter: „Ich komme mir vor wie ein Chirurg, der ohne Besteck operieren soll“. Seither fehlt die Feindaufklärung nicht nur in Afghanistan.

Dazu kommen politische Fehleinschätzungen linker Politiker. So meldet die New York Times, dass der US-Nachrichtendienst CIA den neugewählten US-Präsidenten Joe Biden im Juni bereits gewarnt haben soll, dass nach Abzug der ausländischen Truppen ein sofortiger Zusammenbruch der afghanischen Armee zu erwarten sei.

Biden ignorierte die Warnung. Bemerkenswert: Der CIA hat den BND und damit die Bundesregierung nicht darüber informiert. Deutschland gilt offenbar unter Merkel nicht mehr als zuverlässiger Partner. Der BND wiederum war für durchaus hochqualitative Funkaufklärung bekannt. Durch die Anordnung Brauns, die Funküberwachung einzustellen, verlor der BND auch seine „Handelsware“, also die Möglichkeit, mit befreundeten Diensten Informationen auszutauschen und auf Augenhöhe zu arbeiten.

Wenn Merkel jetzt Kahl entlässt, trifft es einen Mann, der die Zerstörung der Sicherheitsarchitektur nicht zu verantworten hat. Er ist ein klassisches Bauernopfer. Die Verantwortung trifft die Bundeskanzlerin und Kanzleramtschef Braun, die den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umsetzten. Dessen Präsident Herbarth gilt als Vertrauter der Kanzlerin, der sich ihr auch mit dem Klima-Urteil gefällig gezeigt hat.

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