Tichys Einblick
Der Bundesaußenkanzler

Friedrich Merz braucht Wladimir Putin und den Krieg

Friedrich Merz spielt mit wenig Glück und Geschick die Rolle des starken Mannes gegenüber Wladimir Putin. Wobei der deutsche Bundesaußenkanzler den russischen Diktator braucht – ohne dessen Krieg müsste Merz sich Unlösbarem widmen.

Imago/ Bihlmayerfotografie

Das ist der Minister, den ihr wolltet. So führte Olaf Scholz (SPD) als frisch gewählter Kanzler seinen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein. Der kam in der Pandemie auf 40 Talkshowbesuche im Jahr und schwadronierte sich damit ins Amt. Im Dezember 2021 war Corona noch wichtig genug, um den Mann zu befördern, der das Thema öffentlich besetzte wie kein anderer. Doch schon bald kippte das: Der Krieg in der Ukraine erhielt die Aufmerksamkeit. Lauterbach scheiterte im Bundestag mit einem Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht und fortan musste er schon über „absolute Killervarianten“ oder „Revolution“ im Krankenhauswesen phantasieren, um noch die große Schlagzeile zu bekommen.

Friedrich Merz ist seit gut zwei Wochen Kanzler der Bundesrepublik. Sein Start war alles andere als gut. Auch, weil er der erste Kanzler war, der einen zweiten Wahlgang benötigte, um vom Bundestag gewählt zu werden. Vor allem aber, weil er mit dem Aufweichen der Schuldenbremse noch vor Amtsantritt einen dreisten Wortbruch beginn. Der Vorwurf, dass er gegenüber SPD, Grünen und Linken zu schnell umfalle, hatte ihn schon als Oppositionsführer begleitet.

Der große Knoten, den Merz eigentlich zerschlagen müsste, ist die deutsche Wirtschaft, die sich in der schwersten Strukturkrise in der Geschichte der Bundesrepublik befindet. Doch Merz ist der Mann, den man sich kaum vorstellen kann, wie er mit Wucht das Schwert über die Schulter schwingt, um zuzuschlagen. Eher, wie er bei dem Versuch nach hinten umfällt. Seine Schwäche scheint der Mann richtig einordnen zu können, der Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet über 20 Jahre lang aussitzen musste, um Kanzler werden zu dürfen. Also flieht Merz vor der großen Aufgabe im eigenen Land und versucht auswärts den tapferen Helden zu spielen. Vornehmlich im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine.

Während Trump daran arbeitet
Die vielen Gründe der EU gegen Frieden mit Russland
Noch in der ersten Woche seiner Kanzlerschaft reiste er mit anderen europäischen Staatenlenkern in die Ukraine, um ein Zeichen zu setzen. Russlands Diktator Wladimir Putin sollte den Zorn der westlichen Welt zu spüren bekommen, angeführt vom deutschen Bundesaußenkanzler. Friedrich Merz sprach aus, wenn Putin nicht unmittelbar eine bedingungslose Waffenruhe akzeptiere, würden die EU und ihre Verbündeten ihn mit Sanktionen überziehen. Aber nicht mit solchen, wie in den ersten 17 Sanktionspakten – in Worten siebzehn – sondern mit echten. Solche, die russische Geschäfte mit Rohstoffen beenden würden.

Eltern kennen das. Sitcom-Autoren auch: Wenn du Kindern Strafen ankündigst, musst du es im Fall eines weiteren Fehlverhaltens auch durchziehen. Drohst du etwa damit, ihnen Weihnachten zu streichen, wenn sie nicht zugeben, wer den Brandfleck in der Couch verschuldet hat, sie das dann aber nicht tun, musst du den Grinch geben. Auch wenn du dann selbst nicht unter dem Weihnachtsbaum sitzen kannst. In der Politik ist es nicht anders: Wenn du Putin ein Ultimatum stellst, musst du die Konsequenzen ziehen, wenn der es untätig verstreichen lässt. Bist du dazu nicht bereit, darfst du kein Ultimatum stellen.

Es mag sein, dass Merz zusammen mit der EU und Großbritannien bereit gewesen wäre, Putins Rohstoff-Geschäfte konsequent zu unterbinden. Nur in der Lage war er dazu eben nicht. Dazu hätte er die Hilfe des amerikanischen Präsidenten Donald Trump gebraucht. So wie die Bild berichtet hatte Merz zwar dessen Zusage, doch der habe sie danach wieder zurückgezogen. Der Dealmaker will keine Sanktionen, die eine Ausfuhr von Rohstoffen aus Russland konsequent unterbinden würden. Damit bleiben Merz und seinen EU-Verbündeten weitere Symbolpakete, um Widerstand gegen Putin zu simulieren. Wie beim Skat: 18, 20, zwo, null…

Wobei das nicht mal das Schlechteste ist, was Merz passieren kann. Mit solcher Symbolpolitik könnte er seine Kanzlerschaft gestalten: Mal ein Truppenbesuch in Vilnius hier. Mal eine weitere Ausgabe für die Verteidigung dort – „whatever it takes“. Und zwischendrin das nächste Sanktionspaket. Vor kritischen Journalisten, die das hinterfragen, muss sich Merz im eigenen Land nicht fürchten. Die haben sogar die Maskenpflicht über das Jahr 2022 hinaus verteidigt. Es gehe darum, dass Lauterbach sein Gesicht wahren könne. Die Würde des Mächtigen ist den meisten deutschen Journalisten wichtiger als die Lebensqualität des Pöbels, den er außerhalb seiner Blase vermutet.

Europäische Schuldenpolitik
Merz beschwört Kriegstüchtigkeit – Eurobonds in Sichtweite
Doch auch eine politische Inszenierung ist nur vor einem halbwegs realen Hintergrund möglich. Wenn dir wie Lauterbach die Pandemie als Daseins-Berechtigung wegbricht, kannst du zwar noch die „absolute Killervariante“ beschwören. Für eine Schlagzeile in der BamS reicht das. Aber irgendwann beginnt dann sogar Markus Lanz dich auszulachen. Und du musst dich den echten Problemen widmen. Etwa Reformen, die verhindern, dass die Kassenbeiträge durch die Decke gehen. Wie das bei Lauterbach ausgegangen ist, ist bekannt. Als Gesundheitsminister hat ihn die SPD abgesetzt, dafür leitet er im Bundestag den Raumfahrt-Ausschuss – was passt. Er weiß, wie man Dinge in die Höhe schießen lässt.

Für Friedrich Merz wäre die größte persönliche Katastrophe, wenn sich Russland und die Ukraine plötzlich auf einen Friedensschluss einigten. Solange es Krieg gibt, kann Merz nach Kiew reisen und so tun, als ob er den Ton angebe. Obwohl das in Wirklichkeit die Rolle des Dealmakers in Washington ist. Merz kann zuhause Schulden machen, „whatever it takes“. Und er findet immer einen Grund, dem gordischen Knoten der zusammenbrechenden heimischen Wirtschaft zu entfliehen und anderswo den Bundesaußenkanzler zu spielen. Nur wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist, wäre Schluss damit. Merz könnte Putin noch einmal als etwas ähnlich Starkes wie eine „absolute Killervariante“ benennen – aber dann würde irgendwann sogar Lanz anfangen, ihn offen auszulachen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen