Tichys Einblick
Verurteilung Marine Le Pens

Tatwaffe Wahlkreismitarbeiter: Aus dem absurden Treiben eines absurden Jobs

Ihre staatlich finanzierten Mitarbeiter sollen die Abgeordneten des Bundestags wissenschaftlich beraten. So die Idee. Doch oft werden sie zweckentfremdet. Etwa zur Parteiarbeit. Wofür Marine Le Pen jetzt von der französischen Präsidentschaftswahl ausgeschlossen wird, ist in Deutschland Standard.

IMAGO / NurPhoto

35 Jahre alt, nichts Gescheites gelernt und beruflich gestrandet bei der Frankfurter Rundschau. Einer auf sozial machenden Heuschrecke, die ihre jüngeren Mitarbeiter in die Leiharbeit presst und ausbeutet. So beginnen Alkoholiker-Karrieren. Oder die Arbeit für eine Mainzer Bundestagsabgeordnete. Dieses hier ist ein bisschen was von beidem. Es endet in persönlicher Überforderung mit etwas, was ein talentierter 15-Jähriger beherrscht und dem erfolgreichen Bemühen, kein Eisbär-Kostüm anziehen zu müssen.

Wer 30 wird, muss sich umschauen, ob er beruflich in einer Sackgasse gelandet ist: Zeitungen austragen, Spendeneintreiber für “NGO”s oder Wetterfrosch bei einem Lokalsender. Um nur einige Beispiele zu nennen. Wer mit 30 Jahren Mitarbeiter für einen Bundestagsabgeordneten wird, muss sich schon die Frage gefallen lassen, ob das wirklich das ist, was er sich mal vorgenommen hat. Denn eigentlich ist das ein Sprungbrett und alle kennen das aus dem Schwimmunterricht: Wer zu lange auf dem Sprungbrett steht, für den wird es irgendwann peinlich.

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Zwar beginnt der Job mit der Ermahnung, die Arbeit fürs Parlament nicht mit Parteitätigkeit auszufüllen. Doch das ist in etwa so wie das Sicherheits-Aerobic einer Stewardess: Da hört keiner zu, weil jeder weiß, dass noch niemand den Absturz eines Flugzeugs überlebt hat, weil er die Hinweise der Stewardess berücksichtigt hat. Und jedem, der mit 35 Jahren den Job als Mitarbeiter einer Abgeordneten antritt, weiß auch, dass das mit der Aufgabentrennung nicht so gemeint ist. Zumal alle, die er nun beruflich kennt, von nichts anderem als der Vermischung der Aufgaben ausgehen. Der Mitarbeiter fürchtet, bald Plakate kleistern zu müssen und auf Demos das Eisbär-Kostüm tragen zu müssen. Als optischen Gag, um die Gefahren des Klimawandels zu illustrieren. Nichts davon lässt sich schönsaufen.

Mitarbeiter von Abgeordneten werden zwar – in Ermangelung eines besseren Begriffs – als “wissenschaftliche Mitarbeiter” geführt. Aber das leitet in die Irre. Die meisten Mitarbeiter, also die, die sich keine Fragen nach der Karriere gefallen lassen müssen, studieren selbst noch. Der Job als Mitarbeiter führt sie an eine politische Karriere ran: in der Verwaltung, einem Ministerium oder irgendwann selbst als Abgeordneter. Die Biografien vieler Abgeordneter enthalten diesen Job-Nachweis – viel zu viele nichts anderes.

Die Arbeit für einen Abgeordneten ist oft genug nichts anderes als ein Hilfsarbeiterjob. In dem einen November noch beschworen worden, nicht den Job als “wissenschaftlicher Mitarbeiter” des Bundestags für Partei-Arbeiten zu nutzen, beginnt im nächsten November bereits der Wahlkampf für den Landtag. Und da steht er, der nunmehr 36-Jährige und kleistert. Ein 15-jähriger Malergeselle würde das mühelos hinkriegen, aber der Herr Journalist scheitert daran. Die Plakate werfen Blasen. Der Spott ist ihm sicher. Andererseits ist die Karriere eh schon abgestürzt wie ein Flugzeug über dem Pazifik. Also lebe mit den Haien und sei froh, wenn du überhaupt noch die Chance hast zu schwimmen, statt bereits ertrunken zu sein.

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Mit über 30 Jahren wird der Job des “wissenschaftlichen Mitarbeiters” peinlich. Absurd. Über 25.000 Euro zahlt der Bundestag im Monat jedem Abgeordneten allein für die Bruttolöhne seiner Mitarbeiter. Die Kosten für die Sozialversicherung kommen nochmal obendrauf. Mit diesem Geld rekrutieren sich die Abgeordneten ein Team, das in der Regel aus fünf bis sieben Angestellten besteht. Akzeptieren diese ein schlechtes Gehalt, können es entsprechend mehr werden. Die wenigsten aus diesen Teams verdienen den Namen “wissenschaftlicher Mitarbeiter” und arbeiten dem Abgeordneten in dessen Fachgebiet inhaltlich zu. Die anderen sind – in Ermangelung eines besseren Begriffs – Assistenten.

Der Job führt einen wenigstens oft ins Freie. Zumindest, wenn man für eine Abgeordnete der Linken, der SPD oder der Grünen arbeitet – denn dann gehört der regelmäßige Besuch von Demonstrationen zum Jobprofil. Als eine Art staatlich angestellte Zivilgesellschaft. Beliebt ist zu jener Zeit unter Mainzer Grünen das Atomkraftwerk in Hanau. Dort demonstrieren sie einmal im Monat, was bei Sonnenschein gar nicht mal so schlecht ist – besser als richtig arbeiten – bei Regen aber die ein oder andere Jeans ruiniert. Nur muss immer einer ins Eisbären-Kostüm. Für den Pressefotografen – und allmählich werden die Ausreden knapp.

Der Großteil des Teams arbeitet als Assistenten des Abgeordneten. In Berlin organisieren sie seinen Terminkalender sowie die Arbeit in der Öffentlichkeit und der Fraktion. In den Wahlkreisen fällt die Fraktionsarbeit weg. Diese Regelung stammt noch aus der Zeit vor der Ampel, als die Politik die Wahlkreise als Basis der Demokratie wertgeschätzt hat. SPD, Grüne und FDP haben mit einer Reform dafür gesorgt, dass ihre Listenkandidaten sicher ins Parlament einziehen und die direkt gewählten Kandidaten dutzendfach draußen bleiben müssen. Ursprünglich war es also mal durchaus legitimiert, dass der Steuerzahler für Mitarbeiter im Wahlkreis aufkommt – auch wenn SPD, Grüne und FDP diesen Gedanken konterkariert haben.

Für die Arbeit im Wahlkreis empfiehlt es sich für die Betroffenen, privat in eine gescheite Kamera zu investieren. Zum einen hat man die fürs Leben. Zum anderen muss nicht ins Eisbär-Kostüm, wer die PR-Fotos für alle Abgeordneten macht. Und so eine Demo in Hanau ist seinerzeit ein grüner Familienausflug auf staatliche Kosten. Da kommt alles, wer von der Politik lebt. Gleiches gilt für die Parteitage. Deren Besuch ist für die Mitarbeiter der Abgeordneten Pflicht. Was zeigt, dass die Sprache ein rechter Aufrührer ist, den Linke bei ihrer Machtergreifung als Ersten hinrichten müssen. Denn dass die Mitarbeiter für ihre Abgeordneten Parteitage besuchen, dies aber keine Partei-Arbeit sein soll, ist mit einer lebendigen Sprache nicht darstellbar.

Allzu oft missbrauchen die Abgeordneten ihre Mitarbeiter für Parteiarbeit. Was eigentlich ausdrücklich verboten ist – und was in Frankreich nun genutzt wird, um die Oppositionsführerin Marine Le Pen von der Wahl fernzuhalten. Obwohl der Missbrauch für die Partei – zumindest in Deutschland – Standard ist. Die Art dieser Parteiarbeit ist unterschiedlich: Sitzt der Abgeordnete in Berlin, vertreten sie ihn in Parteigremien. Oder sie sind Handlanger der Partei, etwa beim Plakatekleben, was in diesem Text so oft vorkommt wie im absurden Joballtag eines Wahlkreismitarbeiters. Besonders in Wahlkämpfen nimmt der Anteil dieser Arbeit zu. Auch in welchen, in denen der Abgeordnete gar nicht selbst kandidiert. Etwa, wenn er im Bundestag sitzt und seine Mitarbeiter die Partei im Wahlkampf für den Landtag oder den Gemeinderat unterstützen.

Im Sinne ihrer Abgeordneten lassen sich die Mitarbeiter oft selbst als Delegierte für die Parteitage aufstellen. Sodass die Parteien ihre Aufgabe aufgeben, die Basis zu politisieren und somit der politischen Willensbildung dienen würden. Stattdessen bestehen diese Parteitage zu einem fatal hohen Anteil aus “wissenschaftlichen Mitarbeitern” der Abgeordneten, der Fraktionen, aus Partei-Angestellten, Abgeordneten oder den Parteisoldaten, die sich in die Verwaltung haben positionieren lassen. Parteitage dienen damit nicht mehr dem Zweck, den Willen der Basis zu definieren, sondern dem Zweck, die Macht von eben dieser Basis abzuschirmen. Von Funktionären. Durch Funktionäre. Für Funktionäre.

Rund 20 Millionen Euro gibt allein der Bundestag für die Mitarbeiter der Abgeordneten aus. Entsprechende Summen kommen in den Landtagen und im Europaparlament nochmals dazu. Doch die Kosten sind der geringste Schaden, den dieser absurde Job anrichtet. Angesichts von Größenordnungen, über die das Land seit dem Aufweichen der Schuldenbremse diskutiert. Angesichts solch unverantwortlicher Entscheidungen wie eben dem Aufweichen der Schuldenbremse. Denn dass die Politik ihre Entscheidungen frei von gesundem Menschenverstand fällt, hängt mit dem beschriebenen Einfluss derer zusammen, die nichts Gescheites gelernt haben und auch keine gescheite Arbeit finden würden, wenn ihnen dieser absurde Job keinen Halt böte. Das Sein bestimmt das Bewusstsein – und das Absurde fördert das Absurde.

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